Die schrecklichen Bilder vom Krieg in der Ukraine und von den davor fliehenden Menschen haben sie nicht losgelassen. Sie fühlten sich hilflos, wollten aber dennoch nicht tatenlos sein. Deshalb zauderten sie nicht und setzen sich ein: 13 Schülerinnen und Schüler der siebten Jahrgangsstufe des Gymnasiums Gerolzhofen kümmern sich, seitdem am Dienstag, 15. März, die ersten Geflüchteten aus der Ukraine in der Dreifachturnhalle angekommen sind, vor Ort um die dort untergekommenen Kinder.
Dazu aufgefordert oder darum gebeten hat sie niemand, sagen die Gerolzhöferinnen Johanna Winkelmann (13), Maren Würffel (12), Rusel Kälij (13) und Zoe Edelmann (13) aus Dingolshausen am Freitagnachmittag im Gespräch mit der Redaktion. "Die Idee kam uns im Sportunterricht", berichtet Johanna. Dann sprachen sie mit Rusel, die Ähnliches selbst durchgemacht hat. Im Jahr 2015 war diese als Siebenjährige mit ihren beiden jüngeren Geschwistern und ihren Eltern vor dem Krieg in Syrien geflohen. In Gerolzhofen hat sie damals eine neue Heimat gefunden. Den Schülerinnen war sofort klar: Sie wollten den ukrainischen Kindern, die nach Gerolzhofen kommen sollten, helfen und für diese da sein.
Das Angebot der Schüler trägt einen eigenen Namen
Sie fragten Mitschüler, ob diese mitmachen würden bei der "Kinderbetreuung Gerolzhofen", wie sie ihr Projekt tauften. Mit Erfolg. Insgesamt 13 Siebtklässler sind es jetzt, die jeden Nachmittag, nach einer kurzen Mittagspause zuhause auf das Schulgelände zurückkehren, um in der Turnhalle Kinder zu betreuen. Neben den genannten vier Mädels sind dies noch Kilian und Konstantin Müller, Noah Wiedemann, Sofia Borysevych, Farah Fares, Tessa Schlier, Bastian Schaible, Anne Borschert und Miriam Förster. Sie bereiten für jeden Tag ein Programm für die jungen Ukrainer vor. Sie spielen mit ihnen draußen, basteln, malen, toben. Bis zum frühen Abend sind sie vor Ort und helfen, wo sie gebraucht werden.
Anfangs seien die Kinder, die in der Notunterkunft ein vorläufiges Zuhause gefunden haben, schüchtern, sagt Zoe. "Manchmal nehmen wir sie dann auch einfach nur an der Hand und nehmen sie mit", meint Maren. Alle vier sind sich einig: Es ist ein schönes Erlebnis, helfen zu können, trotz – oder vielleicht gerade wegen – des Leids der Geflüchteten und den vielen Sorgen, die diese quälen. Den deutschen Schülerinnen und Schülern bleibt dies natürlich nicht verborgen.
Syrisches Mädchen erinnert sich an die eigene Flucht vorm Krieg
Eine besondere Herausforderung ist die Situation für Rusel. "Ich verbinde in diesen Tagen sehr viel von dem, was ich mitbekomme, mit unserer eigenen Flucht aus Syrien", erzählt die 13-Jährige. Sie kennt, anders als die anderen, Krieg nicht nur aus dem Fernsehen und dem Internet. Sie weiß aus eigener Erfahrung, was Flucht für Menschen bedeutet. Sie weiß aber auch, was ihr und ihrer Familie damals geholfen hat, als sie vor knapp sieben Jahren in Gerolzhofen ankamen. "Eine Familie hat uns betreut und sich um uns gekümmert." Beim Einkaufen, bei Behördengängen, überhaupt im Alltag, "bis wir gut genug Deutsch konnten". Diesen Geist des Willkommen-Seins möchten Rusel und ihre Mitschüler nun ukrainischen Kindern entgegenbringen.
Das Gefühl, jungen Menschen wirklich helfen zu können, das tue ihnen angesichts der schlimmen Nachrichten vom Krieg gut, sind sich alle vier Gesprächspartnerinnen einig. Zugleich erzählen sie auch von belastenden Gefühlen, etwa wenn Kinder, mit denen sie an dem einen Tag noch gespielt und die sie ins Herz geschlossen haben, am nächsten Tag bereits wieder weg sind, weil sie die Notunterkunft verlassen haben. Wobei das ja grundsätzlich gut sei, wissen die Siebtklässler, denn das Wichtigste sei es, dass die Geflüchteten so schnell als möglich eine Wohnung finden, ein neues Zuhause – und am besten Menschen um sich haben, die ihnen das Gefühl geben, Teil einer größeren Familie zu sein.
Übersetzungsprogramm auf dem Smartphone leistet gute Dienste
Doch wie verständigen sie sich mit den Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine? Gute Dienste, sagen die Schülerinnen, leiste hier ein Übersetzungsprogramm auf dem Smartphone. Zumindest, wenn sie deutsche Wörter oder Sätze eingeben, erhielten sie auf diese Weise Ansagen auf Russisch oder Ukrainisch, die die Geflüchteten verstehen. Andersherum, von der russischen oder ukrainischen Sprache ins Deutsche, funktioniere die Übersetzung nicht so gut. Da komme oft ein Kauderwelsch heraus. Wenn sie mit Sprache nicht weiterkommen, dann behelfen sie sich mit Zeichen: Daumen hoch oder runter – das verstehe jedes Kind.
Neben den Schülerinnen und Schülern sind an der Dreifachturnhalle etwa 20 Frauen und Männer des Gerolzhöfer Helferkreises für Geflüchtete aktiv, der sich seit 2015 stetig um Menschen gekümmert hat, die in der Stadt eine neue Heimat gefunden haben. Doch jetzt sind die Herausforderungen an den Helferkreis immens, berichtet Matthias Seng stellvertretende für diesen. Zum Glück gibt es eine Reihe weiterer Menschen, die Hilfe bei speziellem Bedarf angeboten haben, etwa für Fahrdienste. "Ich weiß eigentlich immer jemanden, bei dem ich anrufen kann", sagt Seng. Goldwert seien auch die zehn bis zwölf ehrenamtlichen Übersetzer, die in der Dreifachturnhalle aktiv sind.
"Wenn sich um die Menschen in der Halle nur die beiden Männer der Security, die eine Mitarbeiterin des Landratsamtes vor Ort und der Hausmeister kümmern würden ...", Seng lässt den Satz unvollendet. Ihm ist klar: Die zuständigen Behörden arbeiten allesamt am Limit. Schließlich sei auch die Corona-Pandemie allenfalls etwas in den Hintergrund gerückt, aber immer noch eine große Herausforderung für die Ämter.
Für Montag werden weitere Geflüchtete erwartet
Wie es ohne den Einsatz von Ehrenamtlichen um die Geflüchteten bestellt wäre, möchte sich tatsächlich niemand vor Ort vorstellen. Am Freitagnachmittag waren dort 57 Menschen untergebracht. Am Wochenende sollten ein Dutzend weitere hinzukommen, am Montag weitere 20, die vorher im Ankerzentrum in Geldersheim waren. Doch diese Angaben sind immer nur vorläufig, denn ständig werden Menschen abgeholt, weil für sie eine Wohnung gefunden wurde, oder weil sie bei Verwandten oder Bekannten unterkommen können.
Was den freiwilligen Helferinnen und Helfern allerdings noch viel wichtiger ist als mancher Ärger über lähmende Bürokratie und logistische Missgeschicke, die es täglich gibt: "Wir geben den Menschen, die zu uns gekommen sind, das Gefühl, nicht alleine zu sein", sagt Seng. Dieses Versprechen steht in kyrillischen Buchstaben auch auf einem großen Tuch geschrieben, das in der Halle hängt. "Wir möchten den Menschen hier einfach das Gefühl vermitteln, dass wir ihnen bei allem helfen werden, was noch vor ihnen liegt."
GROSSEN RESPEKT !!!!
Ich finde es toll, dass junge Menschen, denen 2015 geholfen wurde, jetzt anderen helfen!
Thomas Vizl