Jede Generation müsse sich des Verstandes bedienen und aus dem Wissen heraus Verantwortung tragen, weshalb das permanente Erinnern an die Geschichte und damit auch an begangenes Unrecht die Basis für eine bessere Zukunft sei, meinte am Sonntag beim Gedenktag der Deutschen aus Russland Festredner Hans Jürgen Fahn (Mdl) im Alten Friedhof.
Der 28. August 1941 markiert einen Einschnitt in der Geschichte der Deutschen aus Russland. Mit dem Erlass des Obersten Sowjets der UdSSR „Über die Übersiedlung der Deutschen, die in den Wolgarayons wohnen“ wurde die deutsche Bevölkerung des Verrats und der Kollaboration mit Nazideutschland beschuldigt.
Arbeitslager, Gefängnisse und Arbeitsarmee
Die Wolgarepublik wurde aufgelöst. Hunderttausende wurden nach Westsibirien und Mittelasien deportiert und gerieten in Arbeitslager, Gefängnisse und in die Arbeitsarmee. An die Ereignisse vor 75 Jahren erinnerte am Sonntag die Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland mit einer zentralen Veranstaltung für Bayern auf dem Alten Friedhof an der Schweinfurter Schultesstraße.
Unter den knapp 100 Besuchern begrüßte Landesvorsitzender Ewald Oster sieben Zeitzeugen, den Festredner Fahn (Generationenpolitischer Sprecher der Freien Wähler im Landtag und Sprecher für Flüchtlinge und Vertriebene seiner Fraktion), Schweinfurts Bürgermeisterin Sorya Lippert, Peter Krier (Vorsitzender des Kreisverbandes des Bundes der Vertriebenen) und Pfarrer Adolf Possmayer, der in der Diözese Aussiedler- und Vertriebenenseelsorger ist und den Gedenkgottesdienst (mit Kranzniederlegung) hielt.
Warten auf die Rehabilitation
Oster erinnerte an die Zeit vor dem 28. August 1941, als die Deutschen in der Sowjetunion als fleißige und untadelige Bürger gegolten hätten, die über ein eigenes Territorium verfügt hatten, in dem deutsche Sprache und Kultur selbstverständlich gewesen waren.
Mit dem 28. August habe eine Leidenszeit begonnen, denn die Deutschen seien unrechtmäßig des Verrats und der Kollaboration mit Nazideutschland beschuldigt worden.
Mit dem Begriff „Übersiedlung“ hätten die Machthaber die Deportation beschönigt. In kürzester Zeit hätten die Deutschen ihre Wohnorte verlassen müssen, Hab und Gut verloren, seien rechtlos geworden, in Viehwaggons und letztendlich in Sondersiedlungen gelandet, die sie bis 1955 nicht hätten verlassen dürfen.
Verbrechen an der Menschlichkeit
Oster zur aktuellen Situation: „Bis heute warten die Deutschen aus Russland auf ihre vollständige rechtliche und moralische Rehabilitation. Zwar hat sich die Lage der Deutschen in Russland oder etwa in Kasachstan gebessert, doch sind deutsche Sprache und Kultur oft verloren gegangen. Für die 2,8 Millionen Deutsche aus der ehemaligen UdSSR und den heutigen GUS-Staaten, die heute in Deutschland leben, ist der 28. August ein Trauertag, an dem wir der Ereignisse und der Opfer gedenken.“
Hans Jürgen Fahn bezeichnete die Deportation als rassistisch-politisches Verbrechen an der Menschlichkeit und als Skandal, vor dem die heutige Generation die Augen nicht verschließen dürfe, da eine verantwortungsvolle Politik für die Zukunft die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen dürfe.
Fahn: „Die Wirren des Krieges und die Anmaßung weniger, über andere Menschen nach Belieben zu bestimmen, sind eine Mixtur, die die Welt unruhig, ungerecht und gewiss nicht lebenswert macht!“ Dies gelte auch heute und damit in einer Zeit, in der 65 Millionen Menschen aus ihrer Heimat durch Deportation, Hunger, Krieg, Terror und politische Willkür vertriebenen seien; – aber auch in einer Zeit, in der das Sicherheitsgefühl allenthalben in Deutschland durch Attentäter und den islamistischen Terror angeknackst sei, weil sich gewaltbereite Ideologien über die Menschenrechte stellen würden.
Rattenfänger schüren Ängste
Scharf ins Gericht ging der Festredner mit den „rechtspopulistischen Kräften“ im Inland und in den Nachbarstaaten. Durch diese seien mittlerweile Holocaust-Leugner und Neo-Nazi-Sympathisanten in Landesparlamente gewählt worden. Mit Rasismus und Intoleranz würden „Rattenfänger“ Vorurteile, Ängste und Hass schüren.
In ihrem Grußwort zeigte Bürgermeisterin Sorya Lippert Parallelen bei den Flüchtlingen aller Zeiten auf. Die Heimat zu verlassen, dies sei kein Spaziergang, so Lippert. Peter Krier forderte die Politik auf, Geschichte ungeschminkt zu dokumentieren und nicht aus irgendwelchen Rücksichten nachzujustieren. Musikalisch wurde die Feier durch den Frauenchor „Harmonie“ (Leitung Olga Baluyev) gestaltet.