Susanne wird mit drei schnurrbärtigen Herren ins Becken steigen. Mit vier, rechnet man Tierlehrer Roland Duss dazu. Aber die Hauptpersonen sind Chico, Joe und Tino, drei der vier Seelöwen des Circus Krone. Charlie, der vierte, ist mitunter ein wenig ungestüm, weswegen er hier nicht dabei ist. Susanne Wiedemann, Redakteurin beim Tagblatt, hat die Einladung angenommen, eine Runde mit den Jungs zu schwimmen. Der Circus stellt einen Neopren-Anzug, Roland Duss macht die Herrschaften miteinander bekannt, und schon kann's losgehen.
Besondere Direktiven gibt es keine. Die Seelöwen sind in ihrem 84 Quadratmeter großen Becken routinierte Gastgeber und begrüßen Susanne gelassen und gemäßigt neugierig. Sie gleiten ansonsten als bronzene Schatten im blauen Becken dahin, den Kopf heben sie nur aus dem Wasser, um zu sehen, wann Roland Duss denn nun endlich mit dem Fischeimer zu Potte kommt.
Duss verbindet Gästeschwimmen und Fütterung. Sechs bis acht Kilo Seefisch fressen die Seelöwen pro Kopf und Tag, macht 500 Kilo pro Woche. Den Fisch gibt es häppchenweise aus dem Eimer, die Jungs müssen dazu nicht unbedingt Kunststücke vollführen, aber beschäftigt werden wollen sie schon. Wofür allerdings in erster Linie der Gast zuständig ist.
„Ich habe mir als Kind drei Sachen gewünscht“, sagt Susanne, „ein rotes Motorrad, das Halsband der Königin und einen Seelöwen.“ Teil drei geht nun zumindest für eine halbe Stunde in Erfüllung. Nach etwa drei Sekunden hat Susanne bereits Tino im Arm. Tino ist der Verschmuste. Joe der Charmeur.
Chico ist mit seinen 23 Jahren der Routinier. Er ist mit 180 Kilo auch der weitaus Wuchtigste, was man ihm im Wasser aber nicht anmerkt. Sobald die Jungs abtauchen, beruhigt sich die Wasseroberfläche. Dann gleiten sie wieder ohne erkennbare Flossenbewegung dahin. Kalifornische Seelöwen können zehn Minuten unter Wasser bleiben, ohne Luft zu holen, und sie können tief tauchen, bis zu 80 Meter, sagt Roland Duss.
Sie seien intelligenter als Hunde, vermutlich sogar intelligenter als Delfine. „Und sie können ziemliche Minimalisten sein“, so der schweizer Tierlehrer. Das heißt, dass sie in der Manege schon mal ein Kommando ignorieren, nach dem Motto „Wer? Ich?“ Fast scheint es, als grinsten die Jungs, während ihr Chef das erzählt. Wie ihre schmalen Gesichter ohnehin ständig in Bewegung sind. Sie klappen den Schnurrbart vor und zurück, lächeln oder runzeln die Stirn, wenn der Nachschub nicht schell genug kommt.
Sobald sich Roland Duss dem Eimer nähert, der außerhalb des Beckens steht, recken sie die Köpfe aus dem Wasser und grunzen, dass es über den ganzen Platz schallt. Joe schiebt den Chef sogar noch Richtung Eimer. „Wenn einer von denen morgens um sieben aufwacht und beschließt, er will jetzt Frühstück, dann steht der ganze Circus im Bett“, erzählt Duss, und wieder grinsen seine Seelöwen.
Sobald eine Runde Fischhäppchen vertilgt ist, wird Susanne wieder interessant. Zum Beispiel als Passagier auf dem Rücken. Chico zieht sie völlig mühelos durchs Becken, die Bugwelle ist gewaltig. Susanne strahlt. „Die Tiere fühlen sich an wie ein einziger Muskel. Mann spürt in jedem Moment ihre Stärke, und doch sind sie total sanft“, wird sie später erzählen. Einmal bremst einer der Jungs nicht rechtzeitig ab und rammt ihr die nasse Nase ins Gesicht. „Das fühlt sich warm und weich an. Und ziemlich wuchtig.“
Beliebt ist auch die Figur „Push“: Susanne legt sich auf den Rücken, und je ein Seelöwe drückt ihr eine Nase an den Fuß und schiebt. Funktioniert prima. Dann gibt es doch noch ein Kunststück: Susanne und Roland Duss halten ein Plastikrohr hoch, die Seehunde springen drüber. Kurioserweise scheint das ohne Anlauf zu funktionieren. Sie steigen einfach aus dem Wasser und tauchen jenseits des Rohres ohne Platsch ein.
Im Freiluftbecken ist Süßwasser („Rhöner Quellwasser“, wie Pressesprecherin Susanne Matzenau sagt), im Lkw nebenan haben die Jungs Salzwasser. An der Stirnseite des Beckens gibt es eine Sonnenterrasse, und wer keine Lust auf Publikum hat, kann sich jederzeit in den Lkw zurückziehen. Treppen sind für einen Seelöwen kein Hindernis. Medienrummel sind die Jungs im übrigen gewöhnt. Sie haben abwechselnd die Titelfigur in der ZDF-Serie „Hallo Robbie“ gespielt. Chico zum Beispiel war immer das Gesicht.
Sie alle sind in Gefangenschaft geboren, ihr Leben beim Circus und beim Film ist möglicherweise abwechslungsreicher als das mancher Menschen. Im Becken mit Susanne scheinen die Jungs jedenfalls ihren Spaß zu haben. Umso belastender empfindet es Roland Duss, wenn er immer wieder als Tierquäler angefeindet wird.
Hin und wieder kann man sich als Seelöwe sogar Eskapaden herausnehmen. So ist Charlie bei den Dreharbeiten auf Rügen einmal ausgerissen, in eine Fischfabrik eingebrochen und hat 30 Kilo Fisch vertilgt. Und abends stand der ertappte Ausreißer wieder bei der Fütterung mit einem empörten Gesichtsausdruck, der sagte: „Was, ich kriege nichts?“
Dass es Leute gibt, die auf diese Tierquälerei hinweisen, stört Herrn Duss.
Dass er den Tieren ein artgerechtes Leben verwehrt, stört ihn nicht.
Auch der Deutsche Bundesrat hat 2011 ein Wildtierverbot im Zirkus beschlossen, welches jedoch bisher an der aktuellen Mehrheit im Bundestag scheiterte.
http://www.spiegel.de/panorama/artgerechte-haltung-bundesrat-fordert-wildtierverbot-in-zirkussen-a-799893.html