Über der ehemals Freien und Reichsstadt muss ein Hauch von "Independence Day" geweht haben, am frühen Pfingstmontag, 31. Mai 1909. Wie im Science-Fiction-Film tauchte ein Ufo über Schweinfurt auf, nachts um halb vier: Es war der Zeppelin LZ5 , der die Schweinfurter mit tiefen Surren und Brummen weckte, auf Rekordfahrt vom Bodensee nach Bitterfeld: Die Reaktionen der Bevölkerungen auf das 130 Meter lange Luftschiff wurden in einer launigen Postkarte verewigt. In Niederwerrn sprachen die Leute halb scherzhaft, halb ehrfurchtsvoll vom "Heiligen Geist", der da in 200 Meter Höhe schwebte, als silbergrauer Gigant der Lüfte. Die Gaststätte "Zum Grafen Zeppelin" erinnert bis heute an das Ereignis.
"Als Schweinfurt das Fliegen lernte" ist die aktuelle Wechselausstellung im Industriemuseum überschrieben: die eigentlich 2020 eröffnet werden sollte, aus bekannten irdischen Gründen aber erst mit Verspätung abheben konnte. Nun wurde der Start nachgeholt, im Beisein von Oberbürgermeister Sebastian Remelé.
Verein durfte sich über Zuschüsse für die Ausstellung freuen
Das ehemalige Kleine Industriemuseum, in der Kunstmühle an der Gutermann-Promenade 1, ist flügge geworden. Das "klein" wurde gestrichen, auch ein neues Zahnrad-Logo kreiert, für den 2015 eröffneten Präsentationsort des AKI, alias Förderkreis für Industrie-, Handwerks- und Gewerbekultur Schweinfurt. Der 28 Jahre alte Verein durfte sich für die Ausstellung über kräftige Zuschüsse freuen: von der Kulturstiftung Schweinfurt ebenso wie von der Museumsförderung des Freistaats. Das Geld wurde gut investiert, unter anderem in ein 70 Seiten starkes Begleitheft.
Die Stadt, die heute globale Luft- und Raumfahrtgrößen mit Spezialkugellagern beliefert, war beim Himmelssturm des Menschen von Anfang an dabei. Schon 1795 hat ein Franzose namens de Droit einen Heißluftballon auf der Breiten Wiese gestartet, in Höhe der heutigen Firma Leimeister: "zum Klang von Trompeten und Waldhörnern", wie es in der alten Raßdörfer-Chronik heißt. Als die unbemannte Montgolfiere nahe Krum bei Zeil niederging, verhielten sich die Bauern zeittypisch – und attackierten das brennende Ungeheuer mit Prügeln und Latten.
Lufthansa-Boeing und ein Airbus auf den Namen "Schweinfurt" getauft
1912 tauchte der erste Motorflieger über der Stadt auf und vollführte Kunststückchen. Auf den Oberndorfer Wiesen gab es ab 1925 sogar ein eigenes Fluggelände der Fliegervereinigung. Bereits 1928 wurde das Projekt Schweinfurter (Regional-)Flugplatz aus Kostengründen wieder eingestellt. Ein eigenes, trauriges Kapitel war die Aufrüstung in der NS-Diktatur und der Luftkrieg. Bis heute Bestand hat der Flugplatz Schweinfurt-Süd (gegründet 1950). Flugpioniere wie Heini und Edgar Dittmar lenkten Segel- oder Raketenflieger. Später wurden eine Lufthansa-Boeing und ein Airbus auf den Namen "Schweinfurt" getauft.
Zu der Zeit flogen Kugellager längst vom Main Richtung Sterne: Die FAG hatte 1969, im Jahr der Mondlandung, den Zukunftsmarkt Weltraum entdeckt. In Schubumlenkklappen von Strahltriebwerken müssen die Wälzlager 600 Grad Hitze oder mehr aushalten. Vergleichsweise gemütlich hatte es 2012 der Mars-Rover "Curiosity", der mit Lagern von FAG Aerospace auf dem Roten Planeten gelandet ist. Modelle und Werbeanzeigen künden vom Schweinfurter Beitrag zu mehr als hundert Jahren motorisierter Luftfahrt, sei es mit Gashülle, Propeller oder Düse.
Bis November ist die Ausstellung jeden zweiten und vierten Samstag zu sehen
Bis November ist die Ausstellung (kostenfrei) zu sehen, an jedem zweiten und vierten Samstag im Monat von 14 bis 18 Uhr, ebenso für angemeldete Gruppen mit bis fünf Personen, unter Corona-Auflagen (via museumsfuehrung@aki-schweinfurt.de). AKI und Museum zeigen auf Instagram, Facebook und Youtube Flagge, eine Homepage ist im Aufbau.
Außer mit Firmen und Sponsoren arbeite man verstärkt mit der Stadt zusammen, berichtet Thomas Bauer, der die Ausstellung als Initiator begleitet hat. Insbesondere zum Team der Kulturforumsleiterin Katharina Christ bestünden gute Kontakte. Der Verein sei trotz Corona-Flaute von 42 auf über 60 Mitglieder aller Generationen gewachsen.
Die Digitalisierung von Geschäftsstelle (in der Ignaz-Schön-Straße) und Museum schreitet voran, wo ein Touchscreen-Bildschirm installiert worden ist. Künftig sollen verstärkt die Themen Handwerk und Gewerbe eingebunden werden, die nächste Sonderausstellung wird sich um Linearlager drehen. Um das Erbe von 250 Jahren Schweinfurter Industriegeschichte wahren zu können, braucht es allerdings Spenden, etwa durch eine Fördermitgliedschaft.