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SCHWEINFURT
Furioser Nachsommer-Auftakt mit Project Trio aus New York
Begnadete Geschichtenerzähler – mimisch wie musikalisch: das Project Trio während „Peter und der Wolf“ mit (von links) Greg Pattillo, Peter Seymour und Eric Stephenson.
Foto: Josef Lamber | Begnadete Geschichtenerzähler – mimisch wie musikalisch: das Project Trio während „Peter und der Wolf“ mit (von links) Greg Pattillo, Peter Seymour und Eric Stephenson.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 07.09.2014 16:56 Uhr

Dass sie sich auf der Bühne bei ihrer Mutter bedanken, würde man vielleicht eher von italienischen Tenören erwarten und nicht unbedingt von einem Trio aus Brooklyn, New York. Aber großes Können kommt nicht zuletzt von großer Beharrlichkeit, und eine solche haben die Mütter von Greg Pattillo, Eric Stephenson und Peter Seymour bewiesen: Sie haben ihren Söhnen die Instrumente gekauft und sie immer zu den Unterrichtsstunden gefahren. „Wir hatten sehr coole Mütter“, sagt Greg Pattillo, Flötist des Project Trio, das am Samstag in Halle 410 der SKF den Nachsommer eröffnet hat.

Aber die Geschichte geht noch weiter: Alle drei Jungs waren begeistert von klassischer Musik, übten fleißig und spielten in Jugendorchestern. Bis die Pubertät kam. Plötzlich fand der junge Flötist Greg klassische Musik nicht mehr ganz so cool. Und dann bewies Gregs Mutter wahre Coolness: Sie schickte ihren Sohn in ein Jethro-Tull-Konzert, damit er den Flötenderwisch Ian Anderson erlebte. Und so konnte aus Greg Pattillo, Eric Stephenson und Peter Seymour schließlich das Project Trio werden, ein Ensemble mit höchst ungewöhnlicher Besetzung – Flöte, Cello und Kontrabass – und höchst ungewöhnlichem Repertoire.

Greg Pattillo hat Andersons rockiges Spiel weiterentwickelt. Er erweitert den perkussiven, oft geräuschhaften Ansatz um eine veritable, beliebig zuschaltbare Beatbox, die erstaunlicherweise nie auf Kosten des eigentlichen Tons geht. So wird aus dem Trio jederzeit eine Band, die virtuos zwischen klassisch und groovig wechseln kann.

Wobei es eben nicht auf den Wechsel, den Bruch, den Kontrast ankommt. Hier wird nicht Klassik verjazzt oder Rock sinfonisiert. Alle Stücke des Project Trio – Arrangements wie Eigenkompositionen – sind in sich stimmige Werke, die jenseits aller Genre-Klassifizierungen funktionieren. Es ist, als wären sie angetreten, den letzten Beweis zu erbringen, dass Louis Armstrong so was von Recht hatte: „Es gibt nur zwei Arten von Musik, gute und schlechte. Es kommt nicht darauf an was du spielst, sondern wie du spielst.“

Alle drei sind ständig Melodiestimme und Rhythmusapparat – die Funktionen changieren fast mit jedem Takt. So ergibt sich ein unglaublich vitales, schillerndes Klangbild, bei dem es ständig etwas zu staunen gibt. Greg Pattillo, der eine wunderbar warme Melodie plötzlich mit ultratrockenem Beat unterlegt. Peter Seymour, der ständig übers ganze Gesicht strahlt und den Bass mit zärtlicher Leichtigkeit bedient – auch er weit über die althergebrachte Technik hinaus. Und Eric Stephenson, der per Doppelgriff eine ganze Batterie an Mittelstimmen auf Lager hat (wenn die nicht gerade mal der Bass übernimmt) und ansonsten den Bogen schon mal knacken lässt wie einst Jimi Hendrix die Gitarre.

Schon der Opener, ein Stück von Charles Mingus, ist ein Mikrokosmos an flirrenden Ideen. Das Thema von Beethovens Fünfter ist einfach mal Startschuss für ein rasantes Minimedley, während „Djangish“ eine berückend authentische Nachschöpfung im Geiste des großen Django Reinhardt ist. Dass sie Lateinamerikanisches draufhaben, versteht sich von selbst, der Klassiker „Andre de Sapato Novo“ oder die eigene Salsa-Nummer „The Bodega“ sind lockere Meisterwerke voller Feuer.

Brahms' Fünften Ungarischen Tanz ergänzen sie nur durch eine kleine Swingpassage und überlassen sich ansonsten dessen vorhandenen Verschrobenheiten. Auch Rossinis Tell-Ouvertüre lebt ganz vom Spaß am musikalischen Text (und an der eigenen Virtuosität), Tschaikowskys Nussknacker dagegen drücken sie ihren eigenen, leicht verfremdenden Stempel auf. Und „Peter und der Wolf“ verlegen sie kurzerhand in ihren Heimatstadtteil Brooklyn.

Und dann sind da noch die poetischen Eigenkompositionen – „Cherry Blossoms“ etwa, „Winter in June“, entstanden nach einem Hagelsturm, oder die wunderbare „Random Roads Suite“ mit ihrem überirdisch schönen Adagio. Der Saal tobt eigentlich schon nach dem ersten Stück. Nach der letzten Zugabe stehen dann alle in Halle 410. Peter Seymour tätschelt noch mal seinen Bass, dann verabschiedet sich das völlig erschöpfte (und mehrfach nass geschwitzte) Trio nach unglaublich kurzweiligen zwei Stunden in die laue Spätsommernacht.

 
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