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SCHWEINFURT
Hoch verehrt und doch vergessen
Christoph Martin Wieland: „Der Goldne Spiegel“, 1772.
Foto: Museum Otto Schäfer | Christoph Martin Wieland: „Der Goldne Spiegel“, 1772.

Von unserem Redaktionsmitglied

Katharina Winterhalter

 |  aktualisiert: 11.12.2019 15:35 Uhr

Er wurde hoch verehrt und aufs heftigste kritisiert, er war im 18. Jahrhundert der meist gelesene Autor in Deutschland und gut 100 Jahre später fast vergessen, seine Sprachgewandtheit wurde von Goethe und Schiller gelobt, aber sein Hochmut stieß viele vor den Kopf. Dieser Christoph Martin Wieland (1733-1813) muss ein außergewöhnlicher Mann gewesen sein und sein Leben gäbe einen idealen Filmstoff ab, wäre er nur ein wenig bekannter.

Rund um seinen 200. Todestag am 20. Januar gibt es eine Reihe von Ausstellungen im deutschsprachigen Raum. Das Museum Otto Schäfer präsentiert eine Auswahl aus seinem reichen Bestand an Erstausgaben von Wieland, der mit Goethe, Schiller und Herder das Viergestirn der Weimarer Klassik bildete.

Die Ausstellung erschließt sich nicht beim schnellen Durchlaufen, am besten bei einer Führung. Außer einem Bleistift- und Tuscheporträt Wielands von Georg Melchior Kraus sind ausschließlich Schriften in Vitrinen zu sehen. Wieland, Sohn eines protestantischen Pfarrers in einem schwäbischen Dorf nahe Biberach an der Riß, war intellektuell frühreif, sagt Georg Drescher, Leiter des MOS. Er fängt als christlicher Dichter an, bricht das Jurastudium ab und wird mit 19 von Johann Jacob Bodmer nach Zürich gerufen.

In diesem Jahr, 1752, erscheint eine seiner ersten Publikationen, „Die Natur der Dinge“, in der er seine platonische Liebe zu seiner Base Sophie Gutermann feiert. Noch in der Schweiz wird sich Wieland aber von der schwärmerisch pietistischen Poesie des Bodmer'schen Kreises lösen. Die allmähliche Abkehr zeigt sich im Drama „Lady Johanna Gray“. Das Werk nimmt eine Sonderstellung ein, nicht etwa weil Wieland ein großer Dramatiker gewesen ist, sondern weil er das erste deutsche Drama in Blankversen (also reimlos) verfasst.

Wieland war in vielem der Erste, er war ein Vorreiter. Thomas C. Starnes, der viele Jahre über ihn geforscht hat, nennt ihn den Vater des modernen Entwicklungsromans, den ersten deutschen Übersetzer von Shakespeare, Librettist der ersten modernen deutschen Oper, Gründer und Herausgeber der ersten erfolgreichen belletristischen Zeitschrift in Deutschland. Als Wieland Shakespeare übersetzt (1762-66) ist er wieder in Deutschland. Man hat ihn 1760 zum Senator und Kanzleiverwalter in Biberach berufen. Für seine Übersetzung wird er verehrt und gescholten. Weil er sich in Kommentaren selbst lobt, wirft man ihm Hochmut und Selbstüberschätzung vor.

Die Biberacher Zeit ist eine fruchtbare, auch weil Wieland Anschluss an die gebildete adelige Gesellschaft auf dem nahen Schloss Warthausen findet. Dort kennt man nicht nur die von ihm geliebte englische und französische Literatur, man besitzt sie auch. Dank des Zugangs zur großen Bibliothek bildet Wieland seinen neuen Stil aus. Drescher nennt ihn den Autor des Anmutigen, leicht Frivolen, auch Scherzhaften. 1764 erscheinen „Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva“. Sein erstes komisches Werk ist eine Adaption des Don Quichotte ins 18. Jahrhundert.

Wenige Jahre später veröffentlicht er das große Werk „Agathon“, den ersten psychologischen Bildungsroman. Wie viele seiner Werke spielt die Handlung in der Antike, Wieland beschreibt die Entwicklung eines Jünglings und damit im Prinzip seinen eigenen Werdegang. Goethe lässt später seinen Titelhelden Wilhelm Meister den „Agathon“ als seinen Seelenverwandten bezeichnen. Selbst Schiller, der eine kritische Position zu Wieland einnahm, bezeichnete den „Agathon“ als unsterblich.

1769 wird Christoph Martin Wieland an die Universität Erfurt berufen. Die Ausstellung zeigt auch Schriften aus dieser Zeit, darunter „Musarion oder die Philosophie der Grazien“. Wielands Grazien vereinen einen gleichzeitig sittlichen wie sinnlichen Lebenswandel. Drei Jahre später beruft Herzogin Anna Amalie den berühmten Autor an ihre Residenz und zum Erzieher des Erbprinzen Carl August. Wieland kommt also als erster des Viergestirns nach Weimar und wirkt dort ab 1775 als freier Schriftsteller. Er gründet nach französischem Vorbild die erste literarische Zeitschrift„Der deutsche Merkur“, die viel länger als die Zeitschriften seiner Kollegen existiert, nämlich bis 1810.

Viele seiner Werke veröffentlicht er im Merkur, bevor sie als Buch erscheinen, zum Beispiel seinen Roman „Geschichte der Abderiten“, die als Abrechnung mit dem Spießertum in deutschen Kleinstädten gelesen werden kann, auch wenn sie in der Antike spielt. Auch „Alceste“, seine erste Oper mit deutschem Libretto, schreibt er in dieser Zeit.

Zu den rund 60 Editionen des Museums Otto Schäfer von Wieland gehört auch die berühmte Gesamtausgabe, verlegt von Georg Joachim Göschen. Mit seinem äußerst selbstbewussten Vorwort stößt Wieland einmal mehr seine Kollegen vor den Kopf. In den berühmten Xenien (eine Art polemische Streitschriften) antworten Goethe und Schiller darauf und verschonen auch den Verleger Göschen nicht. Wieland stirbt 1813 in Weimar. Georg Drescher nennt ihn einen Schriftsteller des Ancien Régime, mit dem er untergeht.

Christoph Martin Wieland: Museum Otto Schäfer, bis 14. Juli.

Christoph Martin Wieland, Porträt von Georg Melchior Kraus, um 1776, Bleistift und Tusche, aus der Sammlung Rückert.
Foto: Museen und Galerien | Christoph Martin Wieland, Porträt von Georg Melchior Kraus, um 1776, Bleistift und Tusche, aus der Sammlung Rückert.
 
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