Eine grazile junge Frau öffnet die Tür zum Altbau in der Schweinfurter Innenstadt. Durch das Treppenhaus, das das leicht modrige Flair der 1950er-Jahre ausstrahlt, geht es nach oben in ihre Wohnung. Das größte Zimmer ist ihre Werkstatt. An den Wänden hängen Gitarren aller Art, alt und neu, halbfertig und frisch aufpoliert. Auf dem Tisch liegt eine Holzform, in die die Zarge einer Gitarre eingespannt ist. Annette Stephany ist Gitarrenbauerin. Am Tag der offenen Werkstätten hatte sie eingeladen, ihr Handwerk kennenzulernen
Wie sie ausgerechnet zum Gitarrenbauen kam, ist eine eigene Geschichte. Die junge Frau verliebte sich in einen italienischen Geigenbauer. Es folgte eine lange Fernbeziehung, aber auch die Gelegenheit, in sein Handwerk hinein zu schnuppern. "Ich habe erlebt, wie erfüllend es für meinen Freund war, Geigen zu bauen und wie viel Freude es ihm machte", erinnert sie sich. Nach dem Abitur und einem Jahr in Italien begann sie Italienisch, Spanisch und Ethnologie zu studieren. Aber das war ihr schnell "zu theoretisch". Es sollte auf alle Fälle etwas Kreativeres sein, was sie zu ihrem Beruf machen wollte.
Dann fiel ihr wieder ihr inzwischen verflossener Freund, der Geigenbauer, ein. "Geigenbau, das ist doch ein toller Beruf, nur die Geige war nicht mein Instrument", erzählt sie. Schließlich bewarb sie sich an der Staatlichen Musikinstrumentenbauschule Mittenwald um eine Ausbildung zur Zupfinstrumentenmacherin, für Gitarren. Sie erzählt. "Es gab genau fünf Ausbildungsplätze, auf die sich rund 150 Interessenten bewarben." Außerdem musste man Gitarre spielen können. Die einzige praktische Erfahrung mit Instrumenten aber hatte sie am Klavier, das sie bis zu ihrem 13. Lebensjahr spielte.
Es gab fünf Ausbildungsplätze bei 150 Interessenten
"Ich habe für die Aufnahmeprüfung einen Crashkurs im Gitarrenspielen absolviert", erzählt Stephany. Zwei Monate lang habe sie täglich sechs bis sieben Stunden geübt. "Ich habe alles gegeben." Eigentlich hätte sie zwei Jahre Gitarrenunterricht gebraucht, aber "ich hab's bei der Prüfung gleich verraten, dass ich erst zwei Monate spiele, dann haben die wenigstens gesehen, dass ich bemüht bin." Nun, die junge Frau war nicht nur bemüht, sondern auch erfolgreich: Sie bekam ihren Ausbildungsplatz und erlernte in drei Jahren den Beruf einer Gitarrenbauerin. "Stradivari konnte ja auch nicht Geige spielen und baute doch tolle Instrumente", meinte die junge Handwerkerin lachend.
Nach der Ausbildung suchte Stephany eine Arbeitsstelle, aber da sah es mager aus, es gab kaum Angebote. Bei einer Musikmesse in Frankfurt kam ihr der Zufall zu Hilfe. Sie war fasziniert von einer besonders schönen Gitarre des Instrumentenbauers Lorenzo Frignani aus Modena. "15-mal bin ich mindestens um die Vitrine herumgelaufen." Wo so etwas gebaut wird, da wollte sie unbedingt hin. Und weil "Italiener leicht zu beeinflussen sind, wenn man ihnen Komplimente macht", bot ihr Frignani ein achtmonatiges Praktikum in seiner Werkstatt an.
Aus den acht Monaten sollten drei Jahre werden und aus der Berufsanfängerin ein Profi. Von Montag bis Donnerstag arbeitete Stephany in der Werkstatt mit, von Freitag bis Sonntag durfte sie die Werkstatt nutzen, um eigene Gitarren zu bauen. "Frignani besitzt eine der größten Sammlungen historischer italienischer Instrumente vor allem Gitarren. Und mit einigen davon, Instrumenten aus dem 19. Jahrhundert, ging Stephany dann nach Köln. Dort durfte sie sie unter Anleitung des Gitarrenbauers und Restaurators Bernd Kresse restaurieren. Nach einem halben Jahr in Köln ging's wieder zurück nach Modena. "Ich hatte nicht die kürzesten Strecken, aber die besten Lehrer", stellt sie im Nachhinein fest.
Am liebsten baut Annette Stephany spanische Konzertgitarren
Ihre erste eigene Werkstatt eröffnete Stephany 2009, seit 2015 ist sie in Schweinfurt. Ihre Aufträge kommen aus der ganzen Welt. Trotzdem: Mehr als sechs bis sieben neue Instrumente kann Stephany nicht bauen, denn so eine handgefertigte Meistergitarre ist immer sehr individuell und braucht Zeit. Am liebsten baut sie spanische Konzertgitarren. Sie habe einmal eine Gitarre von Manuel Ramírez restauriert und die Liebe zu diesen Instrumenten gefunden. Es war die Klangvielfalt der spanischen Gitarren des frühen 19. Jahrhundert, die Stephany begeisterte. Und so baut sie Gitarren, die nicht laut, aber klangvoll sind. Auch Flamenco-Gitarren haben für sie einen besonderen Charme. "Das sind sehr emotionale, kraftvolle Instrumente, leichter und flacher gebaut, mit zierlichem Hals und Kopf", erklärt die Gitarrenbauerin.
Stephany ist im klassischen Gitarrenbau zu Hause, auch wenn sie Neuerungen nicht ablehnt. Zum Teil stellt sie sogar ihre Rosetten selbst her. Eine Arbeit, die sehr genau gemacht werden muss und große Sorgfalt erfordert. Für eine einfache Ausführung fertigt sie einen Ring aus Plexiglas an. Dann werden einzelne Holzspäne am heißen Eisen gebogen, eingepasst und schließlich verleimt. Auch die Zargen werden am heißen Eisen gebogen und dann in eine Holzform gespannt. Rund sechs Wochen, etwa 220 Stunden, arbeitet die Gitarrenbauerin an einem neuen Instrument. Zusätzlich muss sie für jedes Land und jeden Kunden Sonderwünsche berücksichtigen. Für Japan beispielsweise benutzt sie keinen Warmleim, weil es dort feucht und warm ist und Verleimungen sich öffnen könnten. Auch in ihrer Werkstatt achtet sie sehr genau auf die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit, die nicht unter 40 Prozent sinken darf.
Das nächste Problem tut sich auf, wenn die fertige Gitarre verschickt werden muss. "Am besten wäre es, die Instrumente alle selbst auszuliefern, aber das kann sich fast niemand leisten." Berufsmusiker seien zwar sehr leidenschaftlich, "haben aber oft nicht so wahnsinnig viel Geld", stellt sie fest. Deshalb ist ein Schwerpunkt ihrer Arbeit auch das Restaurieren und Reparieren von Gitarren. Bei der Nacht der Zupfmusik der Musikschule am 28. März 2020 können Interessenten Stephany kennenlernen.