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Heinrich von Zügel im MGS: Mit wissendem Blick
Sommerausstellung: Das Museum Georg Schäfer widmet sich dem äußerst vielschichtigen Werk von Heinrich von Zügel (1850–1941), einem „Landschafter mit Tierverstand“.
Die Konturen weichen einer Art spirituellem Leuchten: Schweine auf dem Stoppelfeld bei aufkommendem Abendnebel, 1899, Öl auf Leinwand, Stadt Wörth am Rhein.
Foto: MGS | Die Konturen weichen einer Art spirituellem Leuchten: Schweine auf dem Stoppelfeld bei aufkommendem Abendnebel, 1899, Öl auf Leinwand, Stadt Wörth am Rhein.
Von unserem Redaktionsmitglied Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 27.06.2012 17:49 Uhr

Nicht leicht zu fassen, dieser Heinrich von Zügel: Ist er nun Realist, Naturalist, Romantiker gar, Impressionist? Seine Lebensspanne umfasst all diese Ismen – Zügel wird 1850 als Sohn eines Schäfereibesitzers im Württembergischen geboren und stirbt 1941 als hochdekorierter emeritierter Professor der Münchner Kunstakademie. Als Kind hat er seines Vaters Schafe gehütet – lange Tage im Freien, die seinen Blick auf die Natur geprägt haben. Er hat von und in ihr gelebt, und das sieht man den Bildern aus allen Schaffensphasen an.

Zu diesem gleichsam wissenden Blick kommt sein Talent, schon in seinen Zwanzigern malt Heinrich von Zügel Schafe, deren zottige Wolle so plastisch wirkt, dass man direkt hineingreifen möchte. Obwohl er als Schüler dem Akademiebetrieb wenig abgewinnen kann, macht Zügel eine glänzende Karriere – nur ein Jahr lang ist er Professor in Karlsruhe, da wirbt ihn die Münchner Kunstakademie schon ab. Man baut ihm ein eigenes Atelier, einen großen Glaskasten auf dem Gelände, in dem er seine große Schülerschar am lebenden Tiermodell unterrichten kann. Und doch ist er heute fast vergessen. Wie auch soll die Kunstgeschichte einen einordnen, der durch alle Phasen seines Schaffens – von der genrehaften Szene bis hin zur Auflösung von Linie und Kontur – immer nur Tiere gemalt hat? Hätte er sich wenigstens vom bekannten Berliner Galeristen Paul Cassirer vermarkten lassen, würden heutige Museen sicherlich aufmerksamer mit seinem Werk umgehen, glaubt Sigrid Bertuleit, Leiterin des Museums Georg Schäfer in Schweinfurt. Hinzu kommt, dass keiner seiner Schüler nennenswerten Ruhm erlangt hat.

Bertuleit ist also angetreten, Heinrich von Zügel in eine Reihe zu stellen mit Liebermann, Corinth und Slevogt. Die große Sommerausstellung unter dem Titel „Vom Realismus zum Impressionismus“ ist mit über 100 Werken dem „Landschafter mit Tierverstand“ gewidmet, wie Sigrid Bertuleit von Zügel nennt, um das lästige Attribut „Tiermaler“ loszuwerden.

Die Ausstellung mit Leihgaben aus München, Stuttgart, Wörth am Rhein, Zügels Geburtsort Murrhardt und von vielen privaten Leihgebern war logistisch „eine schwere Geburt“, berichtet Bertuleit. Denn die großen Häuser haben meist nur das Frühwerk gesammelt. Andere haben zwar Zügel in der Sammlung, allerdings in so schlechtem – weil vernachlässigtem – Zustand, dass er nicht transportfähig ist. Es sind dennoch genügend Gemälde (und einige wenige Zeichnungen) zusammengekommen, um einen Eindruck zu geben von der verwirrenden Vielfalt dieses Werks.

20 Hängungen hat sie durchgespielt, im Versuch, das Phänomen Heinrich von Zügel in den Griff zu bekommen, sagt Sigrid Bertuleit. Die chronologische Hängung hat sie ebenso verworfen wie die nach Motivgruppen.

Nun sind die Säle thematisch gehängt, allerdings sollte man unter Titeln wie „Zügel – Brüche und Aufbrüche gen Europa“ oder „Zügel und seine frühen Werke“ keine stilistische Geschlossenheit erwarten. Schon das Frühwerk – meist sind Schafe das Motiv – kennt Licht und Schatten, neben der beinahe linkischen Genreszene „Schafwäsche“ von 1872 steht „Schafschur“ von 1871, ein kleineres Format von überraschender Unmittelbarkeit, wie es auch der junge Max Liebermann hätte malen können, sagt Bertuleit.

Es scheint, als finden bei Heinrich von Zügel ständig mehrere Phasen gleichzeitig statt. Als stelle er sich immer wieder aufs Neue in Frage und suche immer wieder aufs Neue nach den geeigneten Mitteln, einen Moment in seiner Unwiederbringlichkeit darzustellen. Das „Ochsenvierergespann“ von 1888 zeigt eine Bäuerin buchstäblich im Schatten der schieren Kraft ihrer Zugtiere – eine bewusste Botschaft, sagt Kuratorin Sigrid Bertuleit, die heute geradezu archaisch wirke. Überhaupt: Der Mensch spielt bei Heinrich von Zügel keine tragende Rolle. Er wirkt in der Natur eher wie ein Gast. Da wo die Kühe, die Schafe, die Hunde ganz offensichtlich Charakter und Emotion offenbaren, bleibt der Mensch gesichtslos.

Darin liegt der eigentliche Reiz dieser Ausstellung: Jenseits aller kunsthistorischen Überlegungen bringt sie dem Betrachter das (Nutz-)Tier näher. Seine Verbundenheit mit dem Kosmos etwa in den Bildern „Schwere Arbeit“ (1928) oder „Schweine auf dem Stoppelfeld“ (1899), wo Zügel die Konturen immer mehr zugunsten einer Art spirituellen Leuchtens auflöst. Oder aber die schiere Gegenwart des Tiers. Das Kalb etwa, das in perspektivischer Verkürzung auf die Wespe auf seinem Hinterteil starrt (um 1890). Oder der sorgfältig und unverkennbar liebevoll inszenierte Windhund, der in seiner freundlichen Vitalität wie eine Momentaufnahme wirkt (1880er-Jahre).

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10–17 Uhr, Donnerstag 10–21 Uhr. Bis 14. Oktober

Das Tier als Gefährte, sorgfältig und unverkennbar liebevoll inszeniert: Windhund, 1880er-Jahre, Öl auf Leinwand, Privatbesitz.
Foto: MGS | Das Tier als Gefährte, sorgfältig und unverkennbar liebevoll inszeniert: Windhund, 1880er-Jahre, Öl auf Leinwand, Privatbesitz.
(huGO-ID: 18940071)  Heinrich von Zügel in dem Glaskasten der Münchner Akademie mit “Modellkuh“, anonyme zeitgenössische Aufnahme  FOTO Museum Georg Schäfer (huGO-ID: 18940071)  Heinrich von Zügel in dem Glaskasten der Münchner Akademie mit “Modellkuh“, anonyme zeitgenössische Aufnahme  FOTO Museum Georg Schäfer
| (huGO-ID: 18940071) Heinrich von Zügel in dem Glaskasten der Münchner Akademie mit “Modellkuh“, anonyme zeitgenössische Aufnahme FOTO Museum Georg Schäfer (huGO-ID: 18940071) Heinrich von Zügel in dem ...
 
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