
Schweinfurt "Quadro Nuevo" flutet mit "Mare" das Kessler Field, das untergrundmäßig leichte Woodstock-Tendenzen aufweist, und England führt im EM-Finale zur Halbzeit mit einem Tor gegen Italien. Ein enttäuschtes Raunen geht durch Ränge am Ende des zweiten Kultursommer-Konzerts, als ein Bandmitglied das Ergebnis von einem Fußball-Informierten erfragt. Da greift Quadro Nuevo ins Spielgeschehen ein: als letzte Zugabe gibt’s eine poetische, leicht jazzige Adaption der Filmmusik "Cinema Paradiso" vom Italiener Ennio Morricone – und sie wird wirken.
Das genial intuitiv agierende Musiker-Quartett erfrischt bei Liveacts, auch dank der Anmoderationen. Sie erzählen Geschichten rund um Kompositionen, Improvisationen, Arrangements – immer mit jenem Schalk in der Stimme, der sie so nahbar macht.
Symbiotisch verbinden sich die vier Instrumenten-Experten in einer lateinamerikanisch gefärbten Klangwelt-Bubble. Überfluten mit Impressionen und wecken eine tiefe Sehnsucht nach unbeschwertem und unbemasktem Tanzen, Lachen, Leben. Musik von Quadro Nuevo ist das klimaneutralste Beförderungsmittel, das jeden dahin bringt, wo er gerade gerne wäre.
Die vier Reisebegleiter sind: Der geschmeidige Klarinetten-Beschwörer und Meister der Zirkularatmung Mulo Francel, der Tango mühelos mit Klezmer und Jazz verwebt und auch mit Sax oder Mandoline abhebt in wundersame Sphären. Der verschmitzte Andreas Hinterseher (Akkordeon, Bandoneon, Vibrandoneon, Trompete), der seinen abrupt endenden eineinhalb-jährigen Corona-Urlaub feiert und "Stay away and play" komponierte – ein parlierendes, eindrückliches "ultra-entspannendes Lied".
Der gelöste D.D. Lowka mit gepflegter Rocker-Mähne beeindruckt nicht nur bei der Eigenkomposition Sambadi Didi. Er zupft, reißt, streicht den Kontrabass und outet ihn als klangfarbenreiches Percussion-Instrument, das er mit Händen klopft und mit trommelnden Fingerspitzen gefühlt singen lässt. Ebenso sein wundersames Eigenbau-Drum-Set aus Bassdrum, Handtrommeln und Djembe.
Der vierte im Bunde ist das kreative Geburtstagskind Chris Gall, der am "Kuba-Open-Air-Flügel" brilliert. Er sorgt ebenfalls für Gänsehaut-Momente und den Ohrwurm des Abends, seiner Komposition "Yorke’s Guitar", die er dem Radiohead-Gitarristen Thom Yorke schenken wollte. Dem Musikergott sei Dank, dass jener das Geschenk bisher verschmähte. Die Version von Quadro Nuevo murmelt sich fest in die Gehörgänge ein – verströmt sich im Körper, erzeugt pures Glücksgefühl.
Alles richtig gemacht an diesem Abend: Erst das umjubelte Quadro-Nuevo-Konzert besucht, dann die die wichtigste letzte Stunde des EM-Finales daheim geschaut, das die Azzurri gegen die Three Lions für sich entscheiden im Elfmeterschießen. Was so ein paar Klangwellen rund um den Globus geschickt doch auslösen können – irgendwie magisch, wenn man dran glauben will.