zurück
Stadtlauringen
Historiker Karch referiert über das Kriegsende im Oberland
Einblicke in die Zeit, als der Krieg ins Reich zurückkehrte: Dr. Daniel Karch referierte über die letzten Kämpfe 1945 im Oberland.
Foto: Uwe Eichler | Einblicke in die Zeit, als der Krieg ins Reich zurückkehrte: Dr. Daniel Karch referierte über die letzten Kämpfe 1945 im Oberland.
Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 16.07.2023 03:43 Uhr

Generalmajor Gerhard Franz, bis zum 8. April 1945 Befehlshaber der 256. Volksgrenadierdivision, verblüffte seine US-Bewacher, als er in Birnfeld die Waffen streckte. Beim Verhör im heutigen Gemeindeteil von Stadtlauringen fragte er: "Warum kämpft ihr Amerikaner gegen uns?" Laut der Geschichte des 179. US-Infanterieregiments, die online einsehbar ist, taten sich die Sieger schwer, Präsident Roosevelts "Vier Freiheiten" zusammenzubringen.

Ironischerweise soll es Franz gewesen sein, der alle kannte: "Redefreiheit, Glaubensfreiheit, Freiheit von Not und Angst." Fest steht, dass der deutsche General seine oft blutjungen oder bereits betagten Volksgrenadiere nicht mehr in den Endkampf ums Oberland geschickt hat. Vorher streckten sie die Waffen. Das war nicht überall so.

Dr. Daniel Karch stellt daher die Frage nach dem Warum beim überraschend gut besuchten Vortrag im Schüttbaukeller in Stadtlauringen: Warum wurde von vielen Deutschen bis zur totalen Selbstvernichtung des "Dritten Reichs" gekämpft, die zuletzt sogar Hitlers erklärtes Ziel war? "Es wird nicht mehr zurückgeschossen!" lautet der Titel des Vortrags, 78 Jahre nach Kriegsende. Der Kulturverein, mit seiner Vorsitzenden Tanja Sobisch, hat eingeladen und, in Zeiten des Ukrainekriegs, wohl einen Nerv getroffen.

Schon Karchs Präsentation überzeugt: "Sieg oder Sibirien" droht eine Propagandawandschrift, abgeschossene Panzer oder Sturmgeschütze erinnern fatal an aktuelle Nachrichtenbilder. Im einst beschaulichen Gau Mainfranken drängten sich die Luftkriegsevakuierten aus dem Saar- und Rheinland, ein Drittel der Opfer der Luftangriffe auf Schweinfurt waren versklavte "Ostarbeiter". Auch Stadtlauringen und Umgebung wurden 1945 bombardiert, Tiefflieger gingen auf Menschenjagd: Was ebenso deutsche Praxis gewesen war, wie Wehrmachts-Offiziere zugaben, die nicht wussten, dass sie im englischen Gefangenenlager Trent Park abgehört wurden. Unter den Belauschten befand sich Generalmajor Franz.

Wie wirkt pausenlose Furcht und Propaganda, inszenierte Wirklichkeit, ererbter Heldenkult und abstumpfende Kriegsroutine auf Menschen? Militärisch war die Lage Nazideutschlands aussichtslos, sämtliche Stoßkeile aus West und Ost zeigten bereits auf dessen Ende. "Einsicht in das Unvermeidliche durfte nicht gezeigt werden", sagt Militärhistoriker Karch. Es drohte Hinrichtung wegen "Wehrkraftszersetzung", mitunter Sippenhaft.

Am 19. März 1945 erließ Hitler den "Nerobefehl", der dem deutschen Volk sämtliche Lebensgrundlagen nehmen sollte: Wenn es schon nicht mehr siegen konnte, sollte das Reich als "kollektives Stalingrad" untergehen. Gymnasiallehrer Karch, der in Münnerstadt Deutsch und Geschichte unterrichtet, erinnert daran, dass in der NS-Diktatur schon lange vor den Standgerichten blanker Terror gegen Andersdenkende herrschte.

General Pattons Armee stürmte nun von Westen heran. Die 256. Division, die nördlich von Schweinfurt zurückgedrängt wurde, war in Wahrheit eine notdürftige Kampfgruppe. Die Wehrmacht habe oft nur noch "Ausrüstung Stand 1918" besessen, so Karch. Geschütze wurden von Pferden gezogen, bei den Amerikanern herrschte totale Luftüberlegenheit, der Nachschub rollte, Landser ergaben sich in Scharen.

Die Gefangennahme von General Franz in Birnfeld  war wohl eher Zufall, sagt der Historiker: Der oberste Regionalverteidiger wurde von weiteren US-Truppen überrascht, die von Rhön und Saale her anrückten. Ein Zeitzeuge, der als Kind im Dorf dabei war, kann sich dort an keine deutschen Truppen erinnern. Wolf Freiherr von Schleinitz geht davon aus, dass der letzte Gefechtsstand nicht im Schloss untergebracht war, wie die Überlieferung behauptet.

Der General und sein Stab hätten rasch die Waffen auf den Tisch gelegt. Vom offiziellen Ende der Division gibt es lediglich zwei verwaschene Buchfotos, eines mit Franz' Jeep. Trotz heftiger Scharmützel und Opfer in den Dörfern sei das Oberland relativ glimpflich davon gekommen, resümiert Karch. Großflächige Verwüstungen und SS-Fanatismus blieben der Region erspart, am 8. April 1945, dem Weißen Sonntag. 

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Stadtlauringen
Uwe Eichler
Deutsche Sprache
Generalmajore
Saale
US-Armee
Wehrmacht
Wehrmachtsoffiziere
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top