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SCHWEINFURT
Happy-End fürs Diktatoren-Paar
Missglückter Mordversuch: Stephanie Krug (Poppea) und Christopher Robson (Ottone).
Foto: Hermann Posch | Missglückter Mordversuch: Stephanie Krug (Poppea) und Christopher Robson (Ottone).
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 10.02.2016 03:40 Uhr

Mit „L'Orfeo“ hat Claudio Monteverdi 1607 die Oper sozusagen erfunden. Mit „L'Incoronazione di Poppea“ stößt er 1642 allmählich das Tor von der Renaissance in Richtung Barock auf. Dennoch ist „Die Krönung der Poppea“ noch erkennbar ein Frühwerk der Gattung. Umso moderner die Handlung: Am Ende triumphieren nicht das Gute oder gar die Liebe, sondern Macht, Brutalität und Skrupellosigkeit.

Mit „L'Orfeo“ war das Münchner Ensemble für Alte und Neue Musik cosi facciamo bereits 2008 im Theater zu Besuch, 2011 mit Händels „Ariodante“. Am Donnerstag war hier Tourneepremiere mit der Neufassung von „L'Incoronazione di Poppea“, im April ist sie dann im Münchner Cuvilliés-Theater zu erleben.

Es dauert trotz der schlüssigen und einfallsreichen Regie von Martina Veh eine ganze Weile, bis das Stück in Gang kommt. Vielleicht, weil erst eine ganze Menge Konstellationen etabliert werden müssen: Poppea hat sich Nero geangelt. Der will sie heiraten und deshalb seine Gattin Ottavia verstoßen. Ottavia setzt Ottone, Ex-Mann von Poppea, als Mörder auf Poppea an. Und dann gibt es noch Drusilla, die Ottone liebt, Seneca, den Mahner und Mentor, der die Tugend liebt, und Arnalto, Sekretär von Poppea, der Macht und Moneten liebt.

Vielleicht, weil die musikalische Einrichtung mit sieben Musikern an neun recht leisen Instrumenten auf der breiten Bühne – vier am linken, drei am rechten Rand – doch allzu frugal wirkt. Vielleicht auch, weil die Nuancen der „wörtlich verstandenen Text-Vertonung“ (der Cellist und musikalische Leiter Hans Huyssen im Programmheft) sich erst allmählich erschließen. Arien gibt es (noch) nicht, im Grunde ist das Werk (nicht unähnlich wie bei Wagner) ein fortlaufendes Rezitativ, unterbrochen nur durch kurze Ritornelle und vier – eingefügte – Tarantellen, Lieder aus der neapolitanischen Volksmusik.

Nikolaus Maiers Bühnenbild besteht aus vier dicken, verschiebbaren Wänden, eine Seite glatt und grau, die andere mit je hundert dimmbaren Glühbirnen, die unterschiedlichste Stimmungen erzeugen können und zum Schluss, synchron zurückfahrend, für einen verblüffenden cineastischen Effekt sorgen.

Martina Veh zeichnet die modern gekleideten Figuren konsequent durch. Die berechnende Poppea, die Stephanie Krug mit kaltem Glanz in den Augen und warmem Timbre im Sopran singt. Die gedemütigte Ottavia von Martina Koppelstetter, deren Mezzo zwischen Schmerz und Rachsucht changiert. Den Sadisten Nero, den Christian Sturm als anfangs nicht mal unsympathischen Burschen spielt, der auch Chef eines Start-Up-Unternehmens sein könnte. Den unglückseligen Ottone, der quasi aus Versehen davonkommt und auch noch eine liebende Frau (die überraschend rechtschaffene Drusilla von Monika Lichtenegger) nachgeschmissen bekommt.

Der britische Countertenor Christopher Robson, der an diesem Abend möglicherweise erkältungsbedingt stimmlich ein wenig zu kämpfen hat, spielt diesen Ottone wohltuend unopernhaft und mit beträchtlichem komödiantischem Anteil als notorischen Loser und wird so bezeichnenderweise zum Sympathieträger. Sein Gegenspieler ist nicht Nero, sondern der Emporkömmling Arnalto, den Carsten Fuhrmann zum lupenreinen Kotzbrocken macht. Der gesangliche Höhepunkt aber kommt von Joel Frederiksen, dessen glasklarer, unglaublich tragfähiger Bass dem Seneca unausweichliche Autorität verleiht.

Kein Wunder, dass Nero ihn loswerden muss. Tatsächlich wirkt der makabre Tanz, den Nero und Arnalto zu Beginn des zweiten Teils mit Senecas Leiche vollführen, wie ein dramaturgischer Startschuss. Zuvor dominieren die eher kleinen, bedeutsamen Gesten, etwa wenn Nero Seneca den Stuhl hinschiebt, wie um ihn einzuladen, neben ihm Platz zu nehmen, und er dann doch fies grinsend seine Springerstiefel drauf pflanzt.

Doch jetzt kommt Tempo auf. Ottone muss töten, sonst rollt sein eigener Kopf. Poppea muss Nero bei der Stange halten, bevor der sich neue Zerstreuung sucht. Und Arnalto muss aufpassen, das er in all der Aufregung nicht vergessen wird. Großartig die missglückte Mordszene im Garten, beinahe gruselig das Happy-End mit eiskalt strahlendem Diktatoren-Pärchen. Langanhaltender Beifall für eine spannende Inszenierung, die in kleinerem Rahmen (oder mit größerem Orchester), mit kompakterem Klangbild möglicherweise früher zünden würde.

 
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