"Nach zwölf Jahren Nazidiktatur, die das Verbot freier Gewerkschaftsaktivitäten ebenso bedeutete wie Verfolgung, Inhaftierung und Mord für viele Gewerkschaftler und Gewerkschaftlerinnen, atmeten die überlebenden Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen nach dem 8. Mai 1945 wieder saubere Luft": So beginnt eine Stellungnahme des Schweinfurter DGB zum Gedenken an "75 Jahre Freier Gewerkschaftsbund Schweinfurt".
Regionalgeschäftsführer Frank Firsching lud mit mehreren Gewerkschaftskollegen zum Gedenken im Châteaudun-Park ein. Am 4. November 1945 hatte, mit Genehmigung der Militärregierung, die Gründungsversammlung im Kantinensaal von "Kugelfischer" stattgefunden: also im einzigen unzerstörten, größeren Versammlungsort der Ruinenstadt.
Im Vorbereitungssausschuss saßen Richard Mauer für die SKF (VKF), Heinrich Hümpfner, Johann Link und Fritz Bachmann für Fichtel & Sachs sowie Georg Siffel als Vertreter der Stadt. Das Neue war die Einheitsgewerkschaft: eine Lehre aus der Zeit der Weimarer Republik, als zahlreiche "Richtungsgewerkschaften" in Berufe, Betriebe oder religiöse und politische Weltanschauungen zersplittert waren - und dann als Einzelkämpfer der Machtergreifung der Nazis zum Opfer fielen.
Die "Stunde Null"
In der "Stunde Null" ging es zunächst um betriebliche Organisation, um elementarste Lebensbedürfnisse der Arbeitnehmer, um den Wiederaufbau, um den Kampf gegen allgegenwärtigen Mangel und um die Demontage der Fabriken: Dabei befand man sich durchaus im Konflikt mit der Militärregierung, aber es gab auch frühe Kontakte zu britischen oder amerikanischen Gewerkschaftern.
In Schweinfurt entstanden rasch wieder mehrere Einzelgewerkschaften, die sich dann 1949 im Dachverband zusammenschlossen. Am Kugellager-Denkmal erinnerten der DGB und seine Mitstreiter mit einer Plakataktion an die zehn Leitsätze der Schweinfurter Gründerväter von 1945. Neben der Idee der "einen Gewerkschaft für alle" zählten dazu der Verzicht auf Parteipolitik und Gedanken, wie sie dann am 23. Mai 1949 Einzug ins Grundgesetz der Bundesrepublik gehalten haben: religiöse Neutralität, Wiederherstellung von Frieden, Völkerverständigung und Rechtssicherheit "auf dem Gebiete der Polizei und Justiz".
Neben dem Rechtsstaat war der Sozialstaat das große Ziel: gerechte Lohn- und Arbeitsbedingungen, ein starkes und ausgebautes Sozialversicherungswesen, aber auch die Förderung des "kulturellen Aufstiegs der arbeitenden Bevölkerung". Letztendlich sollten Militarismus und Faschismus in jeder Form bekämpft werden. Aktiven Mitgliedern des Nazistaats (in NSDAP oder Deutscher Arbeitsfront) wurde jede Funktion verweigert.
Verkürzung der Arbeitszeit
Im DGB seien dann viele Ziele erreicht worden, so Firsching, etwa die Verkürzung der Arbeitszeit von der 48- bis hin zur 35-Stunden-Woche, Urlaubs- und Weihnachtsgeld oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Volkshochschulen wurden gegründet, Kultur und Bildung wurden allen Kreisen zugänglich gemacht. 1957 wurde der Antikriegstag ausgerufen: "Die Gewerkschaften wurden zu einem Teil der Friedensbewegung." Und der DGB habe 2010 zur Gründung von "Schweinfurt ist bunt" aufgerufen, im Vorfeld eines Neonazi-Aufmarschs zum 1. Mai.
Firsching findet allerdings auch kritische Worte. Die Entwicklung habe sich vielerorts von der Idee gewerkschaftlicher Einheit entfernt, von der Ärztegewerkschaft bis hin zur Pilotenvereinigung. "Wir fühlen uns den zehn Leitsätzen heute noch verpflichtet und werden sie weiterhin leben", sagte DGB-Vertreter Firsching.