Im Frühjahr 1977 wird es noch mal kurz spannend: 500 Millionen Mark sind in Grafenrheinfeld bereits verbaut, als es vor dem Verwaltungsgericht Würzburg zum Prozess gegen das KKG kommt. Geklagt haben die Stadt Schweinfurt, die Gemeinde Bergrheinfeld und drei Privatpersonen.
Zwei Tage vor dem Würzburger Termin hat ein Gericht den Bau eines Atomkraftwerks im baden-württembergischen Wyhl gestoppt – der allerdings noch nicht begonnen hatte. In Grafenrheinfeld jedenfalls kann man aufatmen, das Gericht weist die Klagen ab.
Im Frühjahr 1977 ist die Geschichte des KKG bereits acht Jahre alt. Ihr öffentlicher Teil hat im Sommer 1969 mit einer Gemeinderatssitzung in Grafenrheinfeld begonnen: Das Gremium gibt seine grundsätzliche Zustimmung zum Bau eines Atomkraftwerks durch die Bayernwerk AG. Der Gemeinderat ist der Meinung, man dürfe sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Die Gemeinde verkauft knapp zehn Hektar eigenes Gelände, hinzukommen weitere 35 aus Privatbesitz.
Es waren sogar mal zwei Reaktorblöcke und vier Kühltürme geplant
Im Juli 1972 stimmt der unterfränkische Bezirkstag dem Projekt zu, im Dezember der Kreistag. Im November 1973 schließlich stellt die Bayernwerk AG Antrag auf Errichtung eines Atomkraftwerks. Das Raumordnungsverfahren sieht damals sogar zwei Reaktorblöcke und vier Kühltürme vor, zunächst will man aber nur einen Reaktor und zwei Kühltürme bauen.
In ihren Stellungnahmen zum Raumordnungsverfahren lehnen die Stadt Schweinfurt und mehrere Nachbargemeinden den Bau ab. Gleichzeitig formiert sich der Widerstand in der Bevölkerung. 1972 hat sich die „Bürgeraktion Umwelt- und Lebensschutz“ gegründet. Bürgerinitiativen zu den unterschiedlichsten Problemen gibt es bereits. Die aber stehen damals im Ruf, eher chaotisch zu sein. Deshalb wählt man den Namen „Bürgeraktion“. Seit 1986, seit der Vereinigung mit der „Bürgerinitiative gegen Atomanlagen“, heißt die Anti-Atom-Initiative BA-BI.
Die ist nun seit 40 Jahren aktiv: 40 Jahre Widerstand in Stadt und Landkreis gegen Atomkraft. Erst gegen den Bau des KKG, dann gegen dessen Betrieb und den aller anderen Atomkraftwerke, dann gegen die Atommüllverladungen in Gochsheim, dann gegen das Zwischenlager, dann gegen den Ausstieg vom Ausstieg und schließlich dagegen, dass aus dem Zwischenlager ein Endlager wird.
36.000 Unterschriften gegen das KKG
Die große Politik lässt sich nicht beeindrucken, auch nicht von 36 000 Unterschriften gegen das KKG, die die Bürgeraktion dem damaligen Umweltminister Max Streibl überreicht. Auf einer Podiumsdiskussion in Schweinfurt vertritt Klaus von Dohnanyi, damals Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, die Meinung, dass es angesichts des ständig steigenden Energiebedarfs keine Alternative zur Atomenergie gebe.
Am 21. Juni 1974 kommt die atomrechtliche Genehmigung. Zuvor hat die Regierung von Unterfranken unter 21 Sicherheits- und Umweltauflagen ihre Zustimmung gegeben. Die Stadt Schweinfurt klagt gegen die Genehmigung, die Arbeiten müssen vorübergehend eingestellt werden. Im Januar 1975 erteilt Landrat Georg Burghardt die zweite Teilgenehmigung, es kann mit dem Bau der Kühltürme begonnen werden.
Im Juni 1975 arbeiten 340 Menschen auf dem Gelände, über 50 Firmen aus Unterfranken sind beteiligt. Die Dichtwand gegen das Absinken des Grundwassers und das Fundament für das Maschinenhaus sind bereits fertiggestellt. Die Baustelle wächst, ebenso die äußere Ringwand des Reaktorgebäudes. Elf Hochkräne sind im Einsatz.
Ein regelrechter Baustellentourismus setzte ein
Schon jetzt bietet die Bayernwerk AG täglich bis zu vier Busfahrten für Besucher über die Baustelle an, im Herbst registriert das Informationszentrum den 10 000. Besucher. Endes des Jahres stehen die 36 Stützen der Kühltürme, durch die später die Luft in die Türme ziehen soll, und der untere Teil der Stahlkugel, die den Reaktordruckbehälter aufnehmen wird. Im Oktober 1976 arbeiten 850 Mann auf der Baustelle. Der erste Kühlturm erreicht seine endgültige Höhe von 143 Metern. Der Zweite folgt im Jahr darauf.
Im Januar 1977 bekommt das Maschinenhaus sein Dach, im Reaktorgebäude werden Zwölf-Stunden-Schichten rund um die Uhr gefahren – zusätzliche Sicherheitsauflagen haben den Terminplan durcheinandergebracht. Damals ist das Ziel noch, im Winter 1979/80 ans Netz zu gehen.
Im Frühjahr 1977 kommen die ersten schweren Maschinen per Schiff an, darunter der Turbinenkondensator, also das Teil, in dem der aus der Turbine kommende Dampf zu Wasser kondensiert wird. Im August sind die Rohbauten abgeschlossen. Der 2000 Tonnen schwere kugelförmige Sicherheitsbehälter aus 30 Millimeter dickem Stahlblech mit einem Durchmesser von 56 Metern für den eigentlichen Reaktor ist zusammengeschweißt, ein Kran hat die obere Polkappe des Behälters in Position gehoben.
KKG-Superlativ: Die größte Baustelle Süddeutschlands
Das KKG ist mit 1200 Beschäftigten zu dieser Zeit die größte Baustelle Süddeutschlands. Bis zur Fertigstellung werden 180 000 Kubikmeter Beton und 19 000 Tonnen Armierungseisen verbaut werden – zuzüglich 22 000 Kubikmeter Beton und 4000 Tonnen Stahl für die Kühltürme.
Im Oktober 1978 schließlich trifft der 520 Tonnen schwere Reaktordruckbehälter ein – zentrales Bauteil des Primärkreislaufs, der später die 193 Brennelemente aufnehmen wird. Hier wird die Kernspaltung stattfinden. Die nahtlosen Schmiederinge des Behälters sind in Japan hergestellt und dann in Schweden in mehrjähriger Arbeit zusammengeschweißt worden.
40 Prozent der Arbeit am Reaktordruckbehälter sind auf Sicherheitsprüfungen entfallen, so die Broschüre „25 Jahre Kernkraftwerk Grafenrheinfeld“, die E.ON Kernkraft 2007 herausgab. Im November wird der Reaktordruckbehälter in sein Gehäuse eingepasst, in dem bereits vier je 360 Tonnen schwere Dampferzeuger installiert sind. Während in der Warte, also dem Steuerzentrum, die Instrumente eingebaut werden, trainiert die künftige Mannschaft den Betrieb an einem Kraftwerk-Simulator in Essen.
Erste Dampfschwaden steigen auf
Im August 1979 wird der Primärkreislauf, also der später nuklear beheizte Wasserkreislauf, mit Überdruck geprüft. Die ersten Dampfschwaden steigen im April 1980 aus den Kühltürmen auf – sie sind noch nicht die Folge einer Kernspaltung, sondern entstehen beim Test des Wasserkreislaufs. Mit Bundespräsident Karl Carstens, der am 3. Februar 1981 vorbeischaut, spricht sich ein weiterer Spitzenpolitiker für Atomenergie aus.
Im Juni 1981 wird der Reaktordruckbehälter mit den 193 Brennelementen beladen, und nach weiteren nichtnuklearen Probeläufen kommt am 10. November aus dem bayerischen Umweltministerium die Betriebserlaubnis. Am 9. Dezember ist es dann um 21.11 Uhr so weit: Es entsteht die erste Kritikalität – die erste sich selbst erhaltende Kettenreaktion. Am 30. Dezember speist der Reaktor erstmals Strom ins Netz, anfangs mit 30 Prozent seiner Nennleistung. Am 20. April 1982 schließlich läuft das KKG erstmals unter Volllast. Am 17. Juni 1982 übergibt der Erbauer Kraftwerksunion den Atommeiler nach siebenjähriger Bauzeit der Bayernwerk AG.
1,1 Milliarden Mark Baukosten waren veranschlagt gewesen, es werden 2,5 Milliarden. Außerdem geht das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld 43 Monate, also gut dreieinhalb Jahre später ans Netz, als ursprünglich angestrebt – laut E.ON ist die Verzögerung vor allem Folge immer neuer und immer schärferer Sicherheitsbestimmungen.
Die Baugeschichte des KKG
1972: Antrag auf Raumordnungsverfahren
1974: Errichtungsgenehmigung
1975: Beginn der Bauarbeiten
1976: Fertigstellung erster Kühlturm
1977: Schließen der Sicherheitshülle
1978: Anlieferung Dampferzeuger, Turbine, Generator und Reaktordruckbehälter. Schließen der Betonkuppel
1979: Druckprobe des Primärkreislaufs. Erste Probeläufe der Notstromdiesel
1980: Anlieferung der Brennelemente
1981: im Dezember erste Kettenreaktion und erste Stromabgabe
1982: Im April erstmals 100 Prozent Leistung. Im Juni Übergabe an die Bayernwerk AG. Quelle: „25 Jahre Kernkraftwerk Grafenrheinfeld“, E.ON Kernenergie