"Wer Veränderungen sehen will, der muss sie selber machen." Viel Platz für Veränderungen auf dem weiten Sektor Gemüseanbau hat sich Martin Ludwig in Schwebheim gepachtet. Sozusagen im Ein-Mann-Betrieb hat der 35-Jährige im vergangenen Jahr die "Vielfalter-Bio-Gärtnerei" an den Start gebracht. 4500 Quadratmeter Platz im "fränkischen Apotheken-Gärtlein", die er nach dem Motto "Auf kleiner Fläche eine große Vielfalt an qualitativ hochwertigem, ökologisch erzeugten Gemüse produzieren" bewirtschaftet.
4500 Quadratmeter, das ist nicht viel für einen großen Gärtnereibetrieb, aber es ist reichlich Erde unter der Hacke für einen Einzelnen, der noch dazu vor allem auf Handarbeit und traditionelles Gartenwerkzeug setzt und ohne Traktor auskommt. Der Maschinenpark, ein kleiner Einachser fürs Mulchen und eine Kreiselegge, ist übersichtlich. Sechseinhalb Tage in der Woche, zehn bis zwölf Stunden am Tag, seine Arbeitswoche ist gelinde gesagt, sehr gut ausgefüllt. Wenn er nicht auf den "Wingertsäckern" seine Kulturen pflegt, dann ist er als Direktvermarkter auf dem Schweinfurter Wochenmarkt zu finden oder packt die "Wochenkisten" für seine Kunden.
"Wingertsäcker", so wurden ursprünglich die Weingärten in der Gegend genannt. Auch auf den Flächen der Vielfalter-Gärtnerei stand im 17. Jahrhundert Wein. Wertvoller Kultur-Boden mit feiner Mineralität, wo Sandstein, Keuper und Muschelkalk sich zum Wohle dessen, was darauf gedeiht, ein Stelldichein geben. Diesem Boden, auf dem im vergangenen Jahr noch Roggen stand, entlockt Martin Ludwig nun mit viel Sachverstand und Gefühl für die Erde, was man gerne "saisonales Vollsortiment von A bis Z", also von Aubergine bis Zwiebel, nennt.
Das war nicht immer so, denn Martin Ludwig, ein Schweinfurter, zog es erst einmal in die große Stadt. In der Werbebranche und als Fotograf war er in Berlin gut im Geschäft. Vor zehn Jahren dann die komplette Neuausrichtung oder vielleicht besser Fortentwicklung. "Ich war schon immer an komplexen Themen interessiert, auch das ökologische Gärtnern ist ein sehr komplexes Thema." Schon in einer einzigen Handvoll Erde spielen sich, unter dem Mikroskop oder ganz einfach mit wachem Auge betrachtet, enorm komplexe Vorgänge ab.
Um sich diesem Thema möglichst weit anzunähern, hat er nicht nur viel ausprobiert, sondern auch weite Reisen unternommen und sich zum Beispiel in Öko-Dörfern in Portugal oder Chile über Anbaumethoden informiert sowie dort mitgearbeitet. "Es geht darum, eine Balance zu finden, wie man langfristig und nachhaltig wirtschaften kann, so dass die nächste Generation auch noch einen fruchtbaren Boden hat", so Martin Ludwig. Erfahrungen auf diesem Gebiet hat er in den vergangenen zehn Jahren reichlich sammeln können. So hat er in einem Demeter-Betrieb gelernt, eine Gärtnerei in der Uckermark aufgebaut und von seinem Stand auf einem Berliner Wochenmarkt aus auch Sterne-Gastronomen mit hochwertigem Gemüse versorgt.
"Wenn Leute zu mir sagen, dass sie meine Sachen an Geschmackserlebnisse in ihrer Kindheit erinnern, dann ist das für mich ein schönes Kompliment", so Martin Ludwig. Dafür setzt er ausschließlich auf samenfeste Sorten, und auch alte, beinahe vergessene Gemüse-Raritäten haben ihren Platz. Zum Beispiel regionale Landsorten wie die Sennfelder Markerbse, die nicht nur im Supermarkt-Mainstream untergehen, sondern oft kurz vor dem Aussterben stehen. "Ich möchte diesen Sorten die Möglichkeit geben, erhalten zu werden, um weiter für genetische und geschmackliche Vielfalt zu sorgen. Es gibt noch viele Schätze da draußen, die einen Platz auf unseren Tellern verdient haben."
Für die nächsten Jahre plant er den Aufbau eines eigenen Saatgut-Pools, um die bewährten Sorten aus eigenem Material nachbauen zu können. Weltweit, so schätzt Ludwig, würden etwa 98 Prozent allen Gemüses aus Hybrid-Sorten gewonnen. Das seien homogene Sorten, die auf Lagerfähigkeit und Ertrag gezüchtet sind, aber die Gen-Schere immer enger machen und das Ende der Vielfalt bedeuten.
Allein 40 verschiedene Sorten Tomaten reifen in seinen beiden Gewächshäusern. Alte Sorten, neue samenfeste ökologische Züchtungen, die ganze Palette mit ihren unterschiedlichen Farben, Formen und Geschmäckern. Alte Sorten anzubauen, so Ludwig, bedeute auch die Vielfalt, die der Mensch in mehr als 10 000 Jahren Kulturzüchtung hervorgebracht habe, zu erhalten und zu pflegen. Eine Vielfalt, die in Zeiten wirtschaftlichen Drucks in den Supermärkten überhaupt nicht mehr zu finden sei, weil man sich dort auf wenige marktgerechte Sorten konzentriere. "Ende April geht's bei mir los, im Dezember hört's auf, das Sortiment ist so breit aufgestellt, dass man sich saisonal das ganze Jahr über davon ernähren kann", beschreibt Martin Ludwig diese Vielfalt, zu der auch Winterkulturen und lagerfähiges Feldgemüse wie Kartoffeln gehören.
Das macht Arbeit, viel Arbeit. "Ich bin eigentlich nur am Arbeiten", so der 35-Jährige, "aber ich genieße das auch, lerne ich doch jeden Tag etwas dazu." Darum zieht er für sich auch keine Trennlinie zwischen Arbeit und Leben oder rechnet sich aus, was er eigentlich in der Stunde verdient. Die Gärtnerei sei dennoch kein "Hippie-Öko-Ding", wie er betont, sondern Arbeit nach dem Konzept "Market Gardening". Das bedeutet "effiziente Nutzung von kleinen Flächen mittels Handarbeit und einfach mechanisierten Geräten". Ziel: Hohe Flächenerträge und große Vielfalt oder anders ausgedrückt, "mit minimalem Input unter Berücksichtigung aller Umweltfaktoren höchst möglichen Output erzielen".
"Biologisch intensiv" nennt man das, wenn es gelingt, den Ertrag zu steigern und gleichzeitig die Bodenfruchtbarkeit zu halten oder gar zu erhöhen. Dafür muss man wissen, wie man der Erde hilft, dass sie auf natürliche Weise ihre maximal mögliche Produktivität erreicht. Deshalb ist Martin Ludwig ein sorgsamer Umgang mit dem Boden wichtig. Dazu gehört für ihn auch, mit "dauerhaften Beeten" zu arbeiten. Wie einst bei der "Dreifelder-Wirtschaft" wandern die Kulturen (hier sind es sieben) von Beet zu Beet, ohne dass die Erde gepflügt oder umgegraben werden muss. Eine Herausforderung und viel Handarbeit. Wie das gelingt, darüber können sich die Kunden immer am Donnerstag von 9 bis 12 Uhr direkt am Feld überzeugen und sich dabei im Direktverkauf mit frischen Vitaminen eindecken.
Wo findet man den "Viefalter": Immer am Samstag als Direktvermarkter auf dem Schweinfurter Marktplatz (8 bis 14 Uhr), am Donnerstag von 9 bis 12 Uhr am Feld (Ecke Wingertsäcker/Pfefferminzweg in Schwebheim) und am Donnerstagnachmittag im kleinen Hofladen in der Judengasse 15 in Schweinfurt (14 bis 18 Uhr). Wer sich über die Gärtnerei informieren will, findet alles im Internet unter www.vielfalter.bio.