In seinem Berufsleben ist es für den Geusfelder Kilian Sauer hoch hinausgegangen. Als Verputzer ist der mittlerweile 80-Jährige im weiten Umkreis zwischen Main, Steigerwald und Regnitz auf den höchsten Gebäuden und damit auf den höchsten Gerüsten herumgeklettert. Die Arbeit auf dem Bau war indes zu jener Zeit stets gefährlich und wahre Knochenarbeit.
„Wir waren wie Sklaven“
Die Maschinen waren rar und die Materialien nicht vergleichbar mit denen, wie sie heute im Baumarkt im Angebot sind. Kilian Sauer beim Blick zurück: „Das kann man sich alles heute nicht mehr vorstellen, wie wir gearbeitet haben. Wir waren wie Sklaven.“
Es begann schon mit der dreijährigen Lehre als „Stift“ im Jahr 1952, wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Sommer legte Kilian Sauer den Weg nach Gerolzhofen auf der mehr schlecht als recht geschotterten Straße über Michelau und Dingolshausen mit dem Rad zurück. Im Winter stieg er in aller Frühe um 5.30 Uhr in den Bus ein. Erst um 18 Uhr war er am Feierabend wieder daheim in Geusfeld.
Heute unvorstellbare zehn lange Stunden am Tag mussten die Lehrlinge arbeiten. Und auch nach Ende des Berufsschulunterrichts war für sie noch nicht Schluss. Danach mussten sie nochmals für zwei Stunden beim Arbeitgeber antreten.
28 Jahre lang arbeitete der bekannte Geusfelder bei der Gerolzhöfer Maler- und Verputzerfirma von Valentin Förster. Hier war er schon in die Lehre gegangen. Später war er dann nochmals bis zur Rente fast 20 Jahre als Maler und Verputzer bei der Wustvieler Firma von Bernhard Oppelt beschäftigt.
Viele Ortschaften von oben gesehen
Das sogenannten Hochhaus oder der Weiße Turm in Gerolzhofen zählten wie so mancher Kirchturm und manches Rathaus zu den Baustellen, auf denen Kilian Sauer zugange war. So dürfte er die Ortschaften und Städte in seiner Heimat von oben gesehen haben, wie nur wenige andere. Kein Gerüst war ihm zu hoch, kein Weg über die Bohlen zu weit, um Kelle und Pinsel zu schwingen.
Mangels größerer Baufahrzeuge und Lieferanten wie heute, wurde das gesamte Material anfangs auf den Handwagen gepackt und an der Deichsel auf die Baustelle gezogen. So gelangten der benötigte Zement, Kalk und Sand von der Baustoffhandlung Bördlein neben dem Butterwerk am Bahnhof mühsam auf die Baustellen im Stadtgebiet. Damals lagen sie vorwiegend in der Alten Siedlung, im Lülsfelder Weg oder in der Schallfelder Straße, eben immer da, wo gerade neue Häuser entstanden.
Auch und gerade die Holzgerüste waren Handarbeit und somit eine Wissenschaft und Herausforderung für sich. Von modernen High-Tech-Leitergerüsten aus Leichtmetall war weit und breit noch eine Spur.
Die zehn bis zwölf Meter langen Fichtenstangen für das Gerüst am 1968/1969 errichteten, 25 Meter hohen Gerolzhöfer „Hochhaus“ der Wohnungsbaugenossenschaft wurden selbst aus dem Geusfelder Gemeindewald geholt und bearbeitet, wie Sauer berichtet. Mit Hanfstricken wurden Stangen und Bohlen zusammengebunden und die Holzbretter mit Nägeln fixiert. Eine Woche lang hat es im Schnitt gedauert, bis das Gerüst stand. Auch ohne Stahlrohr und Leichtmetall hielten die Gerüste Wind und Wetter auch in den höchsten Gefilden stand.
Allerdings kann sich Kilian Sauer erinnern, dass die oberen Bohlen einmal nicht angenagelt und zusammengebunden werden konnten, da die Hanfschnüre und Nägel nicht mehr gereicht hatten. Als am Abend starker Wind aufkam, hat es die losen Bretter aus der Verankerung gerissen und wie Streichhölzer durch die Luft gewirbelt.
Lange musste der Speis aus Sand, Kalk und Zement noch mit der Hand angemischt werden. Dies zunächst trocken, bevor das Wasser dazugegeben wurde. Das änderte sich erst mit den elektrischen Betonmischmaschinen. Natürlich wurde der Mörtel damals auch per Hand mit der Kelle und nicht mit Hilfe von Maschinen an die Wand geworfen.
Trotz der gefährlichen Arbeit in luftiger Höhe blieb Kilian Sauer von größeren Arbeitsunfällen verschont. Einmal musste er allerdings miterleben, wie ein Arbeitskollege beim Verbandeln und Verfugen des Mauerwerks am 20 Meter hohen Weißen Turm in Gerolzhofen vom Gerüst stürzte. Der Mann hatte Glück im Unglück und fiel in den Sandkasten am Boden. So überlebte er, wenngleich verletzt, den Fall aus der Höhe.
Auch beim Verputzen von Rathaus oder Grabenschule in Gerolzhofen war der Geusfelder mit von der Partie. Wenn der Druck aus der normalen Wasserleitung für die hohen Gebäude nicht ausreichte, wurde der Schlauch nicht selten kurzerhand am nächsten Feuerwehr-Hydranten angeschlossen.
Kelle mit Schlagzeugstecken vertauscht
Den Ausgleich von der Arbeit auf dem Bau fand das Geusfelder Original als Musiker und Chef von „Kilian Sauer und seinen Solisten“. 30 Jahre lang saß er bei der weithin bekannten und beliebten Kapelle aus dem Steigerwald hinter dem Schlagzeug, wie es sich für einen Hand-Werker gehört, indem er die Kelle mit den Schlagzeugstecken vertauschte.