
Der Saal der Schweinfurter Disharmonie war pickepackevoll. Die "Initiative gegen das Vergessen" lud zur Preisverleihung für den Geschichtswettbewerb für jungen Menschen, "Trümmer, Hunger und viel Freiheit. Kindheitserinnerungen an die Nachkriegszeit. Eine Spurensuche", ein. 79 Schülerinnen und Schüler im Alter von elf bis 17 Jahren aus Stadt und Landkreis Schweinfurt beteiligten sich im Schuljahr 2023/24 am mittlerweile fünften Geschichtswettbewerb der Initiative. Unterstützt wurde das Schweinfurter Projekt von der Oskar-Soldmann-Stiftung. Herausgekommen sind bemerkenswerte, wertvolle und kreative Beiträge für die Erinnerungskultur.
"Geschichte soll lebendig bleiben, damit wir aus ihr lernen können und damit sich die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen", hieß es in der Ausschreibung des Wettbewerbs. "Niemand soll sagen können: 'Das haben wir nicht gewusst.'" Im Fokus sollten diejenigen stehen, die über ihre Erinnerungen aus ihrer Kindheit in der Nachkriegszeit zwischen 1945 und 1955 berichten konnten.
Die Schülerinnen und Schülern unterhielten sich mit Zeitzeugen und verarbeiteten die Gespräche mit den eigenen Großeltern, den Nachbarn oder Menschen im Seniorenheim in verschiedenen Formaten. Außerdem wurden in der Recherche Tagebücher, Schulhefte, Briefe, Fotoalben und amtliche Dokumente ausgewertet. Ziel war es, die Ereignisse, Probleme und Gefühle des Alltags nach 1945 vor Augen zu führen.
Den ersten Preis, dotiert mit jeweils 500 Euro, teilten sich die letztjährige Klasse 10 e des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums und die Ethikgruppe der fünften Klassen des Celtis-Gymnasiums. 300 Euro und Platz drei gingen an die Klasse 10 c der Wilhelm-Sattler-Realschule. Der mit 500 Euro dotierte Sonderpreis ging an die Redaktion der Schülerzeitung der Staatlichen Realschule Schonungen.

Erfahrungen können ganz verschieden sein. Das Lebensgefühl nach '45 war kein homogenes. Das mussten die Schülerinnen der Klasse 10e des Humboldt-Gymnasiums bei ihrer historischen Spurensuche erfahren. Renate Erdmann etwa, die Nachbarin eines Schülers, erlebte das Ende des Zweiten Weltkrieges in Berlin und damit auch alle Schrecken des Krieges in einer zerbombten Stadt. "Wir hatten nichts zu essen, das war das Allerschlimmste", erinnerte sich Erdmann. "Und, dass man als Kind die Toten an den Bäumen hängen sah, daran gewöhnte man sich. Du stumpfst irgendwo ab." Ein anderer Befragter, Willi Knobloch, flüchtete mit seiner Familie aus Tschechien in die Region. Er erinnert sich an eine erfüllende und unbeschwerte Jugend in Obereuerheim.
Die Schülerinnen und Schüler des Celtis-Gymnasiums erfuhren in ihren Interviews auch, wie wichtig die Großväter für die Befragten waren. Denn oft waren deren Väter noch in Kriegsgefangenschaft oder sie waren im Krieg gefallen. Der Vater von Zeitzeuge Dieter Heßler aus der Schweinfurter Gartenstadt starb in der Ukraine. Heßler war acht Jahre alt, als der Krieg endete. Er erinnerte sich unter anderem, dass sein Opa aus übriggebliebenen Ziegelsteinen im Hinterhof ein Haus baute, in dem dann alle wohnten.
Spielplätze gab es damals keine, Heßler und seine Freunde spielten am liebsten in einem Bombenkrater. Eine große Rolle spielten im Nachkriegs-Schweinfurt auch die US-Soldaten, erinnert sich Heßler an Kaugummis und Schokolade, die er als Kind geschenkt bekam. "Und die jungen Mädchen verliebten sich häufig in die Amerikaner." Er selbst mochte die Musik aus den USA und die vielen Möglichkeiten in der Nachkriegszeit herauszugehen und Spaß zu haben.
Von einem tragischen Vorfall berichtete die Zeitzeugin Elfriede Saam aus Eßleben im Rahmen des Projekts der Wilhelm-Sattler-Realschule. Zwei Kinder im Ort spielten damals mit einer Handgranate, die als Blindgänger landete, und starben dabei. Saam selbst war drei Jahre alt, als der Krieg begann. Zwei ihrer fünf Geschwister mussten in den Krieg. Ihr Vater geriet 1945 in Kriegsgefangenschaft der US-Amerikaner und kam erst nach einem Jahr krank wieder zurück. Die Kindheit in Eßleben war dann geprägt von einem typischen Bauernleben im landwirtschaftlichen Familien-Betrieb. In ihrem Bauernhaus nahmen sie eine Familie aus Schweinfurt auf, die ihr zu Hause verloren hatte.
Von Rockabilly-Mode und leckeren Karthäuser-Klößen berichteten die Zeitzeugen der Schülerzeitungs-Redaktion der Realschule in Schonungen. "Die Vergangenheit hat große Auswirkung auf die Gegenwart und Zukunft", finden die Schüler. "Darum darf man sie auch nicht vergessen." Viel Applaus bekam am Ende der Preisverleihung die Schonunger Schülerin Johanna Schuler für ihr Plädoyer: "Heute, in dieser spannungsgeladenen Zeit und 80 Jahre nach den Geschehnissen, möchte ich dazu auffordern, einen Menschen nicht nach seiner Nation oder Religion zu beurteilen und für schuldig zu halten, sondern nach seinem Tun und seinem Handeln – ihn wahrzunehmen als der Mensch, der er ist."