
Mit rund 25 000 Besuchern in den ersten zwei Monaten ist die Ausstellung „Die Sammlung Gunter Sachs“ höchst erfolgreich. Und es sind nicht nur die Ikonen der Pop Art oder die weltberühmten Surrealisten, die die Gäste der Kunsthalle in ihren Bann ziehen. Immer wieder sieht man Besucher lange Zeit in den drei kleinen Räumen verweilen, in denen ein Teil der Fotografien gezeigt wird, die Gunter Sachs gesammelt hat. Eines der Lieblingsbilder führt ins München der späten sechziger Jahre. Kurz nach der Premiere am Broadway startete das Musical „Hair“ 1968 auch in der bayerischen Landeshauptstadt.
Will McBride war bereits ein erfolgreicher Fotograf, als er die Darsteller des Musicals nackt abbildete. Eine fantastische Inszenierung – 16 Leute in elf Kisten: der eine nachdenklich, der andere selbstbewusst, manche lässig, unbekümmert oder verschämt. Jeder zeigt sich anders in seiner Nacktheit. Um dieses Foto rankt sich eine schöne Geschichte. Anders als in einer Szene der Urfassung durften die Hair-Schauspieler in München nicht nackt auftreten. Sie mussten sich auf der Bühne in Decken hüllen. Bei McBride aber durften sie nackt sein.
Der Amerikaner war 1953 als Soldat nach Würzburg gekommen. Nach dem Militärdienst blieb er in Deutschland, weil es ihm mehr Freiheit verhieß als das puritanische Amerika. McBride war überzeugter Kriegsgegner. „Hair“, die Geschichte einer Gruppe langhaariger Hippies, die sich gegen ihre Einberufung in den Vietnamkrieg auflehnen, faszinierte ihn. Jeden Abend besuchte er die Aufführung, bevor er die Darsteller für das Jugendmagazin „Twen“ fotografierte. Von dieser Aufnahme gibt es mehrere Versionen. Die bekannteste hat Will McBride seinem Freund Gunter Sachs gewidmet.
In der Schweinfurter Ausstellung sind drei Fotografien aus der Serie „Für Gunter“ zu sehen, jede mit einer handschriftlichen Widmung. Unter das Hair-Bild hat McBride geschrieben: „Aber zusammen zu kommen, um getrennt zu bleiben – das ist ja furchtbar. Der enge Raum mit dem wir uns umgrenzen macht tot“. Diese Widmung bezieht sich vermutlich nicht nur auf die Engstirnigkeit der Münchner, sondern auch auf seine eigene Lebenssituation. Ende der sechziger Jahre, als dieses Bild entstanden ist, brach die Familie des Fotografen auseinander. Sein exzessives Leben mit rastloser Arbeit, Alkohol und Drogen forderte seinen Tribut. Auf dem zweiten Foto in dieser Ausstellung wandte er sich direkt an den „Lieben Gunter“ und schrieb, dass er Fotos mache, um seine Einsamkeit zu reduzieren.
Will McBrides Aufnahmen von Adenauer, Kennedy, Brandt oder Romy Schneider zeigten ein neues Bild von Deutschland und gelten heute als Klassiker des Fotojournalismus. Heftig umstritten war sein Aufklärungsbuch „Zeig mal!“, das 1974 erschien und Nachtfotografien von Kindern zeigte, deren Sexualität gerade erwacht ist. Das Buch wurde von Sexualwissenschaftlern und Pro Familia hoch gelobt, unter anderem von Politikern aber heftig kritisiert. Als in den neunziger Jahren der Vorwurf der Nähe zur Kinderpornografie aufkam, ließ McBride das Buch vom Markt nehmen. Seit Jahren arbeitet Will McBride nicht mehr als Fotograf, sondern als Maler. Seine homoerotischen Gemälde von Jungs sind umstritten. Auch sein Freund Gunter Sachs wollte mit diesen Bildern nichts zu tun haben.
Sachs war bekanntlich selbst ein anerkannter Fotograf. Viele seiner Bilder huldigten der Eleganz und Erotik der Frau. Das hatte er mit dem japanischen Fotografen Izima Kaoru gemeinsam, von dem in der Ausstellung eine faszinierende Aufnahme aus einer großen Serie zu sehen ist. Titel „Tomosaka Rie wears Miu Miu“. Das Foto eines Verkehrsunfalls brachte den Modefotografen Kaoru vor vielen Jahren auf eine Idee. Er fragte sich, wie diese Szene wohl aussähe, wenn das Opfer eine schöne, elegant gekleidete Frau wäre. Das war der Beginn des Projekts mit dem Titel „Landscapes with a Corpse“, also Landschaften mit Leichnam, das Kaoru berühmt machte.
Der Fotograf bat junge schöne Models und Schauspielerinnen, sich den Moment ihres Todes vorzustellen und inszenierte diese Fantasien dann aufwendig. Die japanische Sängerin und Schauspielerin Tomosaka Rie in unserem Bild entschied sich für den imaginären Sprung in die Tiefe. Der Betrachter sieht sie von oben, vermutlich von der Stelle, von der sie angeblich gesprungen ist. Die junge Frau scheint fast unverletzt, nur bei genauem Hinsehen erkennen wir den dünnen Blutfaden in ihrem Mundwinkel. Ihr Haar breitet sich malerisch um den Kopf aus, kein Kratzer stört die makellosen langen Beine, die elegante Jacke des italienischen Modelabels Miu Miu ist unbefleckt.
Die Szene ist in ein eigenartig grünes Licht getaucht, in dem der rote Stoff intensiv leuchtet. Kaoru arbeitet oft mit Komplementärfarben. Die Szene wirkt völlig unwirklich. Kaorus Bilder sind Kunst und Modefotografie zugleich, sie greifen das alte Thema „Tod und Schönheit“ auf.