zurück
KREIS SCHWEINFURT/KITZINGEN
Herrn Wunderlings Gespür für Eis - unterwegs auf dem Eisbrecher "Angermünde"
Blaue Stunde auf dem Main: Eisbrecher „Angermünde“ auf dem Weg Richtung Schleuse Gerlachshausen.
Foto: Uwe Eichler | Blaue Stunde auf dem Main: Eisbrecher „Angermünde“ auf dem Weg Richtung Schleuse Gerlachshausen.
Von unserem Mitarbeiter Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 19.02.2012 18:44 Uhr

Eissss. Es kracht, malmt, grummelt, schabt, scharrt, kratzt, knackt. Die beiden Eisbrecher, die sich an diesem Samstagmorgen durch den gefrorenen Main bei Volkach arbeiten, kommen nur Meter für Meter vorwärts. Die „Angermünde“ vorneweg, wie ein Autoscooter kracht sie mit verstärktem Bug in die grauweiße Kruste. Fährt zurück und wieder vor, Methode Planierraupe, drückt beharrlich eine Fahrrinne frei. Hinterher stampft die „von Grassmann“.

Durch eine Unwuchtanlage im Rumpf schaukelt das Begleitschiff hin und her, bricht Platte für Platte entzwei. Putzt sozusagen in den Ecken. Mal hört sich die erst angespannte, dann berstende Eisdecke an wie ein fernes Gewitter, mal wie ein Knistern. Dicke Eisschollen treiben nach Wochen sibirischer Kälte auch in der Schleusenkammer von Gerlachshausen, als wäre Väterchen Main die Beringstraße oder der Jenissej. Die Wärter versuchen, mit langen Stangen das Treibeis vom Schleusentor fernzuhalten.

Auf der Brücke ist es warm

Schleuse Dettelbach. Der Reporter schwingt sich an Bord, darf sich dabei ein bisschen verwegen fühlen: Theoretisch könnte er bei einem Fehltritt im Eiswasser landen, zwischen Bootsstahl und Betonwand. Praktisch vermutlich auch. Das Entern klappt dank der Hilfe von Uwe Dyroff ohne Probleme. „Eis, Wasser, Feuer – das sind drei Welten, drei Komponenten, gegen die kommt man nicht an“, warnt Dyroff zum Einstand.

Der humorige, zupackende Würzburger ist so, wie man sich seit der Fernsehserie „Küstenwache“ einen Maschinisten vorstellt. Das Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) Schweinfurt untersteht, mitsamt seiner Flotte von 20 Fahrzeugen, dem Bund. Als „Heimathafen“ fungiert der Bauhof in Würzburg.

Oben auf der Brücke ist es gemütlich warm. Hier lenkt Kapitän Thomas Endrich den 30 Meter langen, sieben Metern breiten Eisbrecher– modern per Joystick und einer Art Navi mit Karten-Display: Wenn der Zellinger aufs Oberdeck geht, um Bekannte am Ufer zu grüßen, übernimmt ein Autopilot. Demnächst soll noch ein automatisches Identifikationssystem die Position anderer Schiffe anzeigen. Das Steuerrad ruht unbenutzt daneben (die „Angermünde“ wurde 1958 von der VEB Volkswerft Ernst Thälmann in Brandenburg/Havel gebaut und 1997 umgerüstet).

Ansonsten befindet sich das Boot heute fest in der Hand des Landkreises Schweinfurt: WSA-Werkstattleiter André Wunderling ist Schwanfelder, der Endzwanziger fährt mit, um ein Gespür für die Eislage zu bekommen. „Angefangen habe ich als Schlosser“, wundert sich der Gemeinderat und Nautiker selbst über seinen Weg zur Binnenschifffahrt. Azubi David Crider, 16, ist ebenfalls vom Kembach auf den Main gelangt. Matrosin Christina Schamberger stammt aus Schnackenwerth.

600 PS gegen 30 Zentimeter Eis

Im Sommer schleppt die „Angermünde“ Havaristen ab (per Seilwinde), sie war zuletzt im Kanal bei Nürnberg am „Eiskratzen“. 200 Flußkilometer, zwischen Viereth und Rothenfels, müssen eisfrei gehalten werden, auch der 19 Schleusen wegen, deren Wehre den Eisdruck nicht vertragen.

Der Maschinenraum ist zu geräumig, um mit seinem Sechs-Zylinder-Dieselmotor an „Das Boot“ zu erinnern. Die Technik funktioniert aber ähnlich: Per Trimmtanks und Wasserballast erhält der Brecher genug Tiefgang – zwei Meter –, um genau ins Eis zu rennen. Für den (unwahrscheinlichen) Fall eines Wassereinbruchs stehen Lenzpumpen bereit. „Wie dick wir sind, weiß ich nicht“, muss Dyroff zugeben.

Die Schraube dreht sich wuchtig mit 600 PS. Über 30 Zentimeter ist das Eis mitunter stark: Nach dem Räumen schieben sich die Trümmer gleich Eiswürfeln untereinander, stauen eine Barriere auf, Mainwasser „on the Rocks“ sozusagen. Wie ein Inuit bräuchte man mehrere Begriffe, um der Physik erstarrten Wassers gerecht zu werden. Kurz vor Kitzingen etwa scheint die Fahrrinne frei zu sein, aber das täuscht: Das Eis lauert unter der Oberfläche – „Kitanic“ steht wie zur Erläuterung auf einem Spiel-Boot am Uferrand.

Schwimmweste ist an Deck Pflicht, wenn sich die „Angermünde“ in die dicken Brocken wühlt, wackelt und bebt. Geschafft: Der Brecher läuft die Schleuse Kitzingen an, Endstation für die Schwanfelder. Schon Mitte nächster Woche rechnet Nautiker Wunderling damit, dass der Fluss wieder befahrbar ist.

Der Blick von oben: Werkstattleiter André Wunderling begutachtet auf der „Angermünde“ die Eislage.
| Der Blick von oben: Werkstattleiter André Wunderling begutachtet auf der „Angermünde“ die Eislage.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Boote
Ernst Thälmann
Planierraupen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top