Es war einmal: Drei wackere Schauspieler versuchen in einer kargen Bühnendekoration, bei sparsamer Lichtregie, in Wortkaskaden das Leben der Gebrüder Grimm nachzuerleben, zu erzählen. Nein, wir reden hier nicht von einem lupenhaften Blick auf die "Kinder- und Hausmärchen", dem deutschen Bestseller, übersetzt in mehr als 100 Sprachen. Wir reden von einem rhetorischen Rundumschlag über die deutsche Befindlichkeit, Mentalität und deren Sprache.
Mit einer Uraufführung von Michael Ehnerts "Grimms sämtliche Werke … leicht gekürzt" war das Altonaer Theater Hamburg in das Theater Gemeindehaus der Stadt Schweinfurt gereist, ein "Märchen für Erwachsene" versprechend (Regie Martin Maria Blau). Nur, davon konnte nur begrenzt die Rede sein.
Die drei Schauspieler Kristian Bader, Jan-Christof Scheibe und Michael Ehnert versuchten mit einer Zeitreise durch das Leben von Jakob und Wilhelm Grimm die Bedeutung herauszufiltern, die das Gesamtwerk der beiden Brüder auf die Entwicklung der deutschen Sprache in den letzten zwei Jahrhunderten hatte. Im reichlich sparsamen Bühnenbild (Ausstattung Sylvia Hartmann) wurde parodiert, getanzt, monologisiert und chargiert, dass man teilweise in der Schnelligkeit gar nicht so richtig den sprunghaften Gedankengängen folgen konnte.
Liebeslied für das Satzzeichen "Strichpunkt" intoniert
Die Gesangseinlagen gerieten dabei zu willkommenen Zäsuren, etwa wenn das Trio fünf Minuten lang ein Liebeslied für das Satzzeichen "Strichpunkt" intoniert, das "erhabenswerter als der Punkt" sei, weil es noch alle Fragen offen lasse.
Die Märchen kommen in der Inszenierung zumindest rhetorisch und philosophisch aber auch zu ihrem Recht, beispielsweise, wenn die Thematik "Gendern" aufploppt. Was um Himmels willen soll in der heutigen Zeit dann aus Titeln werden wie das "Aschenputtel", das "Dornröschen", das "Schneewittchen"?
Wobei wir schon bei der nächsten Problematik wären – "Schneewittchen". Wittchen sei nichts anderes als eine verniedlichende, somit herabsetzende Nachsilbe und ein Synonym für "Fräulein". Sprachlich korrekt gegendert müsse es deshalb "Schneewitte und die sieben Zwerge" heißen, was erstens total bescheuert klänge und wiederum mit dem Begriff "Zwerge" Menschen mit geringer Körpergröße sprachlich herabwürdige.
Drei Vollblutschauspieler als Trüffelschweine der modernen Grammatik
Deshalb, wir ahnen es, ändern die drei Hochkommissare der modernen, deutschen Sprache auf der Bühne den Titel gleich ab in "Schneewitte und die sieben Kleinwüchsigen". Herzlich willkommen in der abstrusen Gegenwart deutscher Sprachgestaltung: drei Vollblutschauspieler als Trüffelschweine der modernen Grammatik, so funktioniert unterhaltsames Schauspiel bei staubtrockener Materie.
Die Reihen des Theaters Gemeindehaus waren für die Schauspielmiete erstaunlicherweise sehr gut gefüllt, der Sperrsitz war dicht besetzt – dafür gab es allerdings Lücken auf dem Balkon. Unter dem Strich ein unterhaltsamer, über weite Strecken vergnüglicher Abend mit germanistischem Schwerpunkt. Wer sich darauf einließ, etwas tiefer einzutauchen, in das universelle Schaffen der Gebrüder Grimm zur deutschen Sprache, der wurde gedanklich gefordert und bestens entlohnt. Ein Leistungskurs Deutsch hätte hier sein helles Vergnügen haben können. Großer Applaus.