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SCHWEINFURT
Heute ertappt, morgen verurteilt: Schweinfurt Spitzenreiter bei "Blitzverfahren"
„Blitzverfahren“ am Amtsgericht Schweinfurt zu einem Diebstahl vor einer Woche. Richter Michael Roth (Mitte) verurteilte am Mittwoch einen Ladendieb zu einer zweimonatigen Bewährungsstrafe. Der Prozess dauerte 20 Minuten.
Foto: Martina Müller | „Blitzverfahren“ am Amtsgericht Schweinfurt zu einem Diebstahl vor einer Woche. Richter Michael Roth (Mitte) verurteilte am Mittwoch einen Ladendieb zu einer zweimonatigen Bewährungsstrafe.
Stefan Sauer
Stefan Sauer
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:18 Uhr

Anfang Januar 2017: Ein alkoholisierter 20-jähriger Algerier fügt in der Erstaufnahmeeinrichtung (EA) Schweinfurt einem Mitbewohner eine blutende Wunde im Gesucht zu. Ein Security-Mann geht dazwischen, da greift der Algerier ihn heimtückisch mit einer scharfen Keramikscheibe an und versucht ihn am Hals zu verletzen. Der Sicherheitsmann kann ihn überwältigen, doch als er ihn der herbeigerufenen Polizei übergeben will, gibt der 20-Jährige erneut den Rambo, leistet Widerstand und verletzt einen Beamten dabei an der Lippe.

Im „Blitzverfahren“ fünf Monate ohne Bewährung

Die Nacht verbringt der Mann in der Polizeizelle. Schon am folgenden Tag hat er einen Termin im Amtsgericht Schweinfurt, Saal 4. Dort trifft er auf Richter Michael Roth. Der hört sich die Anklage an, dann den Security-Mitarbeiter und einen Polizisten als Zeugen. Der Angeklagte, erst seit zwei Monaten im Land, sei bereits als Intensivtäter bekannt, sagt der Polizeibeamte. Und: „Wenn es in der Erstaufnahme zu Auseinandersetzungen kommt und Algerier dabei sind, ist er einer der Rädelsführer.“

Dann, nach einer guten Stunde das Urteil: Fünf Monate Gefängnis – und zwar ohne Bewährung wegen Fluchtgefahr und mangels positiver Sozialprognose. Richter Roth: „Bei dem, was Sie in kürzester Zeit hier abgeliefert haben, muss man annehmen, dass Sie nicht gewillt sind, sich künftig an die staatliche Ordnung zu halten.“

Einfacher Sachverhalt – klare Beweislage

Was ein derart schnelles Urteil ermöglicht, mit dem die Strafe der Tat tatsächlich „auf dem Fuße folgt“, nennt sich „beschleunigtes Verfahren“. „Das gibt es schon lange“, sagt Roth, geregelt ist es in Paragraf 417 der Strafprozessordnung und ist an einige wichtige Bedingungen geknüpft: Der Sachverhalt muss einfach und überschaubar sein, die Beweislage klar, Zeugen sofort verfügbar, die Straferwartung nicht über ein Jahr betragen und bei einer Haftstrafe von mehr als sechs Monaten muss der Angeklagte einen Verteidiger haben. Rechtsmittel wie Berufung oder Revision gegen ein Urteil im „Blitzverfahren“ sind möglich.

Gedacht sei das beschleunigte Verfahren für Tatverdächtige, die „örtlich sehr mobil sind“, erläutert Richter Roth, etwa Mitglieder von reisenden Diebesbanden, die man vielleicht gar nicht mehr erreicht, wenn man sie Monate später zur Hauptverhandlung laden würde. Die Gefahr des Untertauchens, zum Beispiel, bejahte der Amtsrichter auch bei dem algerischen Intensivtäter in der Erstaufnahme.

Jede Woche sind vier beschleunigte Verfahren möglich

Im vergangenen Jahr hat Michael Roth 66 beschleunigte Verfahren durchgeführt, davon 46 bei Erwachsenen, 20 bei Heranwachsenden. Heuer waren es allein im Januar schon neun. Amtsgericht und Staatsanwaltschaft Schweinfurt haben sich dafür eine besondere Zeit- und Personalstruktur ausgedacht. Ist anderswo grundsätzlich jeder einzelne Amtsrichter für ein beschleunigtes Verfahren zuständig, muss das erst mal in die Terminpläne passen. Falls nicht, gibt es keines.

In Schweinfurt dagegen ist Richter Roth alleine zuständig, und er hält sich dafür ein Zeitfenster frei: Jeden Dienstag und Mittwoch hat er Sitzungstag – jeweils ab 15 Uhr ist Zeit für beschleunigte Verfahren reserviert. Die Staatsanwaltschaft kann somit jede Woche mindestens vier beschleunigte Verfahren fest einplanen. Sie meldet diese lediglich an, trägt die Anklage (auch mündlich) vor, beschafft die Zeugen.

Es gibt auch eine „Hauptverhandlungshaft“

Wer also am Montag oder Dienstag beim Klauen geschnappt wird, wird sich schon am Folgetag vor Richter Roth verantworten müssen. Gegen alle anderen, die an einem späteren Wochentag straffällig werden und für die sich das beschleunigte Verfahren eignet, kann bis zu einer Woche „Hauptverhandlungshaft“ verhängt werden. „Ein kurzfristiger Termin ist also immer möglich“, sagt der Amtsrichter. Möglicherweise sei es „eine exotische Besonderheit, dass das beschleunigte Verfahren in Schweinfurt so strukturiert gehandhabt wird“.

Amtsgericht Würzburg will Schweinfurter Modell übernehmen

Da könnte er recht haben. Am Amtsgericht Würzburg etwa ist jeder Richter für beschleunigte Verfahren in seinem Zuständigkeitsbereich selbst zuständig. „Meistens klappt das nicht, weil sie nicht in den Zeitplan passen“, sagt auf Anfrage Gerichtspressesprecher Rainer Beckmann. Allerdings sei beabsichtigt, noch in der ersten Jahreshälfte das offensichtlich bewährte Schweinfurter Modell in vergleichbarer Form auch am Amtsgericht Würzburg einzuführen.

Geeignet ist das „Blitzverfahren“ laut Roth für Delikte wie Diebstahl, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Betäubungsmittelbesitz, Leistungserschleichung (Schwarzfahren), Beleidigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Missbrauch von Notrufen – jeweils in der leicht beweisbaren Variante. Besonders häufig: Diebstahl – von der Flasche Wodka für 4,50 Euro über Zigaretten und teurere Parfüms bis zu Klamotten im Wert von bis zu 200 Euro.

Der „Intensivtäter“ ist die Ausnahme

Der algerische Intensivtäter, der mit Keramikscherbe einem Sicherheitsmann an die Gurgel will, ist demnach die Ausnahme. Er wanderte vor einem Jahr nach seiner Festnahme in der Erstaufnahme von der Polizeizelle in den Gerichtssaal und von dort direkt ins Gefängnis. Gleich nach dem Urteil unterschrieb Richter Roth den Haftbefehl.

 
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  • RobertMuthig@t-online.de
    In Schweinfurt kann sich der Täter noch an seine Tat erinnern. Bei Ausländern nach verbüssen der Strafe sofort in das Flugzeug u. ab nach Hause
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