
Das südliche Mittelmeer vor Lampedusa ist ein Massengrab: Am Osterwochenende bekamen Europas Leser und Fernsehzuschauer das Elend vor Europas Küsten wieder vors Auge geführt. Das private Rettungsschiff „Sea-Eye“ musste SOS funken, beim Versuch, afrikanischen Bootsflüchtlinge zu helfen. Das grüne Schiff der gleichnamigen Flüchtlingshilfs-Initiative aus Regensburg geriet selbst in Seenot.
Ähnlich erging es der „Iuventa“, Schiff einer Partnerorganisation aus Berlin. Allein an Bord der „Sea-Eye“ (der ehemalige DDR-Fischkutter „Sternhai“) drängten sich plötzlich 200 Menschen, das Wetter wurde schlechter. Neun Schiffbrüchige ertranken vor den Augen der hilflosen Helfer, darunter eine schwangere Frau. Schließlich übernahmen größere Schiffe die Geretteten, die durch die zentrale Seenotrettungsstelle in Rom, der MRCC, herbeigerufen worden sind.
14 Tage an Bord
In Malta soll nun eine neue Crew an Bord. Darunter befinden sich auch zwei junge Wipfelder, die gerade für ihren Abflug packen: Bernd Schneider und Luisa Englert. Sie bleiben 14 Tage an Bord.
„Ich hab mich schon immer ein bisschen dafür interessiert“, sagt die künftige Ärztin, die in Würzburg gerade ihr Medizinstudium abschließt. Die 28-jährige Medizinstudentin kennt die Schicksale der Heimatlosen von der Asyl-Erstaufnahmeeinrichtung in Schweinfurt. Ihr Lebensgefährte Bernd Schneider (34), arbeitet bei der Feuerwehr und bringt fünf Jahre Erfahrung im Sanitätsdienst der Johanniter mit.
Sea-Eye war da die „naheliegendste“ Organisation dieser Art. Gegründet wurde sie 2015 durch den Regensburger Unternehmer Michael Buschheuer und seinen Onkel Hans-Peter: Die beiden Hobbysegler wollten 2015 nicht länger, vom globalen Oberdeck aus, den Ärmsten der Armen beim Untergang zusehen. 3800 Migranten sind offiziell im letzten Jahr im Mittelmeer ertrunken, die Dunkelziffer ist hoch. Demnächst wird die „Seefuchs“ hinzustoßen.
Helfer zahlen ihre Flugkosten selbst
Den Flug zahlen die Ehrenamtlichen selber, Kost und Logis auf dem ehemaligen Fischereischiff sind frei, Komfort wird nicht versprochen. „Wir waren im Sommer in Urlaub, wenn man da am Meer sitzt und drüber nachdenkt, dass anderswo die Menschen ertrinken, da fragt man sich schon, wie so etwas in der heutigen, zivilisierten Welt möglich ist“, sagt Luisa. Natürlich mache sich die Familie Sorgen, angesichts der dramatischen Bilder. „Der Mama schlägt das Herz bis zum Hals.“ Angst habe sie nicht, nur Respekt vor den Eindrücken und Bildern, die da draußen warten: „Was ist das schon im Verhältnis zum Risiko, das die Flüchtlinge eingehen?“
Die Meisten könnten nicht schwimmen, hätten keine Rettungsweste, in völlig überfüllten, seeuntüchtigen Nussschalen – dort, wo sich das Mittelmeer nicht als Touristenidyll zeigt, wie an der kroatischen Adria. „Es ist keine Urlaubsreise und soll auch keine sein“, sagt Bernd Schneider, der im Herbst auf einer Überführungsfahrt der „Sea-Eye“ dabei war, von Malta zum Winterhafen auf Sizilien, sowie auf einer weiteren Testfahrt. Unter der achtköpfigen Crew sind die beiden Wipfelder wohl die einzigen ohne Hochsee-Erfahrung. Bernd Schneider hat immerhin einen Bootsführerschein, Wipfeld liegt schließlich am Main.
Eigenschutz geht vor
Seine Partnerin wurde auf dieser Fahrt zur Medienbeauftragten ernannt, aber auch zur Kontaktperson im Außeneinsatz: „Sobald wir ein Flüchtlingsboot sichten, steigen wir in ein Schlauchboot.“ Als Dreierteam geht es dann hinaus zur Erstversorgung, gemäß Standardprozedur: die afrikanischen Schiffbrüchigen müssen angesprochen, beruhigt, mit Rettungswesten und Lebensmitteln versorgt werden, vor allem mit Wasser, unter sengender Sonne.
Es gab bereits Infotreffen und erste Einweisungen in Regensburg. Eine Grundregel besagt, die Boote vom Heck her anzufahren, damit die Insassen nicht an die Außenwand drängen und ihre Seelenverkäufer in Panik zum Kentern bringen. Allzu oft war das der Auftakt zur Katastrophe. Und: „Eigenschutz geht vor.“
Um alle Insassen aufzunehmen, ist die „Sea-Eye“ zu klein, Schwerverletzte können an Bord versorgt werden. Rettungsinseln sorgen für Entlastung, ansonsten wird über das MRCC in Rom ein SOS-Notruf abgesetzt. Alle Großschiffe in der Nähe sind dann zur Hilfeleistung verpflichtet, die Küstenwache sowieso.
Keine Kontakte zu den Schleusern
Bernd Schneider macht sich über das Elend keine Illusionen: Männer, Frauen, Kinder kauerten in Lachen aus Salzwasser, Erbrochenem, Exkrementen, nicht selten mit Schuss- oder Schnittwunden. Die primitiven Transportmittel seien meist nicht mal aus Holz: „Es sollen schon Leute von der afrikanischen Küste hinterhergefahren sein und noch den Motor geklaut haben.“ In Libyen herrsche Chaos. Farbige Afrikaner landeten dort oft in Auffanglagern, unter grausamen Bedingungen.
Die Rettungsschiffe haben Order, sich von den Gewässern des gescheiterten Gadaffi-Staates fernzuhalten. Es ist kein Geheimnis, dass sich die europäische Grenzschutzagentur Frontex wenig über die ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer freut. Das offizielle Europa setzt auf Abschottung – und Abschreckung. Man leiste unpolitische, humanitäre Nothilfe, betont Luisa Englert, mit den Schleusern in Nordafrika gebe es keine Kontakte.
„Die Menschen würden so oder so kommen“, glaubt Bernd Schneider: „Wer sich in so eine Gefahr begibt, hat zuhause nichts mehr zu verlieren.“