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GRAFENRHEINFELD
Grafenrheinfelds Bürgermeisterin Lutz: "Wir sind eine ganz normale Gemeinde"
Grafenrheinfeld Bürgermeisterin Sabine Lutz
Foto: Anand Anders
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 11.12.2019 14:50 Uhr

Sabine Lutz, 55, ist seit sieben Jahren Erste Bürgermeisterin von Grafenrheinfeld. Sie ist in Mellrichstadt aufgewachsen und kam 1985 in die Gemeinde. Da lief das Atomkraftwerk seit vier Jahren. Tatsächlich ist das KKG – wenn auch mittelbar – schuld daran, dass Sabine Lutz Grafenrheinfelderin wurde: Die Gewerbesteuereinnahmen aus dem Betrieb hatten den Bau einer Bibliothek möglich gemacht, deren Leiterin Sabine Lutz wurde.

Hand aufs Herz – wenn Sie 1969 Bürgermeisterin gewesen wären und es wäre die Anfrage gekommen, in Ihrer Gemeinde ein Atomkraftwerk zu bauen, wären Sie dafür oder dagegen gewesen?
Sabine Lutz: Ich glaube, ich wäre dafür gewesen.

Aus welchen Gründen?

Lutz: Aus den gleichen Gründen wie die Menschen damals auch. Man hat sich einen gewissen finanziellen Fortschritt versprochen. Und man hat möglicherweise nicht gewusst, worauf man sich einlässt. Damals hat kaum jemanden interessiert, was Atomkraft überhaupt ist. Das Bewusstsein dagegen ist ja erst wirklich nach Tschernobyl und besonders nach Fukushima entstanden. Sicherlich gab es immer schon Gegner, aber im Großen und Ganzen war es immer relativ ruhig bei uns.

Sind Sie aus heutiger Sicht also froh, dass das KKG abgeschaltet wird?

Lutz: Das kann man so nicht sagen. Aber die öffentliche Diskussion lässt gar keinen anderen Schluss mehr zu, die politischen Weichen sind auch gestellt. Das KKG wäre früher oder später sowieso abgeschaltet worden, ob jetzt 2015, 2022 oder 2028. Das hätte für uns als Gemeinde keinen großen Unterschied gemacht. Ich selbst hatte nie Probleme mit dem Kernkraftwerk. Was ich den Politikern von damals aber vorwerfe, ist, dass sie sich nie Gedanken darüber gemacht haben, was mit dem Atommüll passieren soll. Dabei gäbe es in Gorleben ein sicheres Endlager.

Gab es mal den Vorwurf, dass Grafenrheinfeld kassiert, aber alle das Risiko mittragen müssen?

Lutz: Die anderen Gemeinden haben auch partizipiert, wenn auch nicht in dem Maße wir wir. Die Kreisumlage, die wir jahrzehntelang gezahlt haben, war schon ein großer Brocken. Das haben Landrat Harald Leitherer und auch sein Nachfolger Florian Töpper immer wieder gesagt: Wenn Grafenrheinfeld wegfällt, fällt uns was Großes weg. Nicht zu unterschätzen ist auch die Unterstützung, die Bayernwerk und später E.ON den Vereinen gewährt haben. Die waren da nie kleinlich. In deren Genuss sind nicht nur Grafenrheinfelder Vereine gekommen, sondern auch andere.

Aber Grafenrheinfeld war immer eine besondere Gemeinde. Werden Sie jetzt eine ganz normale Gemeinde?

Lutz: (lacht) Ich denke, wir sind schon längst eine ganz normale Gemeinde. Das will man von außen noch nicht so sehen, weil bei uns alles wie geleckt ist. Die Infrastruktur ist komplett in Ordnung, davon können wir eine Weile leben. Von außen wird die bevorstehende Abschaltung als epochale Veränderung gesehen. Aber diese Veränderung ist ja längst eingetreten. Wir haben schon seit vier Jahren keine Gewerbesteuer mehr bekommen. Das liegt an der Verrechnung der internationalen Tätigkeiten der großen Konzerne.

Wie groß ist denn das öffentliche Interesse derzeit?

Lutz: Neulich habe ich zu einem Kollegen von Ihnen gesagt, wissen Sie was, es regt mich langsam auf. Jeder ruft an und will ein Interview. Und dabei möglichst hören, wie schlecht es uns geht. Das Leben geht nach dem 27. Juni auch in Grafenrheinfeld weiter, mit und ohne KKG. Wir haben ja nicht von jetzt auf nachher erfahren müssen, dass das Kernkraftwerk abgeschaltet wird.

Sind Sie selbst Grafenrheinfelderin?

Lutz: Nein, ich kam 1985 hierher, da lief das Kernkraftwerk seit vier Jahren, und man konnte bereits die ersten Früchte der Gewerbesteuer ernten. Ich weiß nicht, ob ich ohne das KKG nach Grafenrheinfeld gekommen wäre, schließlich wurde damals die Bibliothek gebaut, deren Leiterin ich wurde.

Es gibt ja dieses alte Klischee: In Grafenrheinfeld sind die Zebrastreifen aus Marmor und die Wasserhähne aus Gold – geht einem das irgendwann auf die Nerven?

Lutz: Manchmal schon. Es ist uns immer wieder entgegengeschmettert worden, ihr in „Rafeld“, ihr könnt euch ja alles leisten. Bei euch spielt Geld überhaupt keine Rolle. Es war sicher so, dass wir uns lange Jahre sehr, sehr viel haben leisten können, ohne groß nachzudenken. Aber nachgedacht hat man immer. Es ist uns halt vieles leichtgefallen, aber andere Gemeinden haben auch Bibliotheken, andere Gemeinden haben Schwimmbäder, wir haben eine Kulturhalle. Die kostet in ähnlicher Weise. Andere Gemeinden haben auch Gewerbesteuereinnahmen, aber eben nicht so großzügig bemessen wie lange Jahre in Grafenrheinfeld.

Und auch nicht so stabil wie dank des KKG – oder gab es da auch Schwankungen?

Lutz: Es gab Schwankungen. In den 1990er Jahren gab es ein Jahr, in dem wir sehr viel Gewerbesteuer zurückzahlen mussten. Und vor drei Jahren haben wir acht Millionen zurückgezahlt. Andererseits haben wir auch oft zusätzliche Gewerbesteuer im Nachhinein erhalten. Damals, bei der Rückzahlung in den 1990ern, war Robert Gießübel Bürgermeister, der hat Besucher durch die Bücherei geführt und gesagt, solange wir es uns leisten können, behalten wir halt die Bücherei.

Und Sie saßen da und mussten sich anhören, dass Sie möglicherweise eingespart werden?

Lutz: Ob das ernst gemeint war, weiß ich nicht. Ich habe gedacht, ganz so einfach ist das nicht mehr. Die Bücherei ist eine eingeführte Einrichtung, die man nicht einfach zumacht. Vielleicht wollte Robert Gießübel auch darauf hinweisen, es könnte auch mal anders werden. Und dass es irgendwann anders wird, das haben wir immer gewusst.

Man hat nicht alles verprasst, sondern Rücklagen gebildet. Die liegen derzeit bei 14 Millionen. Bis 2017 sind Entnahmen aus dieser Rücklage geplant. Wie soll es weitergehen – bedient sich die Gemeinde bis die Rücklage aufgebraucht ist, und schaut dann, wie es weitergeht?

Lutz: Das darf auf keinen Fall passieren. Wir können nicht weiterwirtschaften wie bisher. Wir haben schon Gebühren erhöht, etwa für Kindergarten, Kanal und Hallenbenutzung, die Gewerbesteuer und die Grundsteuer. Die Bürger bezahlen jetzt im Schnitt mindestes 100 Euro mehr an Gebühren als im Jahr davor.

Gebühren kann man aber nicht endlos erhöhen.

Lutz: Nein, das ist ein zweischneidiges Schwert. Wir wollen unseren Bürgern und Vereinen ja nichts Böses. Aber es kann nicht so weitergehen wir bisher, das ist auch den Bürgern bewusst. Ich habe Anfang des Jahres eine Bürgerversammlung abgehalten, um von vorneherein Stammtischparolen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Da waren nicht mehr Leute da als sonst. Es gab zwar ein paar Fragen, aber im Allgemeinen gibt es kaum negative Reaktionen. In meinem ersten Wahlkampf vor acht Jahren habe ich mal im Scherz gesagt, wir könnten doch noch eine Indoor-Skihalle bauen – Gott, was bin ich da niedergemacht worden.

Gibt es weitere Ansätze, die wegfallenden Einnahmen auszugleichen?

Lutz: Wir können nicht nur Gebühren erhöhen. Wir müssen sehen, wo wir sparen können. Und da sind wir gerade dabei. Wir werden im Rathaus eine wesentlich sparsamere Beleuchtung installieren. Wir haben effizientere Heizungspumpen. Das sind Kleinigkeiten, die der Bürger gar nicht mitbekommt. Mit der Energieagentur Nordbayern werden wir weitere Ansätze finden. Wichtig ist, dass wir jetzt die Weichen stellen, damit wir auch in 20 Jahren noch handlungsfähig sind.

Wo würden Sie beim Sparen eine Grenze ziehen? Wo gehen Sie auf keinen Fall ran?

Lutz: Da gibt es vorerst gar nichts – wir müssen über alles nachdenken. In den nächsten Wochen und Monaten werden wir uns die einzelnen Einrichtungen der Gemeinde vornehmen. Rathaus, Bauhof, alles, was wir so haben. Aber wenn wir etwas einsparen, muss das nachhaltige Wirkung haben.

Sie haben schon mal kein Hallenbad, wie es anderen Gemeinden Kopfzerbrechen bereitet.

Lutz: Unser Hallenbad ist die Kulturhalle, die kostet in ähnlichem Maßen. Aber ich bin sehr froh über die Kulturhalle. Sie wird mit 80, 90 Veranstaltungen im Jahr sehr gut genutzt und ist ein großer Werbefaktor für uns. Grafenrheinfeld reduziert sich ja nicht auf das Kernkraftwerk. Schweinfurts OB Sebastian Remelé hat mal gesagt, so eine Halle würde er sich für die Stadt auch wünschen. Ich habe geantwortet, gemeinden wir Schweinfurt halt ein, das hat ihm dann nicht so gefallen.

Alle Gemeinden hoffen auf neue Gewerbeansiedelungen, vor ein paar Jahren schossen die Gewerbegebiete nur so aus dem Boden. Diese Euphorie scheint abgeflaut zu sein. Könnten Sie sich vorstellen, dass Grafenrheinfeld mit seiner guten Infrastruktur nach dem Aus des KKG für Neuansiedlungen attraktiver wird?

Lutz: Wir haben ein feines Gewerbegebiet, das wir zweimal vergrößert haben, seit ich Bürgermeisterin bin, zuletzt vor anderthalb Jahren. Wir können Betriebe ansiedeln, aber es gibt natürlich auch vieles, was für uns nicht infrage kommt. Aber ernsthafte Nachfragen waren bisher noch nicht da. Wir haben aber das Glück, dass wir Firmen haben, die wirklich gut dastehen und die uns Einnahmen sichern. Wenn wir dieses zweite Standbein nicht hätten, sähe es wesentlich düsterer aus.

Wie sieht es mit Familien aus – könnten die jetzt lieber in ein Grafenrheinfeld ohne KKG ziehen?

Lutz: Das hatte noch nie viel Einfluss. Natürlich gab es Leute, die gesagt haben, da gehe ich auf keinen Fall her. Vor 20 Jahren ist deshalb mal eine Familie von Grafenrheinfeld nach Niederwerrn gezogen.

Niederwerrn wäre natürlich viel sicherer gewesen. . .

Lutz: Natürlich, dann ist man schneller weg. Aber das eigentliche Problem ist, dass wir gar nicht viele Möglichkeiten haben. Wir weisen zwar jetzt 25 neue Bauplätze aus, aber für die haben wir 130 Bewerber. Wir wurden immer stark nachgefragt – das hat mit der Stadtnähe zu tun, mit der Stadtbusanbindung. Es ist einfach schön bei uns. In zehn Minuten sind wir in der Natur, wir haben Seen, Wald, wir haben alles da, zwei Einkaufsmärkte, Ärzte, Apotheken, Grundschule. Es lässt sich hier gut leben.

Aber dass man eine Schule, in der PCB entdeckt wird, kurzerhand abreißt und neu baut, wie vor knapp zehn Jahren geschehen, das geht in Zukunft wohl nicht mehr so leicht.

Lutz: Mit Sicherheit nicht, da wird man sich sehr sorgfältige Gedanken machen müssen. Im Moment überlegen wir, was wir mit den beiden gemeindlichen Kindergärten machen; einer ist in einem sehr alten, einer in einem 25 Jahre alten Gebäude untergebracht. Da wird spätestens in einem Jahr eine Entscheidung fallen.

Viele Städte müssen aufpassen, dass sie nicht schrumpfen. Wie ist die Prognose für die Entwicklung der Einwohnerzahl in Grafenrheinfeld?

Lutz: Wir werden minimal wachsen, wir werden wohl immer knapp unter 3500 bleiben.

 
 
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