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SCHWEINFURT
Gefangen zwischen Leben und Tod
Tunnel of Light with figures       -  Das Erleben eines Komapatienten hat die Schriftstellerin Nina George in ihrem neuen Buch thematisiert.
Foto: Thinkstock | Das Erleben eines Komapatienten hat die Schriftstellerin Nina George in ihrem neuen Buch thematisiert.
Manfred Herker
 |  aktualisiert: 18.11.2016 03:43 Uhr

Zu einer Veranstaltung der Buchhandlung Vogel mit dem Hospizverein Schweinfurt begrüßte Geschäftsinhaberin Franziska Bickel die Erfolgsschriftstellerin Nina George. Die stellt sich temperamentvoll und Gag verliebt gleich selbst vor: 43 Jahre alt, bisher 24 Bücher, drei Pseudonyme für die Bereiche Erotik, Sex und Thriller. 2015 wurde sie in den Vorstand des PEN-Zentrums Deutschland gewählt, Schwerpunkt Urheberrecht.

Nina George liest aus ihrem neuen Werk „Das Traumbuch“. Dies sei der Abschluss ihrer Trilogie aus „Die Mondspielerin“, des Bestsellers und demnächst verfilmten Romans „Das Lavendelzimmer“ und „Das Traumbuch“. Diese Arbeiten seien vom plötzlichen Tod ihres Vaters geprägt worden, berichtet die Autorin: „Von der Angst vor dem eigenen Eines-Tages-nicht-mehr-Sein, von den existenziellen Fragen des Todes, von der Berührung von Leben und Tod“.

Unfall nach Rettungsaktion

Mit diesen existenziellen Fragen konfrontiert der Roman seine drei Protagonisten: Den Kriegsreporter Henri, seine Ex-Freundin Eddie und Henris Sohn, den hoch sensiblen Teenager Sam. Nina George liest das erste Kapitel des Romans, in dem Henri ein junges Mädchen vor dem Ertrinken in der Themse rettet, unmittelbar danach von einem Auto erfasst wird und schwer verletzt ins Koma gleitet.

Schon hier spürt man als Zuhörer die große Sprach- und Bildkraft und die schreiberische Lust der Autorin: „Der Fluss zieht die Kleine mit sich, er will sie haben. Er will das Lächeln von ihrem Mund reißen, die Zukunft von ihrem Leben.“ Und später, als ihn das Auto anfährt: „Ein Geräusch wie eine Eierschale, die auf dem Rand einer Porzellantasse aufgeschlagen wird. Es wird schlagartig still um mich herum. Dann schmelze ich in den Boden hinein, wie in einen schwarzen Trichtersee.“

Warum lasse ich gleich zu Beginn eine meiner drei Hauptfiguren ins Koma fallen, fragt George. Sie habe wissen wollen, was zwischen Leben und Tod existiert und sie habe bei ihren Recherchen darüber mit vielen Menschen, auch Priestern, Medizinern und einem Quantenwissenschaftler gesprochen. Das Resultat: Es gibt keine endgültigen Aussagen über das Erleben oder Nicht-Erleben eines Komapatienten. Deshalb habe sie die Freiheit gehabt, die Berührung von Leben und Tod als einen Ort voller Parallel-Realitäten zu gestalten.

An Henris 15. Koma-Tag besucht ihn sein Sohn Sam im London Brain Centre. Dabei gerät er versehentlich in ein falsches Zimmer, aus dem leise Klaviermusik erklingt. Sam erblickt ein blondes Mädchen, es heißt Madelyn und ist eine Koma-Patientin. Augenblicklich ist er von ihr fasziniert: „Das Mädchen sieht mich direkt an. Für einen Moment habe ich das Gefühl, als hätte sich Madelyns gläserner Blick etwas bewegt. Es ist Wind in ihrem Blick, Wind aus Musik, und das, was sich bewegte, war ein Rabe, der sich vom Boden abstößt und die Flügel ausbreitet. Ich bin so glücklich und so traurig wie noch nie zuvor in meinem Leben.“ Im Verlauf der Handlung wird Sam verzweifelt versuchen, zu dem Mädchen und seinem Vater vorzudringen, um sie zurückzuholen.

Die dritte Romanfigur ist Eddie, die Ex-Freundin Henris, der ihr vor zwei Jahren brutal sagte, dass er sie nicht liebe. Sie hat zwei Jahre der Scham nach Henris Zurückweisung hinter sich, liebt ihn aber nach wie vor. Was soll sie tun? Eddie geht zu ihm, wäscht ihn, bewegt ihn, bringt ihm Düfte, singt ihm vor – ist da.

Poesie bei Piazzolla-Klängen.

Im 33. Kapitel durchwandert der komatöse Henri sein abenteuerliches Leben als Kriegsreporter. Zuhause in London ist er rastlos. Auf einem seiner nächtlichen Streifzüge trifft er auf eine Bauruine, in der Wundersames geschieht. Nina George gelingt hier reine Poesie, gebannt lauscht das Publikum ihren Worten.

Hier inmitten der Riesenstadt hat sich eine Tango-Gemeinde versammelt. Henri ist gebannt von einer Frau, die plötzlich auftaucht und alle Männer verzaubert. Aus Georges Smartphone erklingen Piazzolla-Rhythmen, vermischen sich mit einem märchenhaften Geschehen, in dem sich Henri in tausend Leben hineinträumt:

„In der Nacht liegen wir einander gegenüber. Sehnsucht nach Nähe. Unfähig, sie zu überbrücken, weil in der Nähe die Angst kommt. Sehnsucht nach Distanz. Irgendwann schließt sie die Augen, lächelt und legt ihre Hand mitten zwischen uns. Und ich lege meine darauf. In dieser Nacht ist mein Schlaf ruhig und ich bin am sichersten Ort der Welt.“

Noch weitere 14 Tage wird Henri im Zwischenbereich von Leben und Tod aushalten müssen: „Bis die Maschine, die Henris Herzschlag begleitet hat, eine gerade Linie unter allem zieht. Schwester Marion öffnet ein Fenster ganz weit. Ich spüre ihn noch für eine Minute im Raum, und dann wendet sich Henri ab und geht ganz still aus seinem Leben.“

Nina George las gestenreich aus ihrem neuen Buch.
Foto: Martina Müller | Nina George las gestenreich aus ihrem neuen Buch.
 
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