"Wir waren die Ersten, die geschlossen hatten und wir sind die Letzten, die wieder öffnen dürfen." Wollte man in einem dicken Buch zusammenfassen, wie es Kulturschaffenden seit Beginn der Corona-Pandemie ergangen ist, dann könnte dieser Satz von Achim Hofmann in dicken Lettern auf dem Cover stehen. Diejenigen, die für und von ihren Live-Auftritten vor Publikum leben, sind von den Einschränkungen und vom Lockdown besonders hart getroffen worden. Die Gerolzhöfer Musiker Achim Hofmann und Silvia Kirchhof (Duo Café Sehnsucht) und Ralph Theobald (Häisd'n'däisd vomm Mee) zählen zu dieser Gruppe. Sie sehnen sich – wie so viele – nach der Zeit nach Corona, nach Normalität.
Was sie verbindet, ist das, was sie vor über einem Jahr verloren haben: ihr Publikum. "Das Bühnenleben fehlt mir", sagt Theobald. Für ihn und seine fünf Bandkollegen von "Häisd'n'däisd vomm Mee" war das Wechselspiel, der direkte Kontakt mit ihren Zuhörern quasi das Elixier, das ihre fränkische Combo seit ihrem ersten Auftritt vor fast 23 Jahren ausgemacht hat. Dem Volk aufs Maul schauen – das nimmt die Band wörtlich. Wann aber wird dieses Musizieren eng an eng wieder möglich sein? Oder solche Stücke wie das, bei dem die sechs Musiker ihre Instrumente reihum geben, jeder jedes abwechselnd spielt – und das Publikum sich in den Armen liegt? Kein Mensch weiß das.
Band-Proben nur mit Abstand und Lüften
Das nagt an der Musikerseele, gibt Theobald zu: "Mir fehlt das gemeinsame Musikmachen. Es ist ein großes Geschenk und Glück, dass wir mit dieser Gabe ausgestattet sind." Da tröstet es nur wenig, dass die Musiker die Corona-Zeit genutzt haben, sich gesanglich fortzubilden und weiter ihre Instrumente geübt haben, allein und immer wieder auch mal zusammen. Als anerkanntes Profi-Ensemble dürfen sie das, mit Abstand, Lüften und Hygienekonzept. "Doch das Bühnenleben fehlt", sagt Theobald.
Die spärlichen, im Internet als Live-Streams übertragenen Auftritte sind kein Ersatz, bestätigt Achim Hofmann, der mit seiner Ehefrau Silvia Kirchhof als Duo "Café Sehnsucht" auftritt. "Es fehlt die Atmosphäre mit den Zuhörern, der Beifall", erzählt er. Zudem sei es gewöhnungsbedürftig, vor der Linse der Livecam zu gastieren: "Ins Nichts zu spielen, ist seltsam."
Silvia Kirchhof wirkt nicht nur als Sängerin mit ihrem Mann zusammen. Als Klinik-Clown hat sie während der Corona-Pandemie die Chance, "wenigstens ein bisschen kreativ zu sein", sagt sie. Sie hat festgestellt: Auftritte vor Kindern auf Balkonen, dies funktioniert, wenn es sein muss. Außerdem hat sie im zurückliegenden Jahr als Regisseurin und Leiterin des Kleinen Stadttheaters Gerolzhofen Stücke ausgearbeitet. So entstand das im Herbst geplante Wandeltheater "Herr Vogel. Ein Märchen über die Suche nach dem Glück" als Stück, das die Zuschauer mit etwas Leichten begrüßt, so Kirchhof. "Es ist ein Thema, das uns alle angeht", gerade nach den teils schlimmen Corona-Erfahrungen.
Auch "Häisd'n'däisd vomm Mee" haben sich mit der Seuche, die die Welt im Griff hat, beschäftigt. Herausgekommen ist ein eigenes Lied. Darin heißt es: "Corona ist nur 'ne lange Zeit, ein Prosit der Gemütlichkeit" – das Lied nimmt quasi die Zeit vorweg, in der die Volksmusiker wieder sie selbst sein vor großem Publikum spielen dürfen. Das Stück haben sie auch während einer Aufzeichnung für das Bayerische Fernsehen gespielt.
Fernseh-Aufzeichnungen und CD-Produktion
Überhaupt haben eine Handvoll TV-Aufzeichnungen die Musiker während des zurückliegenden Jahres, neben Video-Konferenzen anstelle von Live-Proben, irgendwo bei Laune gehalten, wenngleich diese nur vor spärlich besetztem Statisten-Publikum machbar waren. Erst vor kurzem standen sie mit einem Blechbläser-Ensemble im Prichsenstädter Gasthof "Zum Storch" vor der Kamera für die Sendung "Musi und Gsang im Wirtshaus", die das Bayerische Fernsehen am 7. Juni um 20.15 Uhr ausstrahlen wird. Zudem hat "Häisd'n'däisd vomm Mee" während der Pandemie mit Hilfe eines mobilen Aufnahme-Teams ihre fünfte CD aufgenommen, ihre erste Studio-CD, zuvor waren es immer Mitschnitte von Live-Konzerten gewesen.
Theobald und seine Bandkollegen musizieren zwar professionell, leben jedoch nicht von dem, was sie als Musiker für ihre Auftritte bekommen. Bei Silvia Kirchhof und Achim Hofmann schaut es anders aus: Sie leben von den Einnahmen bei ihren Auftritten. Hofmann arbeitet zudem als Musiklehrer, im zurückliegenden Jahr allerdings gezwungenermaßen nur "sehr sporadisch", wie er sagt.
Was das Paar das Corona-Siechtum als Künstler finanziell überleben ließ, war ihr Wohneigentum, berichten sie ganz offen. Hätten sie Miete zahlen müssen – wer weiß, wo sie heute stünden. Es sei kein Geheimnis, sagen sie, dass Künstler teilweise wieder bei den Eltern wohnen müssen, weil sie sich ihre eigene Wohnung nicht mehr leisten können. Die spät angelaufene staatliche Unterstützung der Kulturschaffenden reiche in vielen Fällen nicht zum Überleben.
Kultureller Verlust macht sich spät bemerkbar
Was Hofmann aber noch mehr nachhängt als fehlendes Geld, ist für ihn der Umstand, dass die Kunst- und Kulturszene während der Corona-Krise anfangs völlig durchs Raster gefallen sei, als es um das Verteilen staatlicher Hilfen ging. Die Relevanz von Kleinkünstlern und Solo-Selbstständigen für die Gesellschaft sei nicht erkannt worden. Es sei schon ein erniedrigendes Gefühl, stellt Hofmann fest, als nicht systemrelevant zu gelten. Im Vergleich zu den schnell organisierten Hilfen für Großkonzerne hat er erkennen müssen: "Wenn wir Künstler verschwinden, merkt's keiner sofort." Die Folgen kulturellen Verlusts seien erst mittel- bis langfristig zu spüren.
Trotz aller Sorgen, auch darüber, wie der Kulturbetrieb nach der Pandemie weitergehen kann, gibt es Lichtblicke. Regisseurin Kirchhof ist es gelungen, für das neue Stück des Kleinen Stadttheaters innerhalb von zwei Tagen 30 Schauspieler aus ihrem Laien-Ensemble zu finden, um alle Rollen zu besetzen. "Das ist sehr anstrengend, aber es funktioniert", beschreibt sie die aktuellen Proben, die online in kleinem Kreis laufen. Ab Juni, hofft sie, werden sie wieder im Freien proben können, damit das Wandeltheater im Herbst wie geplant gespielt werden kann. Den Kartenvorverkauf hat sie bewusst weit nach hinten gelegt, dieser startet erst im Juli.
Trotz des erheblich gestiegenen Aufwands, den die Einschränkungen der Pandemie mit sich bringen, möchte die Theater-Leiterin die Preise für die Karten nicht über 20 Euro anheben, auch mithilfe eines Zuschusses naus dem Kulturfonds des Freistaats, den sie erhält. "Die Menschen sollen sich Kultur weiter leisten können", sagt Kirchhof.
Renovierung des Kleinen Stadttheaters zieht sich
Dass Kleinkunstbühnen in den kommenden Jahren neu entstehen, hält sie für "eher unwahrscheinlich". Auch hier werde Corona lange nachwirken. Sie selbst renovieren gerade noch das neue Domizil des Kleinen Stadttheaters in der Centgasse. Sie und ihr Mann haben das Haus erst Ende 2019 gekauft – wofür sie sich sicherlich nicht entschieden hätten, wenn sie gewusst hätten, dass Corona vor der Tür steht. Seitdem lastet die Renovierung vor allem auf Hofmann; der Einsatz einer größeren Zahl von Helfer geht nicht. Sie hoffen dennoch, das Theater bis zum Herbst zumindest eingeschränkt öffnen zu können.
Musiker Theobald, der wie seine Bandkollegen mehrere Instrumente spielt – Akkordeon, Posaune, Gitarre, Ukulele und ein paar Exoten, wie Nasenflöte – wünscht sich, dass möglichst viele Bühnen nach dem Lockdown wieder aufmachen, mit gutem Konzept. Dass Veranstalter jetzt "Häisd'n'däisd vomm Mee" um Ersatztermine für die 30 bis 40 Konzerte, die sie normalerweise im Vorjahr gegeben hätten, bitten, zeigt ihm: "Den Verantwortlichen blutet auch das Herz, wenn sie absagen müssen." Alle wollten die Zuhörer wieder strahlen sehen. "Wir auch."