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SCHWEINFURT
„Gesang von mir selbst“
Bearbeitet von Kirsten Mittelsteiner
 |  aktualisiert: 17.12.2020 02:17 Uhr

Der Künstler Helmut Anton – kurz Helm – Zirkelbach (*1962) stellte Anfang letzten Jahres neue Arbeiten im Kunstsalong des Kunstvereins Schweinfurt aus. Im Anschluss daran schenkte er dem Museum Otto Schäfer seine erste große druckgrafische Folge „Gesang von mir selbst“ (1993), der das Gedicht „Song of myself“ des großen amerikanischen Lyrikers Walt Whitman (1819-1892) zugrunde liegt. Die Ausstellung im Museum Otto Schäfer startet am Sonntag, 20. September, und wird rund die Hälfte der Arbeiten Zirkelbachs zu Whitman präsentieren. Zusätzlich wird die ganze Folge mit dem Originaltext und der deutschen Übertragung virtuell zugänglich gemacht. Abgerundet wird die Schau durch die neueste Folge Zirkelbachs „Ein ewig Hugärtle“ (2019) und ein Blatt aus den Préludes, einer Hommage an Frédéric Chopin (2014).

Helm Zirkelbach ist seit 1985 als freischaffender Künstler tätig. Von der Malerei und Zeichenkunst wandte er sich 1991 als Autodidakt der Radierung zu, die seitdem sein Hauptbetätigungsfeld ist. Zu dieser Zeit stieß er im Nachlass seines Vaters zufällig auf ein Reclamheftchen – „Leaves of Grass“ von Walt Whitman (1819–1892) in deutscher Übersetzung von Johannes Schlaf (1862–1941). Sie war erstmals 1907 unter dem Titel „Grashalme“ erschienen, und mit ihr wurde seinerzeit der Whitman-Kult in Deutschland begründet, dessen Bann sich weder die Expressionisten noch Thomas Mann (1875–1955) entziehen konnten, der den amerikanischen Lyriker als „Donnerer von Manhattan“ verehrte. Whitman wurde auch zu einem bedeutenden Idol der Beat-Generation.

Helm Zirkelbach war ebenfalls von dem Gedichtband, vor allem dem „Gesang von mir selbst“ fasziniert. Dabei ging es ihm immer um seinen eigenen Zugang zu den Versen Whitmans, die ihm damals in einer persönlich schwierigen Lage Zuversicht spendeten. Deshalb machte er sich daran, in den Jahren 1992/1993 für jede der 52 Strophen ein eigenes Blatt zu schaffen.

Die Arbeit war zunächst als Buch geplant, so dass die Radierungen nicht mittig auf dem Blatt stehen, sondern links ein breiterer Rand für die Bindung gelassen wurde. Ein früher Mäzen konnte den jungen Künstler aber davon überzeugen, dass für Sammler eine lose Folge attraktiver ist als ein gebundenes Buch. Das Reclamheftchen seines Vaters bezog er in seine Grafiken ein, kopierte einzelne Textstellen, rieb sie mit Nitro ab und klatschte sie auf die jeweilige Druckplatte ab. Der Toner blieb nun erhaben auf der Platte stehen, so dass sich die Druckfarbe beim Auswischen um die Erhöhungen sammelt. Im Endeffekt wurde daher nicht die Schrift, sondern deren Kontur gedruckt.

Die Farbwahl Zirkelbachs ist begrenzt: Neben Schwarz und einem kräftigen, mitunter leuchtenden Blau bestimmen Rot- und Brauntöne seine Palette. Nur selten changieren das Blau zu Violett und das Rot zu Orange. Diese Farben werden auch viele spätere Arbeiten bestimmen, sofern der Künstler nicht das klassische Schwarz-Weiß wählt. Die Form der Platten aber variiert stark. Es finden sich unregelmäßig geformte Platten mit tiefen Einschnitten, eine weitere Variante ist das Zerschneiden in einzelne Segmente. Daneben tritt aber auch die klassische Form des Rechtecks wie im Selbstbildnis des Künstlers und im Porträt Whitmans.

„Song of myself“ gehört zum Kernbestand der Gedichtsammlung „Leaves of grass“, die Walt Whitman 1855 erstmals – noch ohne Titel – in Druck gab und bis zu seinem Tod immer wieder erweiterte. Dabei war der spätere Titel des anfangs kaum erfolgreichen Buches ein Wortspiel. Die deutsche Übersetzung Grashalme spiegelt dabei nur eine Dimension wieder. Für den überzeugten Demokraten Whitman war Gras u.a ein Symbol der Prärie, der nordamerikanischen Steppenlandschaft, und zugleich ein Pflanze, die in jedem Garten wuchs, egal ob dessen Besitzer reich oder arm, schwarz oder weiß, Mann oder Frau war. Zum anderen steht das Wort „leaves“ für die Seiten eines Buches und „grass“ in der Sprache der Verleger und Drucker – Whitman war gelernter Setzer – für mindere Bücher. Oder doch für eine Poesie, die jedes einzelne Individuum unabhängig von seiner gesellschaftlichen Stellung mit der Vokabel „Ich“ feiert: „Ich feiere mich selbst und singe mich selbst, und was ich mir anmaße, sollst du dir anmaßen, denn jedes Atom, das mir gehört, gehört auch dir.“

Die Ausstellung läuft von Sonntag, 20. September bis 22. November. Eine Eröffnung kann wegen des begrenzten Raumangebotes nicht stattfinden. Am Eröffnungstag werden um 11, 13 und 15 Uhr Führungen mit dem Künstler und dem Leiter des Museums angeboten. Da die Anzahl der Besucher beschränkt ist, wird um Anmeldung unter Tel. (0 97 21) 3 87 09 70 oder info@museumottoschaefer.de gebeten. Das Museum ist ab Sonntag, 12. September, zu den gewohnten Zeiten geöffnet: Sa., 14-17 Uhr, So. und Feiertage 10-17 Uhr.

 
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