In den Abiturzeugnissen wird nicht vermerkt, dass die Corona-Pandemie den im Jahr 2021 bayernweit 35 000 Prüflingen besonders viele und auch besonders schwere Steine in den Weg gelegt hat, dass die zumeist jungen Frauen und Männer Überdurchschnittliches für das "ganz normale Abitur" leisten mussten und Qualifikationen gezeigt haben, die aus dem ganz normalen eben doch ein ganz besonderes Abitur gemacht haben.
Während große Teile der Schüler zumindest auf die Unterstützung durch ihre Familien bauen konnten, hatten Mandy und Stefan Blanchard neben der Vorbereitung auf die allgemeine Hochschulreife am Bayernkolleg zusätzlich ihre beiden Kinder (acht und fünf Jahre) zu unterstützen. Dem 31-Jährigen und der 28-Jährigen ist dies mit "Bravour" (so Schulleiterin Gabriele Seelmann) gelungen – wie auch der 37-jährigen Marsela Castellino, die als Alleinerziehende (achtjähriger Sohn) bei der Abiturprüfung den brillanten Notendurchschnitt von 1,4 hinlegte und diesen durch das Mündliche noch auf 1,3 verbessern will.
Schule des Zweiten Bildungswegs
Unter den 230 Schülern des Bayernkollegs (Vorklasse und drei Jahrgangsstufen, Altersdurchschnitt liegt bei 23 Jahren) hat jeder dritte keinen deutschen Geburtsort. Die Schule des Zweiten Bildungswegs in der Florian-Geyer-Straße 13 ist die einzige in Unterfranken, die bei den Zweiten Fremdsprachen (nach Englisch) neben Latein und Französisch Russisch als Abiturfach anbietet. In der Pandemie war von den Schülern vielfach strenges Haushalten gefordert, denn die ansonsten oft genutzten Möglichkeiten, durch Jobs die Finanzen (Bafög) aufzubessern, entfielen. Das stellten vor allem Singles vor einen Kassensturz, sagt Schulleiterin Seelmann, die auch notiert hat, dass ihre Schüler besonderen Wert auf einen guten Abschluss und damit auf die möglichst besten Startchancen beim Neustart in das Berufsleben legen.
Marsela Castellino war vor 18 Jahren aus Albanien nach Deutschland gekommen. Sie arbeitete als Servicekraft und Küchenhilfe in der Gastronomie bis ihr Kind auf die Welt kam und fragte sich drei Jahre später: "Was jetzt"? Eine Freundin wies ihr – die nie eine deutsche Schule, auch keine Sprachschule besucht hat– hat den Weg zum Bayernkolleg. Im Vorkurs, der in etwa zur Mittleren Reife führt (die offiziell aber erst nach einem weiteren Schuljahr bescheinigt wird) zeigte sich, "dass ich es schaffen kann". Marsela Castellino will jetzt Psychologie oder Architektur studieren.
Lernen Teil des Familienlebens
Ihr erfolgreiches Lernen unter Pandemie-Bedingungen führt die deutsche Staatsbürgerin darauf zurück, dass sie akzeptierte, was auf sie zukam und aus der Situation stets das Beste machen wollte. Den Sohn habe sie mit in ihren digitalen Unterricht genommen – bis sich dieser irgendwann ausgeklinkt habe. Gleichzeitig habe sie sich bei den schulischen Herausforderungen für den Sohn eingebracht und dabei keinen Druck gemacht. Die Schule sei so zum Teil des Familienlebens geworden. Im ersten Lockdown sei dies sehr schwer gewesen. Doch die Lehrer am Kolleg hätten sie unterstützt und sich für sie eingesetzt. Genutzt habe sie natürlich auch den Abend und die Nacht und gelernt, sobald der Sohn zu Bett gebracht war.
Schon 2012 hatte sich Mandy Blanchard für das Abitur und den Zweiten Bildungsweg interessiert, den ihr Schwager am Bayernkolleg gegangen war. Doch dann gingen noch fünf Jahre ins Land, fünf Jahre in denen Stefan Blanchard bei seiner Arbeit in der Großindustrie Belastungsgrenzen überschritt und sich beruflich neu orientieren musste. "Dann machen wir es zusammen", hatten sie 2017 beschlossen. Zusammen, das hieß auch mit ihren heute fünf und acht Jahre alten Kindern.
Daheim in der Lerngruppe
"Sehr erfolgreich" (so Gabriele Seelmann) habe die Zweier-Lerngruppe funktioniert. Gegenseitig habe man sich unterstützt und dabei auch eine "gesunde Rivalität" aufgebaut. Gemeinsam habe man gelernt und sich gemeinsam um die Kinder gekümmert, wobei das Bayernkolleg mit viel Verständnis auf die Doppelbelastung reagiert und beispielsweise Freistunden eingeräumt habe.
Spuren habe vor allem und insbesondere beim Nachwuchs der erste Lockdown hinterlassen. "Die Kleinen hatten vieles nicht verstanden" und die Eltern hätten so manches ihnen nicht erklären können. Den jetzt vier Jahre lang beschrittenen Weg will die Lern- und Familiengemeinschaft weitergehen, wobei sich Mandy Blanchard für ein Sprachenstudium, Stefan Blanchard für die Physik entschieden hat.