
Seit 20 Jahren beschäftigt sich der Stuttgarter Orgelforscher Harald Nehr mit den historischen Orgeln seiner Heimat, dem Landkreis Bamberg. Dabei stieß er auf einen richtigen Schatz, die Untereuerheimer Kirchenorgel. Er konnte nicht nur den bisher unbekannten Erbauer, den in Schweinfurt geborenen Carl Friedrich Geyer, eindeutig nachweisen, sondern freut sich auch über die Tatsache, dass die Geyer-Orgel der Pfarrkirche St. Gallus zu fast 100 Prozent original erhalten ist. Sie gehört zur Erstausstattung eines nahezu vollständig erhaltenen Kirchenbaus der Neugotik um 1850.
Da man die Neugotik schon ab 1900 kaum mehr schätzte, wurde im 20. Jahrhundert vieles aus dieser Zeit ausgeräumt und modernisiert. Nicht so in Untereuerheim. "Ein solches Ensemble des ländlichen Historismus ist fast nirgends erhalten", schwärmt Nehr.

Obwohl sie nur zwölf Register hat, ist die Untereuerheimer Orgel wohl größte Instrument, das Geyer je gebaut hat. Dazu ist sie die älteste und größte komplett erhaltene historische Orgel einer Bamberger Werkstatt überhaupt. Der Erbauer selbst hing an seiner Orgel, erzählt Harald Nehr. Auch nach seinem Rückzug aus dem Orgelbau sei Geyer jährlich einmal zur Wartung nach Untereuerheim gekommen. Als die Orgel 1868 nach einer Kirchenrenovierung reparaturbedürftig war, bat er die Kirchenverwaltung, sein Preisangebot nicht allzu sehr zu drücken; unter den genannten Preis könne er nicht gehen, "so lieb ihm die hiesige Orgel als sein Werk sei", heißt es im Protokoll.

Am 14. Oktober 1873, sieben Wochen vor seinem Tod, war Geyer zum letzten Mal zur Wartung und Stimmung seiner Orgel in Untereuerheim.
Kleines Orgel-Jubiläum
2025 wird die Untereuerheimer Geyer-Orgel ihr 175-jähriges Bestehen feiern. Wünschenswert wären eine fachgerechte Instandsetzung und Schimmelreinigung. Dann wäre die Geyer-Orgel wieder fit für die nächsten Jahrzehnte, sagt Pfarrer Mühleck.
"Meine erste Begegnung mit der Orgel war 2009, als ich eine Liste des Orgelforschers Hermann Fischer abarbeitete. Sie enthielt fränkische Orgeln, deren Erbauer bis dahin nicht ermittelbar waren", berichtet der Gymnasiallehrer Nehr. In Untereuerheim begegnete er Pfarrer Mühleck und schilderte stolz sein Vorhaben, herauszubekommen, wer denn die Orgel in der Untereuerheimer Pfarrkirche erbaut hat. Mühleck entgegnete: "Ach, das haben schon ganz andere probiert – das werden Sie auch nicht herausbekommen." Es schien, als sollte er recht behalten. Nehr konnte die Baumerkmale der Orgel mit nichts in Verbindung bringen, was er bisher kannte.

Nach einem Gespräch mit dem befreundeten Orgelbaumeister Andreas Hemmerlein aus Cadolzburg wurde klar: Wenn man Eindeutiges wissen will, geht das nur über Aktensichtung. Aber wo waren die Akten? Jedenfalls nicht zentral aufbewahrt im Würzburger Diözesanarchiv.
Ein Anruf bei Pfarrer Mühleck schaffte Klarheit: Die Untereuerheimer Kirchenstiftungsrechnungen befanden sich seit der Auflösung des dortigen Pfarrhauses auf dem Pfarrhausdachboden in Obereuerheim, vollkommen ungeordnet. Eine erste Sichtung im Sommer 2022 ergab: Die Akten der Jahre 1700-1950 lagen nicht nur wie Kraut und Rüben durcheinander, sondern waren auch mit den Obereuerheimer Akten vermischt worden. Eine Dachsanierung hatte ihnen zusätzlich zum Staub von 200 Jahren noch eine extra Dreckschicht verpasst.

"Wir haben auf gut Glück 'gegraben' und wurden nach Stunden fündig." Das Kirchenrechnungsbuch 1849/50 enthielt die entscheidende Quittung: Carl Friedrich Geyer, wohnhaft in Bamberg, war der Erbauer dieser Orgel. Ein praktisch unbeschriebenes Blatt im Orgelbau dieser Epoche – und ein Evangelischer, der ausgerechnet ins katholische Bamberg gegangen war.
Pfarrer Mühleck hörte aus seinem Büro die Hurra-Rufe und kam nach einer Minute mit drei Weingläsern und einer Flasche Rotwein auf den Dachboden: "Jetzt stoß‘ mer an!"

Für die Nacharbeiten kam Nehr mit Orgelbauer Hemmerlein ein paar Monate später noch einmal nach Obereuerheim, erzählt der stolze Forscher. "Die ersten drei Stunden haben wir mit Handbesen die alten Akten abgestaubt und abgeklopft. Dann wurden die Akten geordnet, bis spät in den Abend. Ober- und Untereuerheim, jeweils 250 Jahrgänge, jeweils Rechnungsbücher und Quittungsbücher." Insgesamt waren es circa 1000 Bände. Im letzten Schritt wurden am Tag vor Fronleichnam 2024 alle Rechnungsbände gesichtet, um die Orgelgeschichte von Anfang an zu rekonstruieren. Die Aktenbände wurden in neu aufgestellte Aktenschränke sortiert, so dass es jetzt ein benutzbares Archiv mit den Kirchenrechnungen beider Orte gibt.
Nehr selbst hat im Schuljahr 2022/23 ein berufliches Sabbatjahr eingelegt, um sich ganz der Orgelforschung zu widmen. 2024/25 soll sein Buchprojekt "Die Bamberger Orgelbauer des 19. Jahrhunderts" erscheinen – vielleicht mit der Untereuerheimer Orgel auf der Titelseite. Sein größter Wunsch wäre es, wenn das Buch auf so manchen kleinen, oft unscheinbaren Orgelschatz aufmerksam machen würde und sich die eine oder andere Restaurierung anbahnen könnte.
