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GEROLZHOFEN
Gerolzhofen ergibt sich kampflos
Kaugummi und der erste „Neger“: Eindrücke ganz neuer Art bescherte der Jugend der Einmarsch der Amerikaner im April 1945.
Foto: Keystone | Kaugummi und der erste „Neger“: Eindrücke ganz neuer Art bescherte der Jugend der Einmarsch der Amerikaner im April 1945.
Von unserem Redaktionsmitglied Norbert Vollmann
 |  aktualisiert: 18.04.2010 17:16 Uhr

Zum 65. Mal jährt sich dieser Tage der Einmarsch der Amerikaner in Gerolzhofen und die Umlandgemeinden. Schon drei Tage zuvor waren in der Stadt alle Blicke gebannt auf Alitzheim gerichtet. Dort hatten die Amerikaner inzwischen das Dorf buchstäblich sturmreif geschossen, um den letzten Rest an Widerstand einer SS-Einheit mit brachialer Militärgewalt zu ersticken. Seit dem 10. April 1945 wurden die US-Truppen durch die heftigen Kampfhandlungen auf ihrem Vormarsch von der Mainschleife in Richtung Steigerwald aufgehalten. Nun bereiteten sie sich am Freitag, 13. April 1945, darauf vor, Gerolzhofen einzunehmen.

Vor etwas mehr als einer Woche hatten am 6. April 1945 beim so genannten Gerolzhöfer Frauenaufstand auf dem Marktplatz Hunderte von Frauen, Schulkindern und in der Stadt verbliebene Männer auf Initiative von Hauptschullehrerin Josefine Schmitt angesichts der heranrückenden Amerikaner für die kampflose Übergabe der Stadt demonstriert.

Bei der „Schossi“, die lange selbst als glühende Verfechterin des Nationalsozialismus in Erscheinung getreten ist, hatte sich der Realitätssinn durchgesetzt, sprich die Erkenntnis, dass der Krieg verloren ist und jedes weitere Blutvergießen und jede weitere Zerstörung das Unheil für die Bevölkerung nur verschlimmern würde.

Die von der Hitler-Partei ausgemachten Rädelsführer der Demonstration wurden vielfach in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Die meisten davon, wie Josefine Schmitt oder Stadtkämmerer Xaver Schieber, befanden sich nämlich noch auf der Flucht oder in ihren Verstecken, als die Amerikaner vor den Toren der Stadt stehen.

Panzersperren hektisch beseitigt

Die ursprünglich aufgebauten Panzersperren an den Stadteingängen waren bereits aus Angst vor Artilleriebeschuss wieder hektisch beseitigt worden, da klingelte an jenem Freitag gegen 9 Uhr im Rathaus das Telefon. Am Apparat war der mit seiner spanischen Frau in Rügshofen lebende Franz Ruf. Der Mann, der kurze Zeit darauf mit Kurt Tully von der Militärregierung mit der Wiedergründung der SPD in Gerolzhofen sowie der Führung mehrerer örtlicher Betriebe als Treuhänder beauftragt wurde, fungierte als Mittelsmann.

Ruf verlangte den seit 1934 für die NSDAP an der Rathausspitze stehenden Bürgermeister Hans Gress. Der wurde daraufhin eiligst aus seiner Wohnung in der Bahnhofstraße geholt. Ruf teilte Gress mit, die Amerikaner hätten ihm erklärt, dass der Bürgermeister in die Alitzheimer Straße kommen soll. Hans Gress schwang sich sofort auf sein Sachs-Motorrad.

Die verantwortlichen US-Militärs, auf die er an der Straße nach Alitzheim traf, eröffneten ihm, dass man in einer Stunde einmarschieren werde. Der Stadt und ihren Bewohnern würde nichts passieren, sofern bestimmte Dinge wie das Hissen von weißen Fahnen an den Gebäuden beachtet werden. Von den Amerikanern so instruiert, raste Hans Gress in die Stadt zurück, um die Kunde selbst mit seinem „Sachser“ zu verbreiten oder vom städtischen Amtsboten Franz Müller per Ausschellen mit der Glocke verbreiten zu lassen.

Scheppern und Dröhnen

Um 10 Uhr wurde es richtig laut in der Stadt. Die US-Truppen hatten damit begonnen, von der Alitzheimer Straße aus einzumarschieren. Schon von weitem war das Scheppern und Dröhnen der Ketten und Motoren zu hören. Eine nicht enden wollende Kolonne mit unzähligen Jeeps, Sherman-Panzern, Halbkettenfahrzeugen, Späh-, Mannschafts- und Versorgungswagen umkurvte die Verkehrsinsel an der Einmündung zur Nördlichen Allee. Am Friedhof bog der Tross in die Östliche Allee und am Scherenbergturm schließlich in den Steingraben ein.

Die Panzerfahrer und Soldaten, darunter viele Farbige, saßen in der Regel obenauf, trugen Ohrenschützer oder Helm, kauten Kaugummis oder hatten die Zigarette im Mundwinkel. Der überwiegende Teil der Bevölkerung sah erstmals im Leben einen leibhaftigen „Neger“.

Schon an der Ecke Alitzheimer Straße/Nördliche Allee standen viele Neugierige, meist männlicher Natur. Denn es waren vor allem für die weibliche Bevölkerung bange Minuten. Zur Angst trugen von den Nazis unters Volk gebrachte Schauermärchen über Gräueltaten des „Feindes“, aber auch tatsächliche Vorfälle wie die Vergewaltigung zweier junger Frauen in Alitzheim bei. Viele Frauen waren zu dieser Zeit mit ihren Kindern allein zuhause, weil die Männer gefallen, vermisst, in Gefangenschaft, oder noch mit ihren Einheiten auf dem Rückzug waren.

Schneidermeister entführt

Aus Alitzheim hatten die US-Truppen Schneidermeister August Rössner und Valentin Engert als Kriegsgefangene und „Trophäen“ mit im Marschgepäck. Rössner musste zu Beginn, quasi als abschreckendes Beispiel, in voller SA-Montur vor der Kolonne herlaufen. Später saß er wie Engert, an nicht minder exponierter Stelle, auf einem Fahrzeug. Die Amis nahmen Rössner bis nach Augsburg mit, wo er ins Entnazifizierungslager kam. Nach einem Jahr durfte er wieder nach Alitzheim zurück.

Wurden die in der Mitte der Straßen fahrenden Kolonnenfahrzeuge anfangs noch zu beiden Seiten von geduckt laufenden GIs, mit dem Gewehr im Anschlag, flankiert, so sprangen diese mehr und mehr auf, als sie erkannten, dass die Luft rein war.

Am Ende der Steingrabenstraße, wo die endlose Fahrzeugschlange nach rechts in die Schuhstraße abbiegt, wurde es ganz eng. Hier mussten die Shermans so scharf drehen, dass die Leute regelrecht auf die Seite sprangen. Ein Panzerfahrer bekam an dem Eck die Kurve nicht. Der Panzer fuhr geradeaus in das Haus von Agnes Mocker. Die Ketten standen im Wohnzimmer, ins Schlafzimmer darüber ragte das Kanonenrohr.

Marktstraße weiß beflaggt

Die Kolonne nahm bald von zwei Seiten Kurs auf den Marktplatz und das Rathaus, von der Spital- und dann auch über die Rügshöfer Straße von der bis zum Marktplatz weiß beflaggten Marktstraße. Je mehr Fahrzeuge ins Stadtzentrum vordrangen, desto mehr geriet die Kolonne immer wieder ins Stocken. Immer wieder verirrten sich auch Jeeps in den engen Gassen der Altstadt. Doch alles blieb ruhig.

Angesichts der kampflosen Einnahme der Stadt nach den zuvor wütenden heftigen Kampfhandlungen in Alitzheim fiel offenbar auch den US-Militärs ein großer Stein vom Herzen. Schon öffneten die ersten Offiziere auf dem Marktplatz vor ihrem Jeep eine Flasche Sekt.

Noch am gleichen Tag zog allerdings der größte Teil der US-Truppen ohne langen Aufenthalt in Richtung Osten bis nach Ebrach weiter. Derweil begannen die hier verbliebenen Amerikaner, sich in der Stadt „breit zu machen“ und die Hoheitsgewalt auszuüben. Umgehend wurde von der ins Bezirksamt eingezogenen US-Militärregierung die Ausgangssperre verhängt. Die ersten Gebäude werden für die Unterbringung der Soldaten beschlagnahmt und die ersten Häuser durchsucht.

Es sollte allerdings noch bis zum 25. Mai 1945 dauern, ehe Bürgermeister Hans Gress von der Militärregierung abgesetzt und der Uhrmachermeister Karl Schmitt als sein Nachfolger eingesetzt wurde.

Einmarsch: So wie hier bei Ochsenfurt bewegte sich eine endlose Fahrzeugkolonne der von der Mainschleife auf den Steigerwald vorrückenden US-Truppen am Freitag, 13. April 1945, auf die Stadt Gerolzhofen zu, um die Stadt kampflos einzunehmen.
Foto: Archiv-Erika Groth-Schmachtenberger | Einmarsch: So wie hier bei Ochsenfurt bewegte sich eine endlose Fahrzeugkolonne der von der Mainschleife auf den Steigerwald vorrückenden US-Truppen am Freitag, 13.
 
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