Es ist Freitagnachmittag. Die Sonne brennt mit fast 40 Grad so heiß herab wie in Aleppo, Teheran oder Kandahar. Der Moschee-Verein Ditib hat am Gotteshaus in der Wirsingstraße, unweit des Hauptbahnhofs, eine kleine Oase eingerichtet und grünschimmernden Sonnenschutz über die Gaben gespannt, die hier auf die Flüchtlinge warten: vor allem Kleidung, aber auch Spielsachen für die Kinder und einige Fahrräder.
„Diyanet Isleri Türk Islam Birligi“, „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“ nennt sich der Dachverband der „Merkez Camii“, der frisch renovierten Zentralmoschee der Stadt, die Ende der 80er auf einem ehemaligen Gelände der Franken-Holz AG errichtet worden ist. Ditib-Vorsitzender ist der junge Familienvater Yasin Yavuz, Wirtschaftsingenieur bei Schaeffler. Der Verein hat, kurz nach dem Fastenmonat Ramadan und vor der Urlaubspause, zur Spendenübergabe eingeladen: „Wir sammeln für alle Asylbewerber, egal ob Moslem oder nicht“.
Aber naturgemäß sind es vor allem Mitglieder der islamischen Diaspora, die sich hier anlässlich des Dschuma- oder Freitagsgebets treffen. Die Frauen und Kinder der Asylbewerber bleiben auf dem Hof, während die meisten Männer, nach einer rituellen Waschung, erst einmal am Gottesdienst von Imam Omer Dumrul teilnehmen. Einen Ruf vom Minarett gibt es in Schweinfurt nicht.
Aus den Krisengebieten dieser Welt
An den Tischen und Kartons sind nun die Geflohenen der Krisen und Kriege dieser Welt versammelt, von Zentralasien über den Balkan bis nach Afrika, darunter viele Syrer und Afghanen. Die Menschen wirken dabei nicht wie Bittsteller: Hier hilft sich eine weltweit aufgestellte Solidargemeinschaft, so der Eindruck, diskret, unkompliziert und mit Würde.
Bescheidene Mode-Accessoires sind willkommen: Die Esprit-Plastiktüte findet ebenso Anklang wie im westlichen Stil bedruckte T-Shirts für die Kinder. Integrationsbeirätin Berrin Aras nennt die Spenden pragmatisch ein „Startkapital“. Demnächst sollen auch noch Lebensmittel eines Gochsheimer Obsthändlers den Speiseplan auflockern. Die Freigiebigkeit habe auch mit der „Zekat“ zu tun, der religiösen Pflicht, Bedürftige zu unterstützen, sagt Aras: „Es wurden auch viele Geldspenden abgegeben“.
Organisatorin der Spendenaktion ist Sare Delibas, die ehrenamtlich als Fahrerin für das Schweinfurter Rote Kreuz arbeitet. Man könne fast depressiv werden, wenn man die Elendsgeschichte höre, sagt die Niederwerrnerin. Von tagelangen Fußmärschen der Familien mit Kindern, ohne Nahrung und Wasser. Von Kriegserlebnissen und zurückgelassenen Angehörigen. Im Vergleich dazu habe man selbst doch eigentlich Luxusprobleme, findet Delibas. Die eigenen Kinder seien schon groß, nun wolle sie hier helfen.
Zurück auf Null: Von der Medizinstudentin zum Flüchtling
Einige der Flüchtlinge können Türkisch, womit schon eine erste Kontaktaufnahme möglich ist: Wie der kleine Tamir, der mit seiner Schwester Kevser aus Teheran nach „Stambul“ oder Istanbul geflüchtet ist – und nun ebenso schüchtern wie stolz ein Jungenfahrrad ergattert hat.
„Ich spreche schon ein wenig Deutsch“, sagt Aziza, 21, Medizinstudentin aus Damaskus, ebenso wie Englisch. Die Augen leuchten aufgeweckt und hoffnungsvoll unterm eng anliegendem weißem Kopftuch, Klischees über islamische Frauenrollen zum Trotz: „Wo kann ich anfangen?“, scheint ihr Blick zu fragen. Mit ihrer Heimat Syrien wurde ein ziemlich modernes, weltoffenes arabisches Land in den Abgrund gestürzt, ihre Studienzeit ist erst einmal zu Ende.
Hochqualifizierte, dringend benötigte Leute seien unter den Flüchtlingen, sagt Berrin Aras, die nun Arbeit suchten. Vom mehrsprachigen Lehrer bis hin zum Bäckermeister. Sicherlich gebe es auch negative Zwischenfälle mit Asylbewerbern, sagen die Helferinnen, nur solle man davon nicht auf die große Mehrheit schließen. Viele der Neuankömmlinge hätten allerdings gelernt, sich durchzukämpfen, heißt es. „Von den Flüchtlingen kann man Selbstbewusstsein lernen“, findet Aras, die eigentlich als Bankangestellte arbeitet.
Das Freitagsgebet ist zu Ende, nun eilen auch die Männer auf den Vorplatz: Viele Syrer sind dabei. „As salam, Friede sei mit Euch“: Mit Schweinfurts Türken versteht man sich gut, im Wortsinn, schließlich war Syrien bis zum Ende des Ersten Weltkriegs Teil des Osmanischen Vielvölkerstaats. Die mit Hilfe des islamfreundlichen Kaiserreichs und deutscher Firmen (sowie Ingenieure, wie des Schweinfurters Emil Heubusch) auf die Schiene gebrachte Bagdadbahn bildet bis heute eine buchstäblich eher technische Grenze zwischen den Nachbarn.
In der Nazizeit fanden zuletzt zahlreiche deutsche Dissidenten, darunter der spätere erste Westberliner Oberbürgermeister Ernst Reuter, aber auch jüdische Akademiker, in der Türkei Zuflucht, wodurch sich der weitsichtige Atatürk einen entsprechenden Wissenstransfer erhoffte. Der SPD-Mann Reuter wurde tatsächlich anerkannter, türkisch publizierender Verwaltungsspezialist und Professor für Städtebau in Ankara. Damals hat im Türkischen das Wort „haymatloz“ Einzug gehalten, nach dem Status, der den Ausgebürgerten in Deutschland in die Pässe gestempelt worden war.
Ditib setzt sich für das Miteinander zwischen Christen und Muslimen in Schweinfurt ein
Ganz so groß möchte die Schweinfurter Ditib 2015 nicht einsteigen: Nach den Sommerferien will man sich vor allem um die Integration der Flüchtlingskinder in den Schulen bemühen, rechtzeitig zum „Opferfest“ ab dem 23. September, als wichtigem Familienfest. Ansonsten plant Yasin Yavuz, sich auch verstärkt für das Miteinander christlicher und muslimischer Schweinfurter einzusetzen: In Zusammenarbeit mit der evangelischen und katholischen Kirche sollen sich im Herbst jeweils zehn deutsche und türkische Familien näher kennenlernen.