Es war kein Leichtes, die Luxusvilla am Rande der Stadt, im Höllental, einem neuen Eigentümer zu übertragen, ohne dass von einem regelrechten Verschleudern gesprochen werden konnte. Auf rund 4,5 Millionen Euro war der Verkehrswert des einstigen Sachs-Gästehauses beziffert worden, das einem wegen Betrugs inhaftierten Firmenvorstand gehörte und auf Antrag einer Gläubigerbank zur Zwangsversteigerung anstand.
Mehr als eine halbe Million wollte ein Schnäppchenjäger beim ersten Termin nicht bieten – weit unter der Hälfte des Verkehrswertes, die zu erfüllen ist, um an einen Zuschlag zu denken. Beim zweiten Zwangsversteigerungstermin bildet rechnerisch die Summe aus Gerichtskosten und Grundsteuer das Mindestgebot – gerade 32 258 Euro in diesem Fall, sieben Prozent des Verkehrswerts. Weil das aber einem „Verschleudern“ gleichgekommen wäre, wie Bernhard Fiehl im November letzten Jahres im voll besetzten Saal 22 des alten Finanzamts meinte, werde er für weniger als 1,5 Millionen Euro keinen Zuschlag erteilen. Die frühere „Sachs-Villa“ wechselte für 1,7 Millionen Euro den Eigentümer.
Bernhard Fiehl, der diese Zwangsverwertung durchgezogen hat, ist kein machtvoller Richter – er ist Rechtspfleger, Angehöriger eines Berufes, den fast keiner kennt. Dabei erfüllen er und seine 22 Kollegen am Amtsgericht Schweinfurt eine Fülle von Aufgaben, die der Laie wohl eher Richtern zuordnet: Rechtspfleger betreuen seitens der Justiz Unternehmens- und Privatinsolvenzen bis hin zur Restschuldbefreiung, nachdem Richter sie eröffnet haben. Völlig eigenverantwortlich und unabhängig in ihren Entscheidungen betreiben sie Zwangsversteigerungen und übernehmen Aufgaben des Grundbuchamts.
Zu ihren Aufgaben zählen ferner die Abwicklung von Nachlassverfahren und Betreuungen, nachdem diese von Richtern eingerichtet sind. Von „Mischzuständigkeit“ zwischen Richter und Rechtspfleger spricht hier Georg Saffert, Geschäftsleiter des Amtsgerichts Schweinfurt. Ihm ist es ein Anliegen, den Beruf des Rechtspflegers etwas aus der Anonymität zu holen und klarzustellen, dass die Justiz nicht nur aus Richtern und Staatsanwälten besteht. Tatsächlich sind die 23 Rechtspfleger am Amtsgericht Schweinfurt den 14 Richtern gegenüber klar in der Überzahl. Am Landgericht und bei der Staatsanwaltschaft ist es allerdings umgekehrt.
„Was den Beruf Rechtspfleger attraktiv macht, ist, dass er selbstständig arbeitet und nicht weisungsgebunden ist, auch der Amtsgerichtsdirektor kann ihm nicht sagen, was er wie zu machen hat“, so Saffert. Einstellungsvoraussetzungen sind Hoch- oder Fachhochschulreife und die erfolgreiche Teilnahme an einem Auswahlverfahren des Bayerischen Personalausschusses.
Die dreijährige Ausbildung erfolgt an der Abteilung Rechtspflege der Beamtenfachhochschule in Starnberg, am jeweiligen Ausbildungsgericht und bei der Staatsanwaltschaft. Nach bestandener Prüfung werden die Absolventen als Diplom-Rechtspfleger (FH) in ein Beamtenverhältnis auf Probe übernommen. Zwei Jahre später erfolgt die Übernahme als Beamter auf Lebenszeit. Rechtspfleger sind Beamte im gehobenen Dienst und verdienen brutto zwischen 2155 Euro (A9) und 4300 Euro (A13).
Amtsgerichts-Geschäftsleiter Saffert ist gelernter Rechtspfleger und Vorstandsmitglied im Verband Bayerischer Rechtspfleger. Er hält den Beruf für attraktiv, anspruchsvoll, vielseitig – und sieht Nachwuchsprobleme. Bayernweit seien rund 2400 Rechtspfleger tätig – und 200 Stellen fehlten. Auch am Amtsgericht Schweinfurt herrsche „zunehmend Rechtspflegermangel, der ab Juli noch deutlich zunehmen wird“, so Saffert. Dadurch werde es in manchen Bereichen, etwa im Grundbuchamt, zu längeren Bearbeitungszeiten kommen.
Dass es zu wenig Rechtspfleger gibt, behaupte nicht nur der Berufsverband, auch das Justizministerium räume dies ein. Während die Justiz Richter jährlich aus der Schar der Universitätsabsolventen einstellen könne, sei dies bei Rechtspflegern nicht der Fall: „Wenn ich heute feststelle, dass Rechtspfleger fehlen, sind die frühestens in vier Jahren verfügbar“, sagt Saffert – bei einem Jahr Vorlauf und drei Jahren Ausbildung.
Es hat etwas gedauert, aber für die vornehme Ex-„Sachs-Villa“ hat Bernhard Fiehl am Ende einen Abnehmer gefunden: die Deutsche S & K Sachwert AG. Der Preis von 1,7 Millionen Euro liegt zwar immer noch deutlich unter dem Verkehrswert, aber fürs Mindestgebot von gut 32 000 Euro „verschleudert“ wurde die Immobile nicht. Sein Versprechen, dass er unter eineinhalb Millionen keinen Zuschlag erteilen wird, hat der Rechtspfleger gehalten.