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Schonungen
Herkulesaufgabe für Richelsdorf
Am Hot-Spot der Sattler-Sanierung: Theo Kohmann (Mitte) zeigte Vertretern einer Bürgerinitiative aus Hessen die einstige 'Arsenallee' an der Steinach.
Foto: Uwe Eichler | Am Hot-Spot der Sattler-Sanierung: Theo Kohmann (Mitte) zeigte Vertretern einer Bürgerinitiative aus Hessen die einstige "Arsenallee" an der Steinach.
Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 24.09.2021 03:17 Uhr

Angefangen hat es mit einem mysteriösen Sterben der Mikroben in der Kläranlage, die eigentlich Richelsdorfer Abwässer reinigen sollten. Der Grund war Schwermetall, insbesondere Arsen, das durch die Sedimente des Flüsschens Weihe verteilt worden ist. Der Gemeindeteil der nordhessischen Gemeinde Wildeck (bekannt durch die Wildecker Herzbuben) ist geprägt durch jahrhundertelangen Kupferabbau – und jetzt ein Altlastengebiet.

Im Sommer hat sich eine "Bürgerinitiative Arsen" formiert, die sich nach Beispielen erfolgreicher Sanierungen umgeschaut hat. Der Blick fiel rasch auf Bayerns größten Altlastenfall, in Schonungen, wo die Sattler-Rückstände bis 2015 beseitigt worden sind, in metertiefen Grabungen. 50 Millionen Euro hat die Entgiftung und Wiederherstellung des Wohnareals gekostet, größtenteils dem Staat. Am Samstag fuhr nun ein Kleinbus mit fünf Richelsdorfern nach Unterfranken, zwecks Erfahrungsaustausch mit Altgedienten der dortigen Bürgerinitiative.

Eine Gemeinde könne nach erfolgreicher Sanierung besser dastehen als zuvor: Das war die gute Nachricht, die Bürgermeister Stefan Rottmann für die nordhessische Delegation parat hatte, rund um BI-Sprecher Dirk Köhler sowie Mitglied und Gemeindevertreter Kurt Schreiner, dem Initiator des Treffens. Wenn man früher die Leute gefragt habe, was sie mit dem Namen "Schonungen" verbinden, dann hätten die allermeisten an Altlasten gedacht, so Rottmann. Heute sei man gefragte Wohngemeinde, "auf halbem Weg zwischen der Stadt und dem Golfplatz Löffelsterz". Trotz hoher Grundsteuer profitiere die Gemeinde von Stabilisierungsbeihilfen und hohen Fördersätzen des Freistaates.

Seit dem Jahr 1460 ist Kupferbergbau in Richelsdorf nachgewiesen. Das biegsame Metall wurde um 1700 im Wahrzeichen der Stadt Kassel verbaut, der großen Herkules-Statue im Park des landgräflichen Schlosses Wilhelmshöhe, heute UNESCO-Weltkulturerbe. Kein gutes Omen: Der antike Sagenheld fiel bekanntlich einem Giftanschlag zum Opfer. In der Richelsdorfer Kupferhütte fielen bis 1945 höchst ungesunde Nebenprodukte an. Im 600-Einwohner-Ort, nahe der Thüringer Grenze, geht es um bis zu 36 Grundstücke, die mit dem krebserregenden und toxischen Arsen belastet sein sollen. Einen endgültigen Bescheid gibt es noch nicht, 14 Eigentümer müssen von einer hohen Belastung ausgehen.

Die Erde soll nur etwa 50 Zentimeter tief abgetragen werden. Das Problem: Die Region gehörte früher zur preußischen Provinz Hessen-Nassau. Da es Preußen in Folge des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gibt, gilt gemäß rechtshistorischem Gutachten auch die Zuständigkeit des Bundeslandes Hessen als erloschen. Das Land baue zudem zeitlichen Druck in Richtung Grundstückseigentümer auf, kritisiert Köhler, in dem es die Rückstände-Deponie des Bergwerks bis 2023 versiegeln lassen wolle. Auch die Wasserfilteranlage sei in die Jahre gekommen. Der Unmut der Bürgerinitiative gilt in erster Linie Umweltministerin Priska Hinz, deren Haus das Gutachten veranlasst hat.

Etwa zweieinhalb Millionen Euro würde die Sanierung kosten, vermuten die Nordhessen, etwa 10 000 bis 100 000 Euro pro Fläche, in Härtefällen auch mehr: nur ein Bruchteil der Summen in Schonungen. Aber auch ein Bruchteil der Millionenbeträge, die dem Land das UNESCO-Weltkulturerbe einbringe, sagen die Altlast-Rebellen aus Richelsdorf. Dort ist das Medieninteresse groß, bis nach Brüssel wurden Protestpostkarten geschickt.

"Der Staat muss sanieren, es braucht eine vertragliche Lösung": Das ist für Theo Kohmann der Knackpunkt, als langjähriger Sprecher der SuB, der "Solidargemeinschaft umweltbewusster Bürger" in Schonungen. Und natürlich müsse, wie im Steinachtal, die ganze Umgebung hinter den Demos und Aktionen stehen. Kohmann führt die Gäste die einstige "Arsenallee" entlang, wo heute Grünflächen, ein Lehrpfad und Pflegeheim sowie ein komplett neugestaltetes Wohnquartier zu sehen sind.

Der Frühindustrielle Wilhelm Sattler, der dort ab 1814 Schweinfurter Grün und andere Farbstoffe fabriziert hat, war sogar gebürtiger Kasseler. Die Schonunger Journalistin Ursula Lux hat ein Buch über den 15 Jahre dauernden Umwelt-Thriller geschrieben, den man am umgelenkten Bach nur noch ahnt. Am einstigen "Hotspot" gibt es Geschichten aus der Zeit, als mit dem falschen Bohrkopf Wände zum Wackeln gebracht worden sind, Häuser abgerissen wurden oder Steine in der Sattlerwiese grün waren. Kohmann bietet an, an einer Bürgerversammlung in Richelsdorf teilzunehmen: Zwischen den Hessen und Bayern stimmt die Chemie.

 
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  • Reinshagen153@t-online.de
    Neues Gift an der Arsenallee!

    An dem Neubau auf dem Foto erkennt man Raumlüftung, was auf Wärmedämmung und hochgiftige Biozidanstriche hinweist, um Algen- & Pilzbildung an der Fassade zu verhindern. Das Biozid wird jedoch innerhalb weniger Jahre durch Regen ausgeschwämmt, in den Kanal? in die Steinach? Die Fassade wird nach einigen Jahren, wie überall im Lande, versifft, braun oder grün aussehen, insbesondere in solchen relativ schattigen, feuchten Bachtälern! Ein neuer Schandfleck wird entstehen! Diese Bauweise, mit industriellen Materialien, ist nebenbei bemerkt, viel kurzlebiger und berücksichtigt nicht den Lebenszyklus eines Hauses, i. Ggs. zu massiven Ziegelwänden, mit mineralischen Putz bzw. Farben.
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