Friedrich Rückert war ein Kosmopolit, ein Freigeist, einer der bedeutendsten Dichter und Gelehrten Deutschlands, der zugleich ein „loses Maul“ hatte, Frauen hinterher stieg und mit 31 Jahren immer noch auf Kosten seiner Eltern lebte. Mit einem Vortrag von Rudolf Kreutner, dem Geschäftsführer der Rückert-Gesellschaft, wurde der Übersetzungskünstler und Begründer der deutschen Orientalistik, nahezu wieder lebendig.
Ute Walter, Vorsitzende des Fördervereins der Walther-Rathenau-Schulen, hatte Kreutner eingeladen, in der Schule einen Vortrag über „Leben und Werk des großen Schweinfurter Dichters – Weltpoesie ist Weltversöhnung“ zu halten. Knapp 50 Besucher lauschten der freien Rede des Rückert-Experten, dem es gelang, das Publikum mit einer menschlichen Darstellung des Dichters zum Schmunzeln zu bringen. Bei der lebhaften Rezitation von Rückerts Gedichten, mit denen Kreutner seinen Vortrag schmückte, war es ganz still im Raum.
Moderner Protestant
Rudolf Kreutner fungiert seit 1987 als Kustos des in Schweinfurt aufbewahrten poetischen Nachlasses von Friedrich Rückert. Später wurde er von der Stadt zusätzlich mit der Geschäftsführung der Rückert-Gesellschaft betraut und gab seit 1998 zusammen mit Hans Wollschläger die historisch-kritische Schweinfurter Edition von Friedrich Rückerts Werken heraus. Im Jahr 2006 verlieh ihm die Universität Erlangen-Nürnberg die Ehrendoktorwürde. Geboren und aufgewachsen ist Rudolf Kreutner in Schweinfurt.
„Man kann sich nur dem Fremden öffnen, wenn man selbst über eine gefestigte Identität verfügt“, sagte Kreutner zu Beginn seines Vortrags. Rückert soll als moderner Protestant immer gewusst haben, wo er hingehört, und sich gleichzeitig in andere Kulturen hineingedacht haben. Im Jahr 1996 prägte Samuel Huntington den Begriff vom Kampf der Kulturen bei der Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert und behauptete in seinem Werk, dass die Bruchlinien der kommenden Konflikte und Kriege zwischen der islamisch geprägten Welt auf der einen und der christlichen auf der anderen Seite erfolgen werden.
Rückert übersetzte das Meisterwerk der arabischen Sprache, den Koran, zu Zeiten, als sich Morgenland und Abendland kaum mit gegenseitiger Wertschätzung zur Kenntnis nahmen. Goethes west-östlichen Divan, der zur damaligen Zeit der Ladenhüter par excellence war, soll Rückert verschlungen haben. Neben Arabisch, Persisch und Türkisch beherrschte der Dichter 41 weitere Sprachen aus sieben Sprachfamilien sowie 17 Schriften aus drei Schriftsystemen. Rückert ist nicht nur ein Wanderer zwischen Religionen und Welten gewesen, sondern gilt als der Vermittler zwischen Orient und Okzident im 19. Jahrhundert, an dem sich gerade heute wieder ein Vorbild genommen werden kann.
Ergreifende Liebesgedichte
Rückert schrieb auch ergreifende Liebes- und Heimatgedichte, von denen während des Vortrags einige zu hören waren. In jungen Jahren soll er die Damenwelt geschickt umschwärmt haben. Münzen und Steine warf der junge Knabe an die Fenster seiner Geliebten, um sie aus ihren Stuben zu locken. Bei der Wirtstochter Maria Elisabeth Geuss, kurz Marielies, hatte er damit keinen Erfolg, weshalb er sie „Amara“, die Bittere, nannte. Durch seine Ehefrau soll Rückert zu selbst gefunden haben. Auch Kreutner scheint ganz begeistert von Luise Rückert zu sein und sagte, dass auch er sie recht gerne möge. Oft musste die Familie Rückert umziehen, weil der Dichter mit seinem „losen Maul, es sich mit jedem verscherzte“. In Schweinfurt habe sich der Dichter nie „gebauchpinselt“ gefühlt. Doch am Ende seiner Tage soll Rückert sich mit der Stadt versöhnt haben und schrieb: „Von allen Ehren mir am meisten wert/ ist die, womit die Vaterstadt mich ehrt“.