Der große Vortragssaal im Leopoldina war bis auf den letzten Platz besetzt: Junge Paare, die ein Baby erwarten, und andere, die ihren Nachwuchs gleich mitbrachten. Ein schönes Bild für das heutige Verantwortungsbewusstsein, auch der Papas, sich über „Unfallverhütung und Erste Hilfe bei Säuglingen und Kleinkindern“ zu informieren. Referent Mathias Usener, Leitender Oberarzt der Klinik für Säuglinge und Jugendliche, schränkte den Vortragstitel gleich etwas ein: Er behandele zwar die ersten Schritte der Ersten Hilfe, einen umfassenden Ersten-Hilfe-Kurs sollten die jungen Eltern jedoch bei den Schweinfurter Hilfsorganisatoren (Johanniter, Malteser, BRK, Arbeiter-Samariter) absolvieren.
Mehr als die Hälfte der Unfälle im häuslichen Bereich
Gefahren lauern überall, besonders für kleine Menschenkinder. 53 Prozent der Unfälle bei Kindern unter sechs Jahren ereignen sich im häuslichen Bereich. 1,7 Millionen Kinder unter 15 Jahren müssen nach einem Unfall ärztlich versorgt werden, 200 000 davon im Krankenhaus. Unfälle sind bei Kindern die häufigste Todesursache. Kinderarzt Usener bot den interessierten, aber noch verunsicherten Eltern eine Fülle von Ratschlägen und Informationen, berücksichtigte dabei den sich stets erweiternden Bewegungsradius der Kleinen. Und er wies auf den noch wenig bekannten 24-Stunden-Notdienst der Leo-Kinderklinik mit einem Kinderarzt hin.
Plötzlicher Kindstod ist immer noch ein Thema
Usener begann mit dem Ereignis „Plötzlicher Kindstod“, dem völlig unvorhersehbaren Tod eines Kindes unter einem Jahr während des Schlafes. Dabei sei solch ein Schicksalsschlag durch Vermeidung der dafür verantwortlichen Risikofaktoren relativ gut zu vermeiden: Säuglinge stets in Rückenlage in einem eigenen Bett im Elternschlafzimmer schlafen lassen, keine Kissen und Kuscheltiere, Zimmertemperatur zwischen 16 und 18 Grad, rauchfreie Umgebung.
Beim Vorfinden des Kindes ohne Atmung oder Herzaktion sofort die Notrufnummer 112 wählen. Dann umgehend mit der Mund-zu-Nase-Beatmung plus Herzmassage nach der ABC-Formel beginnen: A=Airway (Atemwege frei machen), B=Breathing (Beatmung) und C=Cardiac (Herzdruckmassage). Gerade diese lebensrettenden Maßnahmen müssen bei einem Erste-Hilfe-Kurs genau gelernt und geübt werden, zumal es hier für Babys gegenüber Jugendlichen und Erwachsenen gewisse Abweichungen gibt.
Verbrühungen und Verbrennungen im Krabbelalter
Im Krabbelalter und auf dem Fußboden sind ungesicherte Steckdosen, Türen, Treppenhäuser, Schubladen, nicht angeschraubte Regale häufige Unfallursachen. Bei einer Reichweite bis an den Tisch werden Tischdecken mit Kaffeekannen herunter gerissen oder Töpfe mit brodelnder Flüssigkeit vom Herd. Was ist zu tun? Ziehen Sie dem Kind alle nassen Kleidungsstücke aus, kühlen Sie verbrühte Arme, Hände unter handwarmem Wasser, wickeln Sie das Kind in eine Rettungsfolie aus dem Verbandskasten oder wickeln Sie es in saubere fusselfreie Tücher. Dann zum nächsten Kinderarzt/Krankenhaus oder bei großflächigen Verbrühungen den Notruf wählen. Ähnliche Verhaltensmaßnahmen gelten auch für Verbrennungen. Nach dem Löschen der brennenden Kleidung mit Wasser oder einer Decke soll das Kind ausgezogen werden, ohne dabei die eventuell eingebrannte Kleidung mit Gewalt zu entfernen.
Wenn Kinder alles in den Mund nehmen
Ab zwölf Monaten, spätestens mit eineinhalb Jahren, stecken Kinder alles in den Mund, weiß Usener, selbst Vater zweier Kinder. Das können giftige Pflanzen sein (Oleander, Eibe, Engelstrompete, Maiglöckchen), aber auch bunte Dinge aus dem Putz- und Medizinschrank. Im Zweifelsfall (vor dem ersten Anzeichen einer Vergiftung) eines der Gift-Informationszentren anrufen, das Hilfe und Information bietet: Berlin Tel. (030) 19 240 oder München Tel. (0 89) 19 240. Wichtig: Hat das Kind ätzende Stoffe verschluckt, auf keinen Fall einen Brechreiz auslösen, die ätzende Substanz würde ein zweites Mal die Speiseröhre schädigen. Keine Milch geben, sie kann bei vielen Substanzen die Aufnahme des Giftes beschleunigen.
Bei Verätzungen des Auges sofort mit reichlich fließendem Wasser spülen, dabei das unverletzte Auge, Mund und Nase vor Kontakt mit dem Spülwasser schützen. Dann Augenarzt.
Ertrinken droht, oder einen Gegenstand verschluckt
Selbst bei niedriger Wasserhöhe können Kinder in der Badewanne, im Planschbecken, im Gartenteich oder einer Regentonne ertrinken. Deshalb rät Kinderarzt Usener zur Beaufsichtigung der Kinder bis zum vierten Lebensjahr. Kinder ertrinken leise, Kleinkinder verlieren die Orientierung und wehren sich nicht gegen das Ertrinken. Bei Atemstillstand sofort Mund-zu-Nase-Beatmung, bei Herzstillstand zusätzlich Herzmassage und den Notruf wählen. Dieses Vorgehen gilt auch für Stromunfälle – nach Unterbrechung des Stromkreises. Beim Verschlucken von Gegenständen werden oft die Atemwege blockiert.
Usener empfiehlt den Eltern, das Kind mit Kopf und Bauch nach unten auf den eigenen Unterarm zu legen und auf den Rücken zwischen die Schulterblätter zu klopfen. Größere Kinder vornüberbeugen und durch kräftige Schläge auf die Brust zum Husten bringen.
Sturz- und Kopfverletzungen wenn das Fahrradfahr-Alter beginnt
Bei den ersten Versuchen auf Laufrad, Roller oder Fahrrad sollte ein Elternteil immer daneben sein, empfiehlt Usener. Natürlich solle das Kind einen TÜV-geprüften Schutzhelm tragen, der auch den Hinterkopf bedeckt. Es sei oft schwierig, harmlose Stürze von gefährlichen zu unterscheiden, betont der Kinderarzt. Handelt es sich um eine Schädel- oder Gehirnverletzung, um eine Gehirnerschütterung mit kurzer oder längerer Bewusstlosigkeit? Eine Blutung aus dem Ohr ist oft das Zeichen einer Schädelbasis-Fraktur. Im Zweifel, „lieber einmal zu oft den Notruf anrufen“, bei Herz- oder Atemstillstand außerdem Mund-zu-Nase-Beatmung und Herzmassagen.