
Ein Spaziergang bietet so manchen Blick auf Dinge und Umgebung, welcher ansonsten ungeschehen bliebe. Auf einmal fällt ein Detail auf, auf einmal kommt Überraschendes zu Tage. Im günstigen Fall vagabundiert die Wahrnehmung. Freies, spontanes Sehen hat seinen Vorteil in der Kunst des Entdeckens. Beim Spazierengehen ist es der Weg, der zählt. Auf so einen Spaziergang lädt Sie nun das Museum Georg Schäfer ein. Unseren Wiesenrand bilden zwar nicht Hecken und Sträucher. Vielmehr bezeichnen Werke des Malers Heinrich von Zügel den Pfad in die Natur. So viel Nähe zum Land, zum Tier, zum Grundbedürfnis, zum Sinn für die Abhängigkeit von der Erde ist uns abhandengekommen. Seine inhaltliche Botschaft: Hüte die Natur. Sein künstlerischer Werdegang: Werde Impressionist. Die Resonanz Ihres Besuches wird seine Aktualität neu bemessen.
Heinrich von Zügel wird am 22. Oktober 1850 in dem württembergischen Städtchen Murrhardt am Altrhein geboren. Er ist das dritte und jüngste Kind des gut situierten Schäfereibesitzers Ludwig Zügel und seiner Ehefrau Katharina. Der ältere Bruder Wilhelm und die Eltern unterstützen ihn in ersten künstlerischen Versuchen. Ob mit Griffel, abgebranntem Streichholz oder auf Papier und Schiefertafel – klein Zügel erfasst die ländliche Welt um sich im Nahbild. Ab dem Frühjahr hütet das Schulkind täglich bei jedem Wetter die Schafe. Im Alter ironisiert Zügel diese Zeit mit den Worten: Er hätte auf der Weide den Schäferhund ersetzt.
Der tägliche Aufenthalt in der Natur, überdies die frühe Erziehung zur Verantwortung für die Tiere, konditionieren das Kind nachhaltig zum Getreuen bäuerlicher Motive. Seine grundlegenden Bildideen schöpft Zügel aus dieser Zeit als Schafherden-Hütebub, insbesondere als Kümmerer um die Mutterschafe. Es sind die frühen Bilder der 1870er-Jahre, die von einer Landschaft in prall-sattem Grün erzählen. Sie sprechen von der Harmonie eines friedlichen Gedeihens des Lammes beim Muttertier. Von dem Hang zur süßlichen bäuerlichen Idealität eines Johann Hofner, des älteren etablierten Münchner Tiermalers, setzt sich Zügel wohlfeil ab (Saal 6 und Ständige Sammlung, Saal 2). Mit frühen anekdotischen Stücken glaubt Zügel den Bildermarkt bedienen zu müssen – eine Sackgasse. Stete Aufbrüche in Motivsprache und Stil folgen frei nach Goethe „Sterbe und Werde“. Doch schon bei den frühen Bildern wird der Irrtum der Kunstgeschichte offenbar: Heinrich von Zügel ist nicht Tiermaler in toto, Zügel ist Landschaftsmaler mit „Tierverstand“.
Nach Abschluss der Gemeinde- und Lateinschule in Murrhardt gewährt Prinz Hermann von Sachsen-Weimar dem jungen Talent ein Stipendium – unter der Bedingung, bei dem Nazarener-Anhänger Prof. Hölder zu zeichnen. In den Jahren 1864 bis 1866 kopiert Zügel unter seiner Anleitung Kupferstiche und Lithografien, er studiert die Anatomie der Tiere und übt sich im Präparieren. Hölder bietet dem Jugendlichen Methodisches. Sich selbst aber im Zeichnen und Sehen zu üben – und zwar in innerer Distanz zu Lehrern – erspürt Zügel jetzt.
Ein Staatsstipendiat der Stuttgarter Kunstschule führt den Wissbegierigen in die Klassen von Bernhard von Neher (1806–1886) und Heinrich Rustige (1810–1900) – eine Enttäuschung für Zügel: Neher widmet sich Fresken, Dekorationen, auch Portraits. Bei Rustige sieht Zügel Genre, Historien- und Kinderdarstellungen. Da Rustige auch Inspektor der Stuttgarter Gemäldegalerie ist, bleibt Zügel das Studium vor Originalen – sofern Rustige sie nicht fälschlicherweise übermalt. Zügels Aufenthalt an der Akademie bleibt kurz, von 1867 bis 1869. Er malt kleinformatige Ölbilder neben den zahlreichen Kopierübungen. Seine eher an Anton Braith orientierte Sehweise ist schon erkennbar. Das hier ausgestellte Nahbild und Portrait „Zwei Schafe“ gibt ein exzellentes Beispiel. Es bezeichnet das Wendejahr 1869. Zügel besucht die große I. internationale Kunstausstellung im Glaspalast in München.
Die Präsentation beeindruckt vor allem durch französische Malerei. Doch stärker als zum gefeierten Courbet zieht es Zügel zu den Tier- und Landschaftsmalern Anton Braith, Friedrich Voltz und Adolf Lier. In Erinnerung soll er noch Jahrzehnte später die Werke hier gesehener französischer Tiermaler behalten, jene von Troyon und Jacque. Seine Kenntnis von Millet bleibt ein Sonderfall, wie das ausgestellte Glanzstück Ochsenviergespann von 1888 erahnen lässt.
Finanziert durch Bilder, die während des Sommers in Murrhardt entstehen, bezieht Zügel im Dezember 1869 sein Atelier in der Landwehrstraße in München. Diesem Aufenthalt in Murrhardt sind Vorstudien zu den ausgestellten Bildern „Schafwäsche“ und „Schafmarkt“ zu verdanken.
Die Weiterbildung in der Münchner Akademieklasse des einflussreichen Carl von Piloty bricht Zügel frustriert ab. Piloty verlangt von ihm „mehr Drama“ in der Darstellung. Zum Beispiel soll Zügel das Motiv eines Lammes mit daneben liegendem Schlachtermesser im Angesicht des toten Muttertieres komponieren. Ohne ihn! Auch sein Kontakt zur sogenannten Diez-Schule ändert nichts an seinem Status, ein lehrerloser Akademieschüler zu sein. Die Kunstmetropole München entschädigt, auch seine Freundschaften mit Gotthardt Kuehl und Fritz von Uhde und anderen. Regelmäßige Studienaufenthalte führen Zügel immer wieder in seine Heimatstadt Murrhardt, wo viele der ausgestellten Motive entstehen.
Nach den frühen Arbeitsdarstellungen „Schafschur“, „Schafwäsche“, „Schafmarkt“ im zurückhaltenden Kolorit, die erfolgreich sind – trotz technischer Schwäche –, bricht Zügels Farbpalette ab 1876 auf. Vom Atelierton Franz von Lenbachs verabschiedet er sich endgültig. Zügels Elixier ist die Natur, die ihm wieder Orientierung gibt.
Zügel heiratet seine Jugendfreundin, die Murrhardter Bauerntochter Emma Schippert. Aus der Ehe gehen vier Kinder hervor: Willy (1876), Anna (1880), Elise (1882) und Emma (1888).
Ab 1876 kaufen große Museen Werke von Zügel (im Folgenden genannt mit heutiger Instituts-Bezeichnung): Die Nationalgalerie Berlin erwirbt in ihrem Eröffnungsjahr 1876 „Schafe im Erlenhain“ und 1885 die Staatsgalerie Stuttgart „Im Herbst“. Im Jahr 1892 erwerben die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen das ausgestellte Bild „In Erwartung“ und schicken es auf die Weltausstellung nach Chicago, 1888 ist das ausgestellte Bild „Ochsenviergespann“ in der Galerie in Prag zu finden.
Zügel beteiligt sich an der Pariser Weltausstellung.
Heinrich von Zügel wird Ehrenmitglied der Münchner Akademie und im kommenden Jahr erhält er den Professorentitel.
Seine Begeisterung für Constant Troyons Bild „Pflügende Ochsen“ hat Folgen. Zügels frühe und jahrzehntelange Auseinandersetzung mit dem Thema Ochsengespann steigert sich bis ins Metaphorische: „Schwere Arbeit“ heißt die sechsteilige Folge, die bis ins Spätwerk führt.
Seine großen Formate sind zunächst nicht leicht auf dem Bildermarkt absetzbar.
Zügel reizt sommers die Hochmoorlandschaft von Dachau bei München zu neuen Motiven. Er liebt seine Aufenthalte auf dem Einödhof Rothschwaige – etwas auf Abstand zum Dachauer Kreis von Langhammer, Hölzel, Weishaupt, Buttersack und anderen. Zügel widmet sich ab 1880 mehr und mehr dem Freilicht. Tier, Landschaft, Luft, Ort und Jahreszeit sind ihm als Motivelement verpflichtend. Ab den 1880er-Jahren treten die blauvioletten Farbklänge hervor.
Ein Starstück der Ausstellung bezeichnet das Großformat „Kühe im Moor“, wie so häufig bei Zügel mit fraglicher Datierung.
In diese produktive Zeit fallen Zügels Reisen: 1887 Studienaufenthalt in Paris, 1890 Belgien und Holland (im August in La Panne), 1896 Hamburg/Finkenwerder, 1909 England.
Das Zeichnen begleitet ihn, die Malerei steht im Fokus. Zu den Starstücken unter den Zeichnungen zählt die Arbeit „Bauer, zwei Ochsen führend“, um 1910.
Die Reise auf Einladung des holländischen Tiermalers Johannes H. L. de Haas in dessen Heimat nach Leidschendam bereichert ihn. Er soll die „Silberluft der holländischen Dünen“ kennenlernen.
Zu einem leuchtend-klaren Kolorit führt ihn aber erst der Aufenthalt in Finkenwerder. Die Ausstellung zeigt das Bild Viehweide bei Finkenwerder, 1896, mit expressiv heller Farbgebung.
Zügel ist Mitbegründer der Münchner Sezession zusammen unter anderem mit Kuehl, Dill, Piglhein, Habermann und Stuck.
Als Nachfolger des verstorbenen Tiermalers Hermann Baisch erhält Zügel die Berufung an die Karlsruher Kunstakademie. Noch im selben Jahr richtet ihm die Münchner Akademie eine Klasse für Tiermalerei mit großem Atelierhaus ein und wirbt Zügel endgültig nach München ab. Er kommt gern in die ersehnte Wahlheimat zurück – und er lehrt und lehrt, ab 1895 bis ins hohe Alter.
Regelmäßige Erholungsaufenthalte führen Zügel nach Bozen, Sirmione am Gardasee und Bad Gastein. „Wellness“ existiert in seinem Bildprogramm nicht.
Seit 1895 führt Zügel alljährlich Sommerkurse in Wörth am Oberrhein durch. Zu seinen Schülern zählt eine einzige Frau; ab 1908 Prinzessin Hildegarde von Bayern.
Er unterrichtet einen großen Kreis von Schülern. Zahlreiche bleiben künstlerisch vergleichsweise namenlos für die deutsche Museumslandschaft, ausgenommen Otto Dill, Gino Finetti und Paul Hey und andere.
Der Direktor der Hamburger Kunsthalle Alfred Lichtwark beauftragt Zügel für die „Sammlung von Bildern aus Hamburg“. Er gewinnt ihn für Motive aus der Lüneburger Heide.
Die Entwicklung des Zügelschen Pleinairismus in Blau-Grau-Tonalität führt von einem grob-flächigen Duktus, der noch punktuell begrenzt ist, zu einem linearen, zarten Buntkolorit. Diese ist an der Themengruppe „Kühe im Wasser“ im ersten Ausstellungssaal deutlich ablesbar. Die Bilder umreißen eine Zeitspanne von 20 Jahren.
Der unter den Zeitgenossen bekannte Kunsthistoriker Georg Biermann verfasst die erste Werkbeschreibung über Heinrich von Zügel.
Ein schwerer Schicksalsschlag trifft Zügel, der Tod seiner Frau. In den Jahren 1914 bis 1918 erleidet der kaisertreue Künstler zudem große finanzielle Verluste durch den Besitz von wertlos gewordenen Kriegsanleihen. Seine Arbeit ist davon nicht beeinflusst. Die 1910er- und 1920er-Jahre gehören zu seiner Meisterzeit.
Mit Hilfe seiner Angehörigen zieht er in das neue Wohn- und Atelierhaus in Bogenhausen, München.
Zügel erreicht im Alter eine fachfremde Anerkennung. Die veterinär-wissenschaftliche Fakultät in Gießen verleiht ihm die Ehrendoktorwürde. Seine Sammlung von Auszeichnungen ist weit größer: Heinrich von Zügel ist Träger der Großen Goldenen Medaille Düsseldorf, Ehrenmitglied der Münchner, Dresdner und Berliner Akademien, Träger des Maximilians-Ordens sowie des Ritterkreuzes der Bayerischen Krone. Und heute? Ein Unzeitgemäßer? Zügel ist in der Malerei der Erfinder eines prismatischen Impressionismus, der aus der Fläche kommt – einzigartig neben Liebermann, Corinth und Slevogt in der deutschen Kunstgeschichte. Hüte die Natur, spricht aus seinen Bildern.
Heinrich von Zügel stirbt am 31. Januar in München.
Der Kunsthistoriker Georg Biermann gibt zu Bedenken: „So wird der Name Zügel auch für die heranwachsende Jugend . . . ein Begriff sein; . . . in dem sich das Wunder der Natur zu einem Greifbar-Sichtbaren verdichtet . . .“
Sommerausstellung
Sommerausstellung Heinrich von Zügel (1850–1941) mit über 100 Werken im Museum Georg Schäfer, 27. Mai bis 14. Oktober.
Eröffnung am Samstag, 26. Mai, 15 Uhr, unter dem Motto „urig“, kostenlos. An diesem Tag Sonderöffnung des Museums von 10 bis 19 Uhr. Erster Öffnungstag der Sommerausstellung am Pfingstsonntag, 27. Mai, Eintritt frei. Malschule für Kinder Sonntag, 15 Uhr.
Führungen ohne Anmeldung: Pfingstsonntag, 15 Uhr, Pfingstmontag 11 und 15 Uhr. Fronleichnam, 7. Juni, 15 Uhr
Besucher der Landesgartenschau Bamberg erhalten mit ihrer Eintrittskarte
bis 7. Oktober im MGS einen ermäßigten Eintritt von 5 Euro.