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SCHWEINFURT
Gegen Todesfabriken – für Arbeitnehmerrechte
Gegen Todesfabriken – für Arbeitnehmerrechte
Stefan Sauer
Stefan Sauer
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:44 Uhr

Beeindruckend, mit welcher Ruhe und freundlichen Ausstrahlung Amirul Haque Amin in der Rathausdiele vor 200 Gästen des DGB die Arbeitsbedingungen in den 5000 Textilfabriken seines Heimatlandes Bangladesh schildert. Sie gleichen denen der Frühindustrialisierung in europäischen Ländern Mitte des 19. Jahrhunderts.

Am Sonntag wurde Amin (54), der Präsident der Textilarbeitergewerkschaft Bangladesh, für sein drei Jahrzehnte währendes Engagement für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie mit dem Internationalen Menschenrechtspreis der Stadt Nürnberg ausgezeichnet. Seit Montag steht sein Name nun auch im Goldenen Buch der Stadt Schweinfurt.

Amin erhielt den Internationalen Menschenrechtspreis der Stadt Nürnberg

Der DGB Schweinfurt-Würzburg hatte den Preisträger am Tag nach seiner hohen Auszeichnung in die Rathausdiele holen können, wo er passend zum „Welttag für menschenwürdige Arbeit“ über nach wie vor schlimme Zustände in den Fabriken berichtete – aber auch über Erfolge.

„Der Preis wurde zwar mir verliehen“, begann Amin seine Rede, er widmete ihn aber umgehend den über 1100 Toten und knapp 2500 Verletzten infolge des Fabrikeinsturzes bei Dhaka im April 2013, sowie 4,2 Millionen Beschäftigten im Bekleidungssektor, die um ihre Rechte und menschenwürdige Arbeitsbedingungen kämpften. Der Einsturz des achtstöckigen Rana-Plaza-Gebäudes war der schwerste Fabrikunfall in der Geschichte seines Landes.

Leichte Verbesserungen erst nach der Katastrophe

Nach dieser von profitgierigen Fabrikanten verschuldeten Katastrophe – der Gebäudebesitzer war ein Politiker – änderte sich einiges zu Gunsten der Textilbeschäftigten: Einige Fabriken wurde geschlossen, staatliche Überprüfungen beschlossen, große Abnehmerfirmen in USA und Europa unterzeichneten einklagbare Abkommen zum Brand- und Gebäudeschutz.

Die Arbeitsbedingungen für die Textilbeschäftigten – zu 85 Prozent Frauen – sind, gemessen an hiesigen Verhältnissen, bis heute aber vorindustriell: Sechs bis sieben Arbeitstage pro Woche, 12 bis 14 Stunden pro Tag. Viele der Frauen leben in Slums, ohne Versicherung und Mutterschutz und getrennt von Kindern, denn Kindergärten gibt es nicht im Umfeld der Fabriken, sagt Amin.

Die Fabrikbesitzer gehörten der Elite des Landes an, seien dazu häufig in Politik, Regierung und Militär tätig.

Früher aber, so Preisträger Amin, seien die Verhältnisse noch schlechter gewesen. Seit 1984 gibt es die Textilarbeitergewerkschaft, die er gegründet hat und heute 30 000 Mitglieder zählt. Sie hat erreicht, dass der immer noch skandalös niedrige Mindestlohn von 30 auf 70 Euro erhöht wurde, ein arbeitsfreier Sonntag, verbesserter Gesundheitsschutz in den Betrieben, Zuschläge für die Heimfahrt zum höchsten Feiertag eingeführt wurden. Und: Höhere Kompensationszahlung für Opfer von Fabrikbränden und Gebäudeeinstürzen seien durchgesetzt worden.

2200 Euro für ein Menschenleben

Nur 2200 Euro sei bisher ein Menschenleben wert gewesen. Aber: „Wir wollen keine höhere Kompensation, sondern dass diese Unglücke gar nicht passieren“, sagte Amin. Die großen 220 ausländischen Marken und Ketten müssten deutlich mehr Verantwortung für die Arbeitsbedingungen in Bangladesh übernehmen. Sie und deren Kundschaft hätten es in der Hand, menschenwürdigere Arbeitsverhältnisse einzufordern. Für seine Rede erhielt der Gewerkschaftsführer stehende Ovationen der 200 Zuhörer im Rathaus.

Eingangs hatte DGB-Regionsgeschäftsführer Frank Firsching bei der Begrüßung seines Kollegen aus Südasien die Zustände im globalen Textilgeschäft als in weiten Teilen skandalös bezeichnet.

Sie nähen für uns unter menschenunwürdigen Bedingungen

In Südostasien werde unter menschenunwürdigen Bedingungen für uns genäht, „hunderte Menschen verbrennen in ungenehmigten, teils verschlossenen Textilfabriken in Pakistan und Bangladesh“. Lange Arbeitszeiten, geringe Löhne, Unterdrückung und Ausbeutung der Arbeitnehmer: Diese Bedingungen seien vergleichbar mit denen hierzulande vor 160 Jahren, Das verbinde Schweinfurt mit Bangladesh. Er freute sich, „dass die Gewerkschafter in Schweinfurt zu diesem Thema eine Rathausdiele füllen können“.

Der wohl erste Gewerkschaftsführer im Goldenen Buch der Stadt Schweinfurt

OB Sebastian Remelé bezeichnete Amin in seinem Grußwort nicht nur als engagierten Gewerkschafter, sondern auch gewissermaßen als „Botschafter seines Landes“. Als solcher und Träger des Menschenrechtspreises hatte er sich zuvor ins Goldene Buch der Stadt eingetragen.

Schweinfurts Amnesty-Sprecher Ulrich Philipp sagte: „Gewerkschaften stehen für Menschenrechte und sind Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft.“ Und: Der hiesigen ai-Gruppe sei es gelungen, dass der iranische Gewerkschafter Mansur Osanloo nach fast dreijährigem Einsatz im Juni vorzeitig aus der Haft entlassen worden sei.

Über 1100 Tote nach dem Einsturz der Rana-Plaza-Fabrik 2013: Für bessere Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie Bangladeshs kämpft Gewerkschaftsführer Amirul Haque Amin.
Foto: DPA | Über 1100 Tote nach dem Einsturz der Rana-Plaza-Fabrik 2013: Für bessere Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie Bangladeshs kämpft Gewerkschaftsführer Amirul Haque Amin.
 
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