Zum 1. August dieses Jahres hat der Landtag des Freistaats das neue Bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (BayPsychKHG) beschlossen. Unter anderem sieht es vor, dass alle sieben Bezirke spätestens bis zum 1. Juli 2021 einen Krisendienst mit Leitstelle und mobilen Fachkräften bereitstellen, an den sich Menschen in psychischen Ausnahmesituationen rund um die Uhr wenden können. Ein solches Krisennetzwerk soll ähnlich wie die Polizei mit der Nummer 110 oder die Feuerwehr und der Rettungsdienst mit der 112 eine eigene Notrufnummer erhalten, die Betroffenen wählen können und telefonische und – sofern erforderlich – auch Hilfe vor Ort erhalten.
Wie die Umsetzung einer solchen Leitstelle im Bezirk Unterfranken konkret aussehen soll, ist noch nicht geklärt und wirft bei etlichen beteiligten Gruppen, darunter bestehende Krisendienste, Sozialverbände oder Sozialpsychiatrische Dienste, viele Fragen auf. Das nahm die Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft Main Rhön (PSAG) zum Anlass, sich im Rahmen ihrer Vollversammlung im Antonia-Werr-Zentrum diesem Thema unter der Überschrift „Krise ist nicht gleich Krise“ anzunehmen.
Flächendeckendes Krisennetzwerk aufbauen
Eingeladen war auch Dr. Gebhard Angele, Psychiatriekoordinator des Bezirk Unterfranken. Er erläuterte, was bislang in die Wege geleitet wurde und was künftig geplant ist. So sei bereits eine Steuerungsgruppe des Bezirks gegründet worden, die eine Liste von Akteuren erstellt, eben erwähnte bestehende Krisendienste, Sozialverbände und sozialpsychiatrische Dienste aus der Region. Aus diesen Akteuren soll eine Projektgruppe formiert werden, die ab dem Frühjahr und Sommer das flächendeckende Krisennetzwerk aufbaut. Finanziert würde das vom Land mit einer noch unbekannten Summe. Mit dem Krisennetzwerk würden zehn Personalstellen entstehen. Eine einheitliche Telefonnummer steht noch nicht fest.
Darüber hinaus hat die PSAG Main Rhön auch Waltraud Stubenhofer eingeladen. Sie leitet den seit 28 Jahren bestehenden, kostenlosen Krisendienst in Würzburg und berichtete dem Fachpublikum von ihren Erfahrungen. So gibt es einen Tagdienst für die Stadt und den Landkreis Würzburg, für die Stadt und den Landkreis Kitzingen sowie für den Landkreis Main-Spessart. Darüber hinaus gibt es einen Bereitschaftsdienst von 18.30 bis 0.30 Uhr, der für den ganzen Bezirk Unterfranken zuständig ist. Angefahren werden jedoch nur Klienten, die binnen 30 Minuten zu erreichen sind. Der Würzburger Krisendienst ist unter Tel. (09 31) 57 17 17 erreichbar. Das Team besteht aus vier hauptamtlichen Mitarbeiterinnen im Tagdienst und etwa 35 ehrenamtlichen Fachkräften im Bereitschaftsdienst.
450 Personen rufen den Krisendienst an
Laut Stubenhofer wenden sich tagsüber jährlich etwa 450 Personen an den Dienst. 35 bis 40 Prozent seien Angehörige. Abends und nachts rufen mit etwa 400 Personen etwas weniger an. „In den meisten Fällen muss man nicht rausfahren, sondern kann die Personen telefonisch beruhigen und etwa für den nächsten Tag einen persönlichen Termin vereinbaren“, so Stubenhofer. Von ähnlichen Szenarien weiß auch Thomas Kim, Vorsitzender der PSAG Main Rhön: „In Oberbayern wurde das flächendeckende Krisennetzwerk bereits umgesetzt. Ein Ausrücken ist allerdings nur in zehn Prozent der Fälle erforderlich.“
Kim moderierte die anschließende Podiumsdiskussion mit Rainer Müller vom Gesundheitsamt Bad Kissingen, Thomas Bogun vom Sozialpsychiatrischen Dienst Bad Kissingen, Paul Strobel vom Sozialdienst des Krankenhauses für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Schloss Werneck (KPPPM) sowie Waltraud Stubenhofer. Die Experten und auch das Publikum hatten hier die Möglichkeit, ihre Hoffnungen, Bedenken und Fragen zum Ausdruck zu bringen.
Betroffene sofort mit Experten verbinden
Paul Strobel etwa sieht im flächendeckenden Krisennetzwerk die Chance, dass weniger Menschen gegen ihren Willen in Einrichtungen untergebracht werden müssen, weil man durch den Dienst früher intervenieren könne. Die Voraussetzung hierfür ist eine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit, so dass die einheitliche Rufnummer – sobald sie denn feststeht – so bekannt wie möglich wird.
Waltraud Stubenhofer schließt sich dem an und erzählt, dass bei ihrem Krisendienst sehr häufig Menschen anrufen und sich mit dem Satz melden: „Ich weiß ja nicht, ob ich bei Ihnen richtig bin.“ Laut der erfahrenen Krisendienstleiterin ist das Problem bislang oft, dass die Menschen einfach nicht wüssten, wohin sie sich in psychischen Notlagen wenden können. „In Ausnahmesituationen wird aktuell oft einfach die 112 gewählt“, weiß auch Thomas Kim. Das ist nicht falsch oder gar verboten. Aber zielführender ist es, künftig eine Nummer zu wählen, wo Betroffene sofort mit einem Experten, wie etwa einem Psychologen, Psychiater oder einer pädagogischen Fachkraft verbunden werden, die die jeweilige Situation besser einschätzen und handeln kann.