Das ist also der knallharte Ermittler. Der Mann des Staates, der alle Hebel in Bewegung setzt, um seinen Auftrag zu erfüllen und Menschenleben zu retten. Auf die Bühne kommt jedoch ein graues Männlein. Der Dienst hat ihn in diesen unwirtlichen Raum verschlagen. Sichtbeton, hohe Wände, drei Türen, ein klappriger Stuhl, ein Waschbecken auf dumpfen Fließen (Ausstattung: Dorien Thomsen). Es ist Heilig Abend, Thomas, der Polizist, hat sich einen Schokoladen-Nikolaus mitgebracht.
Um Mitternacht soll eine Bombe explodieren. 90 Minuten Zeit hat Thomas noch, um aus Judith, der Philosophie-Professorin, herauszubekommen, wo sie versteckt ist. 90 Minuten. Das Stück von Daniel Kehlmann "Heilig Abend" spielt in Echtzeit. Als Kind hat der Autor den Kultfilm "High Noon" gemocht. Ähnlich ist die Konstellation auch hier. Die Zeit verrinnt, es läuft auf etwas Entscheidendes zu.
Der Polizist ist gut informiert, weiß so gut wie alles über Judith und ihren Mann. Über ihre illegalen Reisen nach Südamerika, Kontakten zu Terrorverdächtigen. Auf Judiths Computer wurde ein Text zu struktureller Gewalt entdeckt. Die staatliche Überwachung ist allumfassend.
Im Verhör versucht es der Polizist zunächst ganz sanft. Umkreist die Verdächtige, schmeichelt ihr, wird dann laut, gewalttätig und dann doch wieder ganz leise. Judith lässt sich nicht einschüchtern. Sie hält dagegen. Sie nennt das System furchtbar, das den Globus ausbeutet und den Menschen in Angst und Unwissenheit hält. Und Gedanken aufschreiben, das wird man doch dürfen.
Welche Mittel darf der Staat einsetzen, um Leben zu retten?
In Kehlmanns höchstaktuellem und bislang politischstem Stück geht es um den alten Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit. Welche Mittel darf der Staat einsetzen, um Menschenleben zu retten, in wieweit darf er dafür Menschenrechte aufgeben? Dabei schlägt sich der Autor auf keine Seite, lässt die beiden Protagonisten sich auf Augenhöhe begegnen.
Die Inszenierung für das Euro-Studio (Jakob Fedler) hält geschickt diese Bilanz. Auf der einen Seite die kühle Professorin (Jacqueline Macauly), die selbst dann noch die Souveränität behält, als ihr ein Geständnis ihres Mannes vorgelegt wird. Auf der anderen Seite der Polizist, den Wanja Mues vieldimensional anlegt. Das ist kein harter Bulle, sondern ein Mann, der seine Rolle spielt, in der er sich keineswegs wohlfühlt und unsicher ist, wie weit er gehen darf.
Beim Gastspiel im Schweinfurter Theater erlebt das Publikum ein spannendes Kammerspiel, das bis zur letzten Minute offen bleibt, bis die Digitaluhr hoch oben an der Wand auf Mitternacht springt.
Schade nur, dass die beiden Schauspieler phasenweise nur schlecht zu verstehen sind.