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SCHWEINFURT
Hamlet als Fundamentalist der Rechtschaffenheit
Hamlet (Florian Beyer) zwischen den Spitzeln Güldenstern (Reinhard Bock, links) und Rosenkranz (Renatus Scheibe).
Foto: Foto ED | Hamlet (Florian Beyer) zwischen den Spitzeln Güldenstern (Reinhard Bock, links) und Rosenkranz (Renatus Scheibe).
Von unserem Redaktionsmitglied Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 25.10.2013 16:23 Uhr

Das Schöne an der Hamlet-Inszenierung von Ansgar Haag für das Theater Meiningen ist, dass sie völlig unabhängig von der Verortung im Unrechtsstaat DDR funktioniert.

Zugegeben, der historische Mief des Bühnenbilds von Bernd-Dieter Müller hat seinen Reiz, aber man könnte die schimmelgrünen Wände und das Holzimitat jederzeit austauschen gegen die kindisch bunte Glitzerwelt irgendeines Internetkonzerns oder die luxuriöse Sachlichkeit irgendeiner Regierung. Hamlets Problem ist nicht systembedingt. Es tritt immer da auf, wo ein kompromisslos Rechtschaffener gezwungen ist, in der Welt der mehr oder weniger kriminellen Pragmatiker zurechtzukommen. Immer da, wo ein Zweck allmählich hinter den Mitteln zurücktritt, wo die Fassade der Macht deren Legitimität ersetzt. Es gilt weiterhin der Adorno-Satz „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“.

Und so quittiert das Publikum bei der ersten von vier Vorstellungen im Schweinfurter Theater – anders wohl als das in Meiningen – Einsprengsel wie „Wir sind das Volk“ und die unvermeidlichen „blühenden Landschaften“ mit Gleichmut.

Der Meininger Hamlet lebt von der Kraft der Schauspieler und von ihrem Umgang mit der überwältigend schönen Sprache der Übersetzung von Frank Günther. Michael Jeske ist ein wunderbar wuchtiger Claudius im Gewand des verschlagenen Parteifunktionärs, dessen per Mord erworbene Souveränität zum Schluss in Trümmern liegt. Auch Peter Bernhardt könnte direkt einem Parteitagsbild entstiegen sein. Sein Polonius wirkt höchst bedrohlich, sobald er die Maske des umgänglichen Bürokraten fallen lässt.

Ulrike Walther als Gertrud ist die eigentlich tragische Figur: Sie zerbricht an ihrer Schuld, lange bevor das für Hamlet bestimmte Gift sie tötet. Anne Rieckhofs Ophelia verbindet durchaus handfeste Diesseitigkeit mit anrührender Sensibilität. Einen kurzen Moment hofft der Zuschauer – freilich wider besseres Wissen –, dass es ihr gelingen könnte, das Unmögliche zu ermöglichen. Das aber scheitert an Hamlet. Den gibt ein großartiger, im Laufe des Abends immer hypnotischer wirkender Florian Beyer als energiegeladenen, sprunghaft aggressiven Getrieben, einen Fundamentalisten, wenn man so will, dessen Charisma kurioserweise aus bedingungsloser Selbstbezogenheit entsteht.

Er ist süchtig nach Dissonanz, Ophelia braucht die Harmonie. Davon rücken beide nicht ab, und dafür zahlen beide den Preis. Hamlet und Ophelia gehen nicht an der Unmöglichkeit ihrer Liebe zugrunde, sondern an ihrer Unfähigkeit zu lieben.

Weitere Vorstellungen: 25., 26. Oktober. Karten: Tel. (0 97 21) 51 49 56

 
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