Es war ein großer Verlust. Im September 2012 stieß eine Putzfrau in der Kunsthalle an ein großes Gefäß von Hans Karl Kandel. Es zerbrach. Eines der poetischsten Werke der Triennale II war unwiederbringlich zerstört. Beim Blick ins Innere sah der Besucher: nichts. Keine Wände, keine Kanten, nur einen scheinbar unendlichen Raum. Nun zeigt der Bildhauer wieder fragile, dünnwandige Gefäße aus Gips in Schweinfurt. Der Kunstverein richtet ihm in seinem Salong eine Einzelausstellung mit dem Titel „ARTundWEISSE“ aus.
Begonnen hatte der 1946 in Schwabach geborene Hans Karl Kandel mit Stahl, was ihn nach Jahren aber an seine körperlichen Grenzen brachte. Inzwischen arbeitet er ausschließlich mit Hartgips. An diesem Material hatte ihn schon immer fasziniert, mit welch' geringem Aufwand – man braucht nur Gipspulver und Wasser – sich großartige Ergebnisse erzielen lassen. In seinem Fall Gefäße, deren Formen vertraut wirken und die – wie Kunsthistoriker Hans-Peter Miksch im Katalogtext schreibt – unbestreitbar materiell sind, ergo physisch erfahrbar, sich aber durch ihre Nicht-Farbe weitestgehend in sich selbst zurückziehen. Miksch war Kurator der zweiten Triennale und ist mit dem Werk von Kandel sehr vertraut.
So schlicht und reduziert die Gefäße sind, so groß ist der Assoziationsspielraum, den sie eröffnen. Beginnen wir mit dem Inneren, dem Raum, den sie umfassen und den man auch – um den französischen Philosophen Jacques Lacan zu zitieren – als Leere bezeichnen könnte, also als das Nichts. Eine Ahnung davon gab die große Skulptur, bevor sie zerstört wurde, und man kann hoffen, dass sich diese unvergessene Erfahrung bei der aktuellen Ausstellung wiederholen lässt.
Der zweite wichtige Aspekt ist das Weiß, die Nicht-Farbe, wie Miksch sie nennt. Kandel liebt das Weiß des Gips, das die Schlichtheit der Gefäße unterstreicht. Weiß steht für Schlichtheit, Reinheit, Tugend und Unschuld. Und es betont die Verletzlichkeit der Objekte. Miksch nennt noch einen anderen Aspekt. „Dass Weiß in anderen Kulturen auch die Farbe der Trauer, mittelbar also des Todes sein kann, hier wird das intuitiv erfahren.“
Das Weiß schließt jede Ablenkung aus und dient als Reflexionsfläche für Licht. Die Gefäße sehen an jedem Ort und zu jeder Tageszeit anders aus. In der Großen Halle der Kunsthalle changierte das Weiß damals von einem kaum wahrnehmbaren Blau am Morgen über ein sanftes Grau am Mittag bis zu einem zarten Rosa im Abendlicht. „Die Arbeiten leben mit dem Licht“, sagt Kandel selbst. Diese Wirkung wird durch die glatte Oberfläche und die beeindruckende Makellosigkeit noch unterstrichen.
So einzigartig das Werk des 66-Jährigen Bildhauers auch ist, das Weiß steht in einer langen künstlerischen Tradition. Hans Peter Miksch nennt viele Beispiele, angefangen von den Bozzetti, den plastischen Bildhauerskizzen, über Kasimir Malewitsch und sein „weißes Quadrat, als Schlüssel zum Beginn einer neuen klassischen Form, eines neuen klassischen Geistes“ bis zu Kurt Schwitter und seine begehbaren Collage-Konstruktionen aus Gips und Holz.
Aktuell richtet sich der Blick der Kunstwelt auf die ZERO-Bewegung der 1950er- und 60er-Jahre. Künstler wie Günther Uecker, herman de vries, Lucio Fontana, Hermann Göpfert, Otto Piene, Piero Manzoni, Jan Schoonhoven und Paul van Hoeydonck hatten zeitgleich die Idee der Weiß-Bilder, der Reduktion auf diese eine Farbe. Ein Versuch, sich von allem zu lösen, was es vorher gab.
Hans Karl Kandel: ARTundWEISSE im Salong des Kunstvereins. Eröffnung 15. Oktober, 19 Uhr. Zu sehen bis 15. November.