Ein Bagger hat dieser Tage die alte Glaser-Werkstatt der Familie Hümpfner in der Weiße-Turm-Straße abgerissen. Das stolze Fachwerkhaus, das inzwischen der Familie von Karin und Alexander Förster gehört und das saniert werden soll, ist nun wieder befreit von allen modernen Anbauten.
Bei dem Haus mit der alten Gerolzhöfer Hausnummer 53 handelt es sich um eines der ältesten Gebäude im gesamten Altstadt-Ensemble. Es fehlen zwar schriftliche Nachweise, in welchem Jahr konkret das Haus gebaut wurde. Allerdings wurden jetzt im Rahmen der bevorstehenden Restaurierung einige Bohrkerne an den im Dachstuhl und in den Fachwerkwänden verbauten Hölzern gezogen. Experten haben im Labor bei einem dendrochronologischen Gutachten inzwischen die Jahresringe in den Holzproben mit den zentral abgespeicherten Jahresringen von zeitlich eindeutig einzuordnenden Hölzern abgeglichen und sind zum Ergebnis gekommen, dass das Haus bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts errichtet wurde. Dass das Gebäude tatsächlich so alt ist, ist schon eine ziemliche Überraschung.
Die Holzbalken, die früher beim Bau von Fachwerkhäusern verwendet wurden, wurden zuerst auf allen Seiten mit dem Beil begradigt. Bei dieser Zimmermannsarbeit wurden in der Regel aber auch die äußeren Jahresringe mit dem Splintholz und die Waldkanten entfernt. Dies war auch bei der alten Hausnummer 53 der Fall. Die Splintringe und die Waldkanten fehlen an allen im Haus gezogenen Proben.
Fälldatum um 1470/80
Die noch erhaltenen Jahresringe der Proben stammen aus der Zeit zwischen 1385 und 1453. Rechnet man hier die rund zehn bis 20 abgeschlagenen Jahresringe sowie zehn Splintholzringe dazu, so kommt ein Fälldatum spätestens in der Zeit zwischen 1470 und 1480 heraus. Das ist etwa die Zeit, als die Gerolzhöfer Stadtpfarrkirche im gotischen Stil fertiggestellt wurde.
Natürlich war es früher häufige Praxis, dass bei Reparaturen an Häusern, aber auch bei Neubauten durchaus gebrauchte Balken aus Gebäudeabbrüchen als Zweitverwendung zum Einsatz kamen. Vergleichbare Fälle gibt es bei mehreren Häusern in der Gerolzhöfer Altstadt. Erwischt man bei einer Dendro-Probe zufällig solch einen Recycling-Balken, dann kann man bei der Suche nach der Bauzeit des Gebäudes leicht auf eine falsche Fährte geführt werden.
Uralter Dachstuhl
Auch diesen Aspekt haben die Experten selbstredend berücksichtigt. Bei ihren Untersuchungen stellte sich aber heraus, dass sich im Haus – von einigen Umbauten und Ergänzungen abgesehen – noch viele alte Hölzer in situ, an Ort und Stelle befinden. Die Fachwerkständer im Dachgeschoss, die Kehlbalken des Dachstuhls und der überwiegende Teil der Dachsparren stammen aus der Zeit um 1480 und sind keine Zweitverwendung. Ein Beleg dafür ist die Tatsache, wie der Dachstuhl konstruiert ist. Die Fachwerkhölzer sind noch in der typischen "Rähmbauweise" des 15. Jahrhunderts miteinander verblattet und jeweils mit einem Holzdübel fixiert. Diese Verbindungsart wurde im fränkischen Fachwerkbau nur bis zum ausgehenden Mittelalter verwendet.
Auch im ersten und zweiten Obergeschoss des Hauses gibt es auch noch Fachwerkständer, die original aus der Bauzeit stammen. Ebenso zu dieser Zeit gehörig ist die südliche Außenwand des ersten Obergeschosses mit einigen Fachwerkfeldern. Dort befinden sich sogar noch Reste der bauzeitlichen Farbfassungen.
Wer war der erste Eigentümer?
Wer der erste Eigentümer des Hauses war, ist unbekannt. Und es wird wohl auch unbekannt bleiben, denn die Quellenlage aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert ist ausnehmend dünn, zumal es sich ja nicht um ein Bauprojekt der Kirche oder der Stadt handelte. Verträge mit Handwerkern wurden bei privaten Baumaßnahmen damals meist nur mündlich verabredet und falls es doch Rechnungen oder Vergleichbares gegeben haben sollte, sind diese längst vernichtet worden. Etwas über die Bewohner des Hauses herauszufinden, gleicht also einer Detektivarbeit im Stadtarchiv.
Grundsätzliche Hinweise auf Hauseigentümer liefern verschiedene Steuerbücher, die sich im Gerolzhöfer Archiv bis heute erhalten haben. In diesen Büchern ist beispielsweise die Höhe der sogenannten Beth – eine Art Grundsteuer – eingetragen, die die namentlich erwähnten Bürger für ihre Häuser und landwirtschaftlichen Flächen zahlen mussten. Damals gab es aber noch keine Hausnummern, was die richtige Zuordnung der Eigentümer zu bestimmten Häusern erschwert.
Drei Stadtviertel in Gerolzhofen
Was bei der Recherche heute hilft, ist der Umstand, dass Gerolzhofen früher in drei Bereiche aufgeteilt war: in die Stadt, in die Centvorstadt und in die Spitalvorstadt. Und innerhalb dieser drei Bereiche hielt man meist eine bestimmte Reihenfolge bei der Aufzählung der Häuser in den verschiedenen Straßenzügen ein.
Ein weiteres Hilfsmittel bei der Recherche sind die Hinweise, zu welchem Lehen ein Grundstück gehörte. Denn Häuser blieben über Jahrhunderte meist dem gleichen Lehen, etwa dem Gotteshaus-, Stadt- oder dem Fürstbischofslehen, unterstellt. Allerdings gibt es für jedes Lehen eigene Steuerbücher, was das Zusammenführen der Informationen auch nicht leicht macht.
Es gab ein Nachbarhaus
Bei diesen Recherchen zeigte sich, dass das Grundstück der alten Hausnummer 53 früher einen anderen Zuschnitt hatte als heutzutage. Der südliche Bereich, wo heute die Mittenzwey-Scheune steht, gehörte in der Anfangszeit ebenfalls noch zur Nummer 53. Hier standen die Scheunen und Ställe. Unter dem Boden der Mittenzwey-Scheune befindet noch heute ein Brunnen, der früher der Wasserversorgung von Nummer 53 diente.
Westlich des Hauses, wo die jetzt abgerissene Glaser-Werkstatt stand, befand sich früher ein kleines "Küchengärtlein". Die Heimatforschung im Archiv hat ergeben, dass diese Fläche allerdings nicht immer zum Anwesen 53 gehörte. Ursprünglich stand hier ein kleines, eher bescheidenes Wohnhaus, das bis etwa 1666 noch der Familie eines Caspar Zitter gehörte, ehe es vom größeren Nachbarn aufgekauft, abgerissen und dann in einen Garten umgewandelt wurde. Ein zweiter Brunnen, der bei den Bauarbeiten jetzt im Hof im Bereich der alten Grundstücksgrenze zum Vorschein kam, könnte ursprünglich vielleicht für die Wasserversorgung dieses Nachbarhauses bestimmt gewesen sein.
Hier wohnten Stadträte
Die ersten Eigentümer, die in dem damals neuen Haus 53 gelebt haben, dürfte – allerdings unter Vorbehalt – die Familie des Schmiedemeisters Hans Vogt (auch "Fogtt" geschrieben) gewesen sein. Der schwerreiche Schmied, der offenbar auch Mitglied des Stadtrats war, taucht bereits seit anno 1521 regelmäßig in Rechnungen des Bürgerspitals auf, weil er dort Schmiedearbeiten verrichtete.
Erster gesicherter Hausbesitzer ist dann der Stadtrat Caspar Heim, der seit 1564 zahlreiche Ehrenämter in der Stadt bekleidete. Unter anderem war er für mehrere Jahre der Gerolzhöfer Oberbürgermeister. Heim hatte beträchtliches Vermögen erwirtschaftet. Unter anderem gehörte ihm, als er im Jahr 1603 als "Ratssenior" stirbt, zusätzlich auch noch das Grundstück links vom Alten Rathaus (das spätere "Schneidmadel-Haus").
Heckenwirtschaft
Sein Schwiegersohn Hans Lutz, der 1612 als Gerolzhöfer Bürger angenommen wurde, erbt das "Haus an der Ecke der Brunnengasse" im Jahr 1614 von der Witwe Heim. Lutz bleibt bis zum Jahr 1621 hier wohnen, ehe er innerhalb der Stadt umzieht. Das Haus 53 verkauft er deshalb an den Stadtrat Nikolaus Rüger, der wegen des Grundstücksgeschäfts fortan bei Lutz mit der beachtlichen Summe von 2400 Gulden in der Kreide steht, die er in Jahresraten abzustottern hat. Wie Hans Lutz betreibt auch Nikolaus Rüger mutmaßlich im Erdgeschoss seines Hauses eine Heckenwirtschaft.
Um das Jahr 1633 stirbt Nikolaus Rüger. Seine Witwe Anna Maria heiratet am 16. Januar 1634 den hiesigen deutschen Schulmeister Martin Heilmann, der fortan ebenfalls eine Heckenwirtschaft im Haus betreibt. Sechs Jahre später stirbt auch Lehrer Heilmann. Seine Witwe Anna Maria Heilmann führt die folgenden Jahre die Heckenwirtschaft und die große Landwirtschaft mit Knechten und Mägden alleine weiter. Sie heiratete nicht mehr.
Steinreiche Witwe
Im Jahr 1658 wird dann ein neuer Eigentümer aktenkundig: der Gastwirt und spätere Stadtrat Hans Jörg Werner. Ob er das Anwesen gekauft hat, oder ob er ein Schwiegersohn von Rüger beziehungsweise Heilmann war, bleibt bislang unklar. Zehn Jahre später, am 13. Juli 1668, stirbt Hans Jörg Werner und hinterlässt seiner Witwe Barbara ein beachtliches Vermögen, unter anderem jetzt auch das westliche Nachbargrundstück der Familie Zitter und weitere Hofstätten in der Innenstadt. Die Witwe Werner gehört nun zu den reichsten Bewohnern von Gerolzhofen.
Anno 1683 geht ihr Vermögen mit ihrem Tod an die Erben über. Das Haus erhält ihr Schwiegersohn Johann Philipp Götzendörfer, der 1685 als neuer Notar und Stadtschreiber von Gerolzhofen präsentiert wird, dann allerdings schon am 19. Januar 1690 stirbt. Zu seinen Erben gehört der Schreinermeister Johann Jacob Götzendörfer, der fortan im Haus 53 seine Werkstatt betreibt.
Schulmeister und Organist
Danach übernimmt Johann Andreas Bosch – wahrscheinlich als Schwiegersohn – das Anwesen. Der gebürtige Gerolzhöfer wird 1722 als neuer deutscher Schulmeister der Stadt angenommen. Daneben ist er auch als hauptamtlicher Organist tätig. 1748 stirbt Bosch und hinterlässt seine Witwe Elisabeth. Am 22. Juli 1755 heiratet der spätere Stadtrat Philipp Held die Elisabeth Bosch, wobei es sich dabei mutmaßlich um die gleichnamige Tochter von Elisabeth und Johann Andreas Bosch handelt. Die Ehe beginnt mit einem Schicksalsschlag: Am 14. Juni 1756 stirbt das erste Kind, das "zur ungerechten Zeit geboren war", bei dem es sich also um eine Frühgeburt handelte.
Verwalter und Steuereinnehmer
1784 kommt Paulus Franz Stöhr aus Iphofen mit seiner Ehefrau Friederika Henriette Mayer nach Gerolzhofen. Er tritt die Stelle des Spitalverwalters, des Amtsgegenschreibers, Gulden-, Weg- und Landzöllners an und nennt sich selbst auch "Oberaccissor". Die Familie wohnt fortan im Haus Nummer 53, das sie wahrscheinlich von Philipp Held gekauft hat, weil keine verwandtschaftlichen Beziehungen erkennbar sind. Die gut betuchten Stöhrs erwerben später dann auch den Eichelmannsee am Mahlholz.
Im Jahr 1801 kommt es zu einem Häusertausch: Paul Franz Stöhr kauft das prächtige, deutlich moderne Anwesen Nummer 15 in der Langen Gasse: die 1708 gebaute Brauerei-Gaststätte "Goldene Krone", das heutige katholische Pfarrhaus. Und die Witwe des Braumeisters Kaspar Stephan zieht im Gegenzug mit ihrem Sohn Joseph Stephan aus der 15 in die damals schon in die Jahre gekommene Nummer 53. Im Jahr 1840 stirbt hier der Büttnermeister Joseph Stephan und hinterlässt seine Witwe Margaretha. Diese verkauft das Anwesen an den Gerolzhöfer Landwirt Valentin Zink.
Ein Glaser aus Aidhausen
Nachdem der Ökonom Valentin Zink im Jahr 1893 mit 77 Jahren gestorben war, ersteigert der 1887 in Aidhausen (Lkr. Haßberge) geborene Glaser Arnold Hümpfner im Jahr 1927 das Anwesen in der Gerolzhöfer Altstadt von der Witwe Theresia Zink. Das Haus wird innen grundlegend nach den moderneren Ansprüchen umgebaut.
Im Jahr 1935 wohnen insgesamt zwölf Personen in vier Haushalten in dem großen Haus. Robert Hümpfner (geboren 1918) übernimmt 1948 den Glaserbetrieb seines Vaters und wird Hauseigentümer. Letzter Eigentümer ist dessen Sohn Winfried Hümpfner, ehe das Ehepaar Karin und Alexander Förster 2019 das stark sanierungsbedürftige Haus kaufen – und jetzt vor der Herkules-Aufgabe stehen, eines der ältesten Häuser Gerolzhofens unter Wahrung der wertvollen Bausubstanz zu sanieren.