Mein Gott, was muss das für eine Knochenarbeit gewesen sein. Nicht nur das Aussäen, das Jäten, Pflegen, Gießen. Von der Ernte ganz zu schweigen. Die Gurken, Zwiebeln und Krautsköpf mussten ja auch verkauft werden.
Mit dem Zug fuhren die Gochsheimer Bauern nach Thüringen, mit dem Pferdefuhrwerk nach Würzburg, mit Schubkarre und Huckelkorb nach Schweinfurt auf den Markt. Und es gab auch Bauern, die mit dem Handkarren nach Fulda und Meiningen gefahren sind.
Heinz Müller ist eine wahre Fundgrube, wenn es um das Thema Gochsheim und Gemüse geht. Er bietet Führungen im 2014 gegründete Lehrgarten an. Gibt's über Grünzeug so viel zu erzählen? Und ist das nicht langweilig? Ja, es gibt viel zu erzählen. Nein, es ist nicht langweilig, im Gegenteil. Das liegt daran, dass sich an diesem Garten sehr viel ablesen lässt. Wie sich die Welt verändert hat, zum Beispiel. Wie Nahrung geschätzt wird – oder nicht. Wie Sachen, die einmal wichtig waren, irgendwann in Vergessenheit geraten sind.
Heinz Müller zeigt auf eine Reihe Pflanzen: Das sind Linsen. Wenige Leute wissen wahrscheinlich noch, wie eine Linsenpflanze aussieht. Noch vor 50 Jahren gab es viele auf den Feldern. „Das war und ist ein wichtiger Eiweißlieferant.“ Jetzt ist es schon ein Kunststück, Saatgut zu bekommen.
Früher säte man die Linsen ins Getreide. „Die Linsen haben die Getreidehalme gestützt“, erzählt er. Als mit der Sense gemäht wurde, war es kein Problem, die Linsen rauszunehmen. Da fing die Arbeit dann richtig an. Ausklopfen, ins Wasser geben – die schlechten, die tauben, sind nach oben geschwommen, die guten lagen unten. Trocknen, in ein weißes Säckchen geben – und schon war wieder die Ernährung der Familie gewährleistet. Linsen mit Mehlspatzen gab's früher oft, erinnert sich Müller.
Lein, das war auch mal eine wichtige Pflanze. „Da ist Ihre Jeans draus gemacht.“ Die Pflanze hat tiefblaue Blüten. Daher kommt übrigens der Ausdruck „Ins Blaue fahren“. Ins Blaue, das steht für das Land – und die Felder voller blauer Blüten.
Heinz Müller zeigt, wie die Pflanze langsam zum Stoff wird: Das Stroh wird so lange über einen Kamm geschlagen, bis es ganz fein ist. Dann werden die Fasern gesponnen. Müller hat ein wunderschönes Betttuch aus feinstem Leinen dabei. Teil einer Aussteuer.
Vier Pflanzen waren besonders wichtig für die Gochsheimer: Steckrübe, Gurke, Eibisch, Zwiebel. Die „Gochsheimer vier“ wachsen natürlich auch im Lehrgarten. Der Zwiebel verdanken die Gochsheimer ihren Spitznamen „Zwiefltreter“. Brettchen unter die Schuhe schnallen und die Knolle in den Boden treten – war ganz schön anstrengend. Macht Spaß, das einmal auszuprobieren. Und ganz ehrlich: Zwiebeln schneidet man danach mit mehr Achtung. Zumal, wenn man weiß, dass es drei Jahre dauert, bis eine Zwiebel „fertig“ ist.
Gochsheims Bürgermeisterin Helga Fleischmann erinnert sich noch daran, wie bei der Oma im Wohnzimmer ein Gestell hing, in dem die Zwiebeln über den Winter aufbewahrt wurden. Das war nicht ungewöhnlich. „Im Wohnzimmer war's schön warm“, sagt Heinz Müller.
Die Pflanze kennt wohl keiner mehr: Eibisch. Die Wurzel wurde für Arzneimittel verwendet. „Eine ganz schwere Kultur, das letzte, was im Herbst gemacht wird.“ Mühsam war die Verarbeitung – aber die Leute hatten trotzdem ihren Spaß dabei. Müller zeigt im kleinen Museum Fotos vom Eibischputzen. Die ganze Familie saß im Wohnzimmer, putzte die Wurzeln. Und danach ging es ans Feiern. Da kann sich Heinz Müller auch noch gut dran erinnern.
Tolle Kultur, wenig Aufwand, gutes Geld: Rübenstecklinge waren einmal eine wichtige Gochsheimer Exportware. In die Rhön und ins Fichtelgebirge gingen die Stecklinge. Dort war das Klima rauer. Die Bauern setzen daher Stecklinge ein, statt selbst auszusäen. Um Pfingsten rum hieß es bis in die 50er, 60er Jahre, Stecklinge in Kartons packen, zur Bahn bringen. „Fünf Mark für 1000 Rübenpflanzen – das war viel Geld.“
Die Gurken, die Kümmerli, machen die „Gochsheimer vier“ komplett. Vor gut 100 Jahren sollen sieben Millionen Gurken pro Tag geerntet worden sein, hat der Verein Kräuter, Kraut und Rüben, der den Garten pflegt und gestaltet, aufgelistet. Viele Familien machten auch Konserven, produzierten sogar eigenen Essig. Nach dem Krieg ging der Gemüseanbau zurück. Fünf Gemüseanbaubetriebe gibt es hier noch, zwei davon gehören türkischen Familien. Deswegen wächst in Gochsheim jetzt auch Karalahana, eine Kohlart aus der Schwarzmeerregion.
In Gochsheim wächst im Lehrgarten auch wieder Tabak. Wenig zwar. Aber auch das gehörte mal zum Alltag. Jeder landwirtschaftliche Betrieb hatte seinen eigenen Tabak, schwor auf seine eigene Mischung. Die wurde beim Frühschoppen probiert.
Wer jetzt wissen möchte, was man aus der Wegwarte alles machen kann, was Erdkohlraben und Blattläuse verbindet und wo das Stroh für die Gochsheimer Erntekrone herkommt, muss einfach mal vorbeikommen im Gemüselehrgarten, um den sich der Verein Kräuter, Kraut und Rüben kümmert. Heinz Müller hat auch Rezepte parat. Auch eines für Zucchini, das ihm die Mutter von Gemüsebauer Fatih Baskaya verraten hat. Auch alle möglichen Gartentipps gibt's – und eine Antwort auf jede Frage.
Müller war schließlich 35 Jahre Gartenfachberater und kommt aus einem Gartenbetrieb. Im Schweinfurter Mainbogen gibt es übrigens noch zwei weitere Kräuter-, Kraut- und Rübenerlebnisse: das fränkische Apothekergärtlein in Schwebheim und das Gemüsegärtchen am Main in Sennfeld.
Gemüselehrgarten
Führungen gibt es von 31. April bis 31. Oktober. Kontakt: 09721 54 52 40, E-Mail: k.kalu@t-online.de
Es gibt auch spezielle Angebote für Kinder und Schulklassen
Adresse: Am Hetzberg 1, Gochsheim
Zum Garten gehört ein kleines Museum.