
Wie fühlt es sich an, wenn ein Kloster wegen Schwesternmangels stirbt? Schwester Gundegard Deinzer macht nach außen hin einen relativ gefassten Eindruck. Wie es tief drinnen im Herzen der Oberin und in den Herzen ihrer letzten noch mit ihr ausharrenden Mitschwestern aussieht, kann man nur erahnen. Denn die Wehmut ist dieser Tage überall im Kloster in Lülsfeld mit Händen zu greifen. „Ja, es wird einem schon jeden Tag bewusst“, bekennt die Oberin freimütig.
Am 9. Februar 1886 hatte die erste Oberin, Schwester Genorosa, ihre Stelle im Auftrag des Mutterhauses in Lülsfeld angetreten. „Mutter Genorosa“ wurde sie ehrfurchtsvoll genannt, als sie 1928 in Lülsfeld für immer die Augen schloss. Das, was sie begonnen hat, muss Schwester Gundegard nun zu Ende bringen. Nur noch wenige Tage, dann ist Maria Schnee nach 129 Jahren „Schnee von gestern“.
Während am Faschingsdienstag draußen im Dorf die Vorbereitungen für den alljährlichen Faschingsumzug laufen, steht den Erlöserschwestern deshalb drinnen im Haus diesmal verständlicherweise wenig Sinn nach Fasching. „Die Stimmung ist uns nicht danach“, sagt eine Schwester ganz offen und ehrlich. Viel zu sehr sind sie auch noch mit dem Ausräumen, Aussortieren, Packen und dem Abschiednehmen beschäftigt. Die Oberin: „An so einem Riesenhaus hängt viel dran.“ Aber vielleicht ist das auch gut so. Die Arbeit lenkt von den Gedanken ab, was kommen wird. Dennoch ist den Schwestern das Herz schwer.
Ein ganz besonders schwerer Gang liegt am Tag nach der Verabschiedung durch die politische Gemeinde und die Kirchengemeinde erst noch vor ihnen. Am Sonntag wird nämlich nach dem letzten hier gehaltenen Gottesdienst die Klosterkapelle durch die Profanierung wieder zu einem weltlichen Raum.
Hierzu wird Pfarrer Stefan Mai den Reliquien-Stein aus dem Altar entnehmen, um ihn dem Bischof als oberstem Hirten im Bistum Würzburg zu treuen Händen zu übergeben. Zu dem besonders festlich gestalteten Gottesdienst werden alle noch lebenden Schwestern, die in Lülsfeld gewirkt haben, für kurze Zeit nochmals ins Dorf zurückkehren, sofern es die Gesundheit zulässt.
Vor wenigen Augenblicken hatte sich hier in der Klosterkapelle gerade eine Schwester zum stillen Gebet zurückgezogen. Jetzt ist es Michael Prokschi, der in der Kirchenbank kniet. Der Dekan von Miltenberg ist wie so viele nochmals nach Lülsfeld gekommen, um Abschied von den Schwestern, vom Kloster und der Klosterkapelle zu nehmen. Von September 2009 bis Mitte 2012 wirkte er, noch als Pfarrvikar, in der Pfarreiengemeinschaft Sankt Franziskus am Steigerwald und wohnte im Nachbarort Frankenwinheim.
Der gelernte Gärtner hat ein Beet im Klosterhof angelegt. Bald wird wohl Gras darüber wachsen, denn ein Investor, der das Kloster möglichst im Sinne der Schwestern als soziale Einrichtung weiterführt, ist nicht in Sicht. Ein Umstand, der die Oberin sichtlich bedrückt.
So wie Pfarrer Prokschi zieht es in den vergangenen Wochen viele „Ehemalige“ hierher. Darunter ganz besonders Frauen, die bis zu ihrer Schließung im Jahr 1988 die Hauswirtschaftsschule des Klosters besuchten und dabei im Gegensatz zu den Fahrschülerinnen aus der Umgebung ein Jahr lang mit den Erlöserschwestern in Lülsfeld unter einem Dach lebten. Von überall kommen sie, um sich zu verabschieden, sich von der Oberin noch einmal durchs Haus führen zu lassen und um sich ein von den Klosterräummärkten übrig gebliebenes Erinnerungsstück als Andenken mitzunehmen.
Auf dem Gang im Tagungs- und Bildungshaus herrscht schon gähnende Leere. Es war die letzte noch von den Schwestern betriebene Einrichtung, ehe sie zum Jahresende ebenfalls geschlossen wurde. Da, wo einst reger Tagungsbetrieb herrschte, stehen jetzt einsam und verlassen zwei Koffer auf dem Steinboden.
Es ist noch nicht lange her, da ist erst Schwester Giselind aus- und im Tagungshaus der Erlöserschwestern in Würzburg als ihrem neuen Zuhause eingezogen. Ihr ist inzwischen Schwester Norbertina, die Köchin, ins Kloster Heidenfeld gefolgt. Praktisch schon auf gepackten Koffern sitzen Schwester Helga, die Fußpflegerin, und Schwester Birgit, die Pförtnerin. Schwester Helga wird ebenfalls nach Würzburg, Schwester Birgit nach Heidenfeld wechseln.
Am Donnerstag, 26. Februar, werden dann die letzten drei Schwestern aus Lülsfeld abgeholt. Es sind Schwester Gundegard, ihre Stellvertreterin, Schwester Anthima, und Schwester Wendelina.
Schwester Gundegard hat mit Unterbrechung 32 ihrer 82 Lebensjahre in Lülsfeld als Leiterin der Hauswirtschaftsschule und zuletzt als Leiterin des Tagungshauses verbracht. 2001 war sie zur Oberin bestellt worden. Bei der 75-jährigen Schwester Anthima sind es sogar fast 44 Jahre, die sie in Lülsfeld gelebt hat. Beide wechseln ins Mutterhaus in der Ebracher Gasse in Würzburg. Rechtzeitig zum Mittagessen und zu ihrer Einführung in die neue Gemeinschaft werden sie eintreffen.
Wie damals bei der Auflösung des Altenheims, die ihr schwer zugesetzt habe, wie sie betont, gibt der Oberin ein Bibelwort Halt, das da heißt: „Alles hat seine Zeit.“ Und sie hat buchstäblich schon ganz andere Stürme überstanden. Wie das zerstörerische Orkantief „Emma“, das am 1. März 2008 die Klostergebäude schwer heimsuchte und die Schwestern die „wunderbare Solidargemeinschaft des Dorfes“ (Schwester Gundegard) erfahren ließ.
Schwester Wendelina wird der Weg übrigens von Lülsfeld ins Haus der Erlöserschwestern im Würzburger Steinbachtal führen. Die Gärtnerin ereilt das Schicksal ihrer „Verpflanzung“ aufgrund des Klostersterbens bereits zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit. Erst Ende 2008 war sie im Zuge der Auflösung des Klosters Eichelsdorf nach Lülsfeld gekommen. 28 Jahre lang war sie in den Haßbergen eingesetzt.
Jetzt muss Schwester Wendelina schon wieder weiterziehen, wenn es auch für sie am Donnerstag endgültig heißt: Good-bye, Kloster Maria Schnee, Good-bye Lülsfeld!
Mit dem Kloster stirbt aber auch ein Stück Lülsfeld. Das Kloster lag zwar etwas am Rande an der Straße nach Rimbach, doch der Orden war von Anfang an tief in der Gemeinde und in der Region verwurzelt.
Lülsfeld war für die Schwestern nicht nur Wohnort gewesen, sondern zur Heimat geworden. Oder wie es Schwester Gundegard wehmutsvoll ausdrückt: „Die Begegnungen mit den Menschen hier werde ich am meisten vermissen.“
Nun werden die Schwestern aus der gewohnten Umgebung herausgerissen – aus der Dorfgemeinschaft ebenso wie aus der klösterlichen Gemeinschaft. Kein leichter Schritt, zumal die meisten der Schwestern jenseits der 70 und 80 sind.
Doch noch ist es nicht ganz soweit. Noch klingelt wie an diesem Tag das Telefon. Die Oberin meldet sich mit „Lülsfeld, Schwester Gundegard.“ Der Anrufer hat sich verwählt. „Sie sind im Kloster gelandet“, gibt ihm die Oberin zu verstehen.
In wenigen Tagen geht hier niemand mehr ans Telefon . . .
Die Kongregation
Die Kongregation der Schwestern des Erlösers hat ihren Ursprung in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die beginnende Industrialisierung für viele Menschen soziale Nöte mit sich brachte.
Elisabeth Eppinger – ihr Ordensname lautete Mutter Alfons Maria Eppinger – gründete mit Gleichgesinnten in Niederbronn im Elsass die Gemeinschaft.
Seit Oktober 1854 wirkten Niederbronner Schwestern auch in Würzburg. Die große Entfernung führte schließlich 1866 zur Gründung einer eigenständigen Kongregation für die Diözese Würzburg. Deren Mutterhaus befindet sich in der Ebracher Gasse 6 in Würzburg.
1969 wurden aus den „Töchtern des Allerheiligsten Erlösers“ die „Schwestern des Erlösers“.
Außer in Deutschland gibt es heute Niederlassungen der Würzburger Erlöserschwestern in den USA und im afrikanischen Tansania. novo





