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Schweinfurt
"In dem Moment hätte man eine Stecknadel fallen hören"
Flutschäden an der Ahr.
Foto: Thomas Lindörfer | Flutschäden an der Ahr.
Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 08.02.2024 16:01 Uhr

In der Sommerhitze wurde der stinkende Schlamm schnell zu toxischem Staub, nach der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal. Sie seien froh gewesen über ihren Corona-Mundschutz, sagen die Schweinfurter Helfer, die zur Pressekonferenz ins Rotkreuzhaus Gorch-Fock-Straße eingeladen haben. Ein unterfränkisches Kontingent hat gerade "Erste Hilfe" am Nebenfluss des Rheins geleistet, zertrümmertes Frontgebiet im Krieg Mensch gegen Natur. BRK-Kreisgeschäftsführer Thomas Lindörfer war selbst zwischen den verwüsteten Ortschaften Schuld und Sinzig unterwegs, als Einsatzleiter bei der Materialverteilung aus der "Bundesvorhaltung" des Deutschen Roten Kreuzes. "Jeder kleine Schritt hilft doch wieder ein Stückchen weiter", sagt Kreisvorsitzende Helga Fleischer zum Einstieg: "Das Thema darf nicht in Vergessenheit geraten."

Vor plötzlichen Katastrophen sei niemand gefeit, betont Lindörfer und fordert Vorsorge. Wann war nochmal der letzte Erste Hilfe-Kurs der Medienvertreter? Wasser, Sturm, Hitze, Schnee, Blackouts können die dünne Decke der Zivilisation jederzeit zerstören. Auf der Homepage befasst sich das BRK mit "Projekt VILSS", es geht um die Verletzbarkeit der kritischen Infrastruktur im Landkreis bei längerem Stromausfall. Das Rote Kreuz hilft im Baukastensystem, modular mit schnellen, meist fünfköpfigen (und ehrenamtlichen) Einsatzgruppen: als Wasserwacht, Mediziner, Betreuer, Transporter oder Psychosoziale Notfallversorger der "PSNV".

Sabine Ruß, stellvertretende Truppführerin der Bootsgruppe, war vor kurzem mit dem Team in Erftstadt, wo eine ganze Bundesstraße versunken ist. Drei ineinander verkeilte LKW ragten noch aus den Schlammfluten: "Es sah aus, als hätten Kinder mit ihnen gespielt." Das Wasser sei verschmutzt und ölig, an Tauchereinsatz nicht zu denken gewesen. In einem Vorort drohte ein Dammbruch, die Wasserwacht half bei der Evakuierung: "Es war sehr bewegend." In solchen Momenten zeige sich der Wert einer guten Fortbildung, lobt Ruß. Was man gesehen habe, das begreife man ohnehin erst hinterher. Thomas Lindörfer erinnert sich an Schuld, wo nur noch Hausfundamente übrig waren, oder ein Gebäude, wo das Wasser zehn Zentimeter unter der Decke gestanden hat, im ersten Stock.

"Erste Hilfe für die Seele" haben PSNV-Fachkräfte wie Gabi Siegmund geleistet, in Ahrweiler: "Wenn man selbst vor Ort steht, bleibt einem erstmal der Atem weg." Sie habe an die Erzählungen ihrer Oma gedacht: "Es war wie im Krieg." Menschen hätten Angehörige vermisst oder betrauert, einige nur noch das besessen, was sie am Körper getragen hätten. Manche Szenen haben sich eingeprägt: Der Wirt, der Morast von den Tellern seiner Gaststätte wischt. Oder das Schlammfeld eines überschwemmten Friedhofs, wo Gabi Siegmund mit einem Suppenlöffelchen gegraben hat, zusammen mit einem alten Mann, um ein Grablicht zu finden: "Eine Erinnerung an seine Schwester". Auch die Einsatzkräfte selbst seien nur Menschen, bräuchten in solchen Extremsituationen seelische Unterstützung.

Maximilian Sauter war als stellvertretender Leiter des Betreuungskontingents Unterfranken für die Verpflegung der Bevölkerung verantwortlich, mit der Schweinfurter Feldküchen-Gruppe und zwei weiteren Gulaschkanonen: "Wenn kein Strom und kein Wasser mehr da sind, werden elementare Dinge wie Essen sehr wichtig." Der Begriff "Gulaschkanone" führe in die Irre: "Eine Feldküche kann richtig gut kochen." Einsatzort war der "Mosesparkplatz" in Bad Neuenahr, benannt nach einem benachbarten Kaufhaus, die Helfer waren in einem Hotel-Rohbau untergebracht. 5000 Personen wurden täglich versorgt, die Leute seien freundlich gewesen und dankbar. Am letzten Tag, als die Ablösung kam, da hätte es eine "Schweigeminute" gegeben, zehn Minuten lang, für 150 Leute: "In dem Moment hätte man eine Stecknadel fallen hören."

Die Blaulichtphase gehe jetzt in den Wiederaufbau über, sagt Thomas Lindörfer. "Labor 5000" nennt sich das Bundeskonzept, mit zehn Einheiten aus dem Stand je 5000 Menschen versorgen zu können, in Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz. Aktuell braucht es "Krisenmanagement" für 41 000 Betroffene. Frischwasserversorgung und Handy-Kommunikation wurden neu aufgebaut, Strom kam vom Spezialanhänger. Auch Hygiene sei ein wichtiges Thema: "Die Kläranlagen sind nicht mehr existent." Nun wird es eine eigene Rotkreuzkläranlage geben, Flüssiggastanks sollen der Energieversorgung dienen. Bei Ahrweiler ist ein Verpflegungsplatz für 10 000 Menschen entstanden. Noch seien vielen Obdachlose bei Freunden oder Bekannten einquartiert, längerfristig wird es auf Container hinauslaufen, in der kalten Jahreszeit. Die Solidarität der freiwilligen Helfer sei großartig, lobt Lindörfer, es gehe nicht zuletzt darum, Hoffnung zu geben. Gespendete Hilfsgüter brauche es aber nicht, die Sortierung und der Transfer wären zu aufwendig. Über eine Großspende hat sich die Truppe von Maximilian Sauter aber doch gefreut. 30 000 Eier wurden zu Kaiserschmarrn verarbeitet, zumindest die, die komplett ankamen: "Die werden uns immer verfolgen."

Berichteten vom Rotkreuz-Einsatz an der Ahr (von links): Thomas  Lindörfer, Helga Fleischer, Sabine Ruß, Gabi Siegmund und Maximilian Sauter.
Foto: Uwe Eichler | Berichteten vom Rotkreuz-Einsatz an der Ahr (von links): Thomas Lindörfer, Helga Fleischer, Sabine Ruß, Gabi Siegmund und Maximilian Sauter.
Impressionen einer Jahrhundert-Katastrophe: Kinderwagen und zerstörter Hausrat in Ahrweiler.
Foto: Thomas Lindörfer | Impressionen einer Jahrhundert-Katastrophe: Kinderwagen und zerstörter Hausrat in Ahrweiler.
Überreste eines Wohnwagens im Ahrtal.
Foto: Thomas Lindörfer | Überreste eines Wohnwagens im Ahrtal.
Eine DRK-Feldküche im Einsatz in Sinzig.
Foto: Thomas Lindörfer | Eine DRK-Feldküche im Einsatz in Sinzig.
 
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