
Es sind viele Orte, die in Schweinfurt an jüdische Mitbürger, an die NS-Zeit und an die damaligen Verbrechen erinnern. Sie erstrecken sich über die Innenstadt, es gibt sie am Marktplatz, in der Siebenbrückleinsgasse, in der Rückert- und in der Spitalstraße. Klaus Hofmann von der Initiative gegen das Vergessen organisiert seit Jahren einen Stadtrundgang zu diesen Orten. Er will die Erinnerung an die Zeit aufrechterhalten.
In der Nähe dieser Orte, in der Oberen Straße, wohnt zu der Zeit Robert Sachs. Er ist Jude, er überlebt den Holocaust. Am 9. November beschreibt er die Lage in Schweinfurt: „Sie haben so gegen Juden gehetzt, dass wir Angst hatten, was am nächsten Tag passiert. Es war für uns die Ruhe vor dem Sturm – und der brach am nächsten Morgen los.“ Um sechs Uhr verhaften Nationalsozialisten jüdische Männer. Die Familien lassen sie in den Häusern zurück, die sie kurz darauf plündern.
Hofmann erzählt den Zuhörern seiner Führung viele solcher persönlichen Geschichten, erklärt geschichtliche Zusammenhänge, zeigt historische Fotos. Der 65-Jährige steht mit brauner Lederjacke und schwarzer Umhängetasche auf dem Marktplatz, in den Händen hält er einen Ordner mit Erinnerungen an die Zeit. Er gestikuliert viel, während er spricht. Gelegentlich scheint er fassungslos von dem, was passiert ist – auch wenn er schon unzähligen Gruppen davon berichtet hat. „Dass die Nazis aufgetreten sind mit Angstmache, ähnlich wie die AfD heute, dass die gesagt haben, die Juden sind das Unglück für Deutschland, das war natürlich Schmarrn“, sagt er.
„Die haben nur auf einen günstigen Moment gewartet“
Der 65-Jährige berichtet, dass die SA der Bevölkerung davon abgeraten habe, bei Juden zu kaufen. Viele hätten sich letztendlich nicht mehr getraut, dorthin zu gehen – aus Angst, von den Nazis nach dem Grund gefragt zu werden. Inhaftierte jüdische Mitbürger hätten nur dann eine Chance auf Entlassung gehabt, wenn sie ihr Geschäft verkauften. Hofmann spricht von Zwangsarbeit ohne Bezahlung, von „Vernichtung durch Arbeit“, von sogenannten Todesfabriken. „Die Hand an der Gurgel ist immer, immer enger gewesen“, sagt er.
Der Anlass zur Reichspogromnacht sei ein Attentat auf Ernst von Rath, den Legionsrat der deutschen Botschaft in Paris, durch einen jüdischen Jugendlichen gewesen. Er habe damals auf den Mann geschossen, nachdem seine Eltern mit weiteren Juden verhaftet worden seien und nach Polen abgeschoben werden sollten. Dort seien sie aber nicht angenommen worden. Die Nationalsozialisten hätten die Juden daraufhin im „Niemandsland“ zurückgelassen. Der Pogrom sei aber schon länger geplant gewesen, sagt Hofmann. „Die haben nur auf einen günstigen Moment gewartet.“
Sein Rundgang durch Schweinfurt lebt von alten Zeitungsartikeln und Augenzeugenberichten. In einem beschreibt ein 13-jähriger Schüler den Pogrom. „Wie groß war mein Erstaunen, als fremde SA-Männer ganze Stapel von Büchern heraustrugen und auf einen Haufen warfen. Keiner in der Menge rührte sich. Alle standen versteinert da“, liest Hofmann vor.
Die Bevölkerung kann auf den ehemaligen Besitz der Juden bieten
Von den 363 im Jahr 1933 Schweinfurt lebenden Juden, die 0,9 Prozent der Bevölkerung ausmachen, bleiben nicht mehr viele. Im Oktober 1937 sind es 265, ein Jahr später 167. Im Oktober 1942 meldet der damalige Oberbürgermeister drei Juden an die Regierung von Unterfranken.
Der Besitz der Juden sei damals an die Bevölkerung verkauft worden. „Jeder konnte darauf bieten“, weiß Hofmann. Viele hätten das auch getan. „Das ist meines Erachtens der Grund, warum sich viele Leute danach nicht mehr erinnern konnten oder wollten.“ Die Propaganda gegen Juden habe sich bei den Leuten verfangen. „Die sind in die Maschinerie reingekommen. Bei vielen war irgendwann der Gedanke da: Ganz unschuldig sind die Juden ja nicht.“
Hofmanns Initiative gegen das Vergessen gibt es seit 1999. Mit Recherchen und Führungen beginnt er schon über fünfzehn Jahre früher. Es stört den 65-Jährigen, dass es kein abgesichertes Wissen über die Zeit gibt. „Keiner wusste, was hier passiert ist.“ Er beginnt, alte Zeitungen zu suchen und mit Zeitzeugen zu sprechen. Die städtische Politik findet das Engagement der Initiative nicht immer gut, da sie Schweinfurt „in schlechtes Licht rücken würde“. Doch Hofmann entgegnet: „Das ist passiert. Wir stellen uns der Geschichte.“ 15 bis 20 Führungen macht er pro Jahr, bietet sie oft für Schulklassen an. Dass sich nicht jeder alles merken kann, was er erzählt, weiß Hofmann. „Es geht darum, einen Eindruck zu kriegen und etwas festzuhalten.“


