
Die Wahlerfolge der NPD Anfang der 80er war für ein Dutzend junger Schweinfurter der Auslöser für eine Gegenreaktion. Der heutige Sprecher Klaus Hofmann war schon bei der Gründung 1981 dabei. „Wir wollten einfach nur wissen, was in Schweinfurt zur Nazizeit los war“, sagt Hofmann. Im Mittelpunkt stand die Befragung von Zeitzeugen. Erstmals öffentlich zeigte sich die Gruppe am 1. September 1981, dem Antikriegstag, in der Innenstadt. Auf einer Wandzeitung waren die Verwicklungen der Großindustrie mit den Nazis und Gräueltaten von SS und SA in Schweinfurt dokumentiert.
Die Resonanz war wie erwartet unterschiedlich: Großes Interesse hier, „für die anderen waren wir aber die Schmuddelkinder“, erinnert sich Hofmann. Die Gruppe wagte es, die vielen gesammelten Materialien als Buch zu veröffentlichen. „Nach dem Krieg war keiner Nazi gewesen“, ist in mittlerweile drei Auflagen erschienen, fast 4000 Bücher sind verkauft, die vierte Auflage ist geplant. „Obwohl alles belegbar war, hatten wir damals Bammel“, räumt Hofmann ein. Aber: „Die Gewerkschaften standen hinter uns“ – ideell wie finanziell.
Alternative Stadtrundfahrt
NPD-Parteitag 1983 in der Stadthalle: Hofmann beschließt, eine alternative Stadtrundfahrt zu organisieren. Die Bustour zu den Stätten nationalsozialistischer Vergangenheit zwischen 1933 und 1945 im Stadtgebiet heißt heute „Das andere Schweinfurt“. Die einstige Adolf-Hitler-Kaserne, heute Ledward-Baracks, ist dabei ebenso Station wie der Goethe-Bunker, Befehlsstand der Nazis.
Fast 200 Fahrten fanden in den 25 Jahren statt, mit weit über 3000 Teilnehmern. Am 13. Juli gibt es die Jubiläumsfahrt. Dem Busunternehmen Rolf Ihrig ist der Fortbestand der Aktion so wichtig, dass er immer einen Minibus stellt – kostenlos.
Hofmann bedauert, dass früher bei den Fahrten weit mehr Jugendliche, ganze Klassen dabei waren. Er hofft, dass Lehrer sich wieder mehr für diesen Teil der Geschichte interessieren. „Junge Leute müssen wissen, was passiert ist, nur daraus können sie Schlüsse ziehen.“ Die Initiative selbst will ihrerseits mehr auf Schulen zugehen, ihre Recherchearbeit den Auszubildenden in der Großindustrie präsentieren.
1994 kam zur Bustour eine Fußführung hinzu. Stationen hier: Der Marktplatz, wo 2800 NSDAP-Mitglieder am 9. November 1938 nicht nur die 363 Schweinfurter Juden in Angst und Schrecken versetzten; der Platz der ehemaligen Synagoge in der Siebenbrückleinsgasse oder die Judenhäuser in der Rückertstraße, wo jüdische Bürger vor der Deportation „gesammelt“ wurden.
Die Diskussion um Entschädigungszahlungen für Zwangsarbeiter hat die Initiative veranlasst, den Schwerpunkt auf dieses in Schweinfurt bis dahin völlig unerforschte Feld zu verlegen. Über 10 000 Menschen mussten zwangsweise Arbeit leisten, viele überlebten nicht.
Besuche bei Zeitzeugen
Bisherige Ergebnisse der Initiativenarbeit: Eine Buchveröffentlichung erinnert an das Schicksal des italienischen FAG-Zwangsarbeiters Leonardo Calossi, Zwangsarbeiter aus der Ukraine wurden eingeladen, die Baracken-Unterkünfte sind dokumentiert, und an die kurz vor Kriegsende von Nazis ermordete 18-jährige, schwangere polnische Zwangsarbeiterin Zofia Malczyk erinnert ein Gedenkstein am Tatort in der Gustav-Adolf-Straße. Die Gruppenmitglieder Dorothee Seidlmayer und Ulrike Cebulla reisten letztes Jahr in die Ukraine und sprachen mit Ex-Zwangsarbeiterinnen und in zwei Fällen mit ihren in Schweinfurt gezeugten und geborenen Kindern. Cebulla: „Jetzt können wir noch mit Zeitzeugen reden, die direkte Begegnung mit persönlichen Schicksalen berührt viel mehr und lässt geschichtliche Ereignisse viel besser nachempfinden.“ Junge Leute fordert sie auf, mit Oma und Opa zu reden, solange „diese familiären Ansprechpartner noch da sind“.
„Zwischendurch“ setzte die Initiative mit SPD-Hilfe durch, dass der Gedenkort an die jüdischen Mitbürger am ehemaligen Synagogen-Standort in der Siebenbrückleinsgasse ein angemesseneres Aussehen erhielt.
Die Gruppe will sich weiter der Aufarbeitung der Zwangsarbeit widmen. Sie fordert von den Unternehmen, die Zwangsarbeiter beschäftigten, die Öffnung der Archive. Sie verlangt von der Stadt, dass an die Zwangsarbeiter in einem Industriemuseum erinnert wird, und sie will ein Zwangsarbeiter-Mahnmal haben.
Die Stadt dürfe nicht nur das Interesse haben, das zu erwähnen, was sie leistet, sondern „auch das, was sie sich leistete“, sagt Erl. Das öffentliche Schweinfurt müsse sich mehr auch dieser Zeit öffnen. Erl nennt das Schicksal der Zwangsarbeiter ein Verbrechen, und „Verbrechen darf man nicht vergessen“. Das geforderte Mahnmal sei insofern nicht als „Denk(ein)mal, sondern als Denk-Immer“ zu verstehen. „Wir wollen nicht verurteilen, wir wollen Wissen vermitteln“, sagt Hofmann, und Erl ergänzt: „Nur durch Aufarbeitung der Vergangenheit kann es eine Zukunft geben.“
Online-Tipp
Überblick, was in Franken gegen Nazis geschieht: www.mainpost.de Mit Rat und Tat gegen Rechtsextremismus - das Projekt unter Federführung von „Die Zeit“: www.netz-gegen-nazis.de