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SCHWEINFURT
Für 20 Minuten blind: Dunkelcafé setzt Zeichen für Inklusion
Kaffeekränzchen im Dunkeln       -  Eisige acht Grad Celsius, feuchte Kellerluft und völlige Dunkelheit. Hier und da raschelt es, das Kratzen von Keramik auf Holz erfüllt den Raum. Nach und nach werden unsichere Stimmen laut: „Hast du schon das Gebäck gefunden?“ und „Wo steht denn die Teekanne?“. Die rund 15 Gäste des Dunkelcafés tasten im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln. Mitten im Spitalseebunker sitzen sie an fünf großen Tischen und müssen sich zum ersten Mal in ihrem Leben ohne den Sehsinn zurecht finden.  Anlass ist der 25. Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, der bundesweit jährlich am 5. Mai stattfindet. Bereits zum dritten Mal organisierte die Offene Behinderten Arbeit (OBA) der Diakonie Schweinfurt in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Blinden- und Sehbehinderten-Bund (BBSB) am Donnerstag und Freitag das sogenannte Dunkelcafé.  Das Ziel: Menschen ohne Behinderung einen Einblick in den Alltag eines Sehbehinderten ermöglichen. Unter dem Motto „Wir gestalten unsere Stadt - Einfach machen - Für alle“ sollte auch in diesem Jahr Inklusion vor Ort erlebbar werden. Vor der Führung sind viele der Gäste bereits aufgeregt. Schon wenige Meter nach dem Eingang wird es zunehmend dunkler. „Ab jetzt bitte immer an der rechten Wand entlang tasten und zusammen bleiben“, weist Elisabeth Eußner die Teilnehmer an. Seit ihrem 30. Lebensjahr verliert sie Stück für Stück ihre Sehkraft. Heute führt sie mithilfe ihres Blindenstocks die Besucher an ihre Plätze.  Hand in Hand geht es an die gedeckten Tische. Vorsichtig nehmen die Gäste nacheinander platz. Um sie herum herrscht völlige Dunkelheit. „Suchen Sie jetzt ihre Tasse und schenken sich den heißen Tee aus der Kanne in der Mitte des Tisches ein“, lautet die erste Aufgabe. Doch das erweist sich als schwieriger als gedacht. Intuitiv sprechen sich die Teilnehmer ab, um nichts zu verschütten oder umzustoßen. Mithilfe des Hör- und Tastsinns werden nach und nach vorsichtig die Tassen gefüllt. Danach darf das Gebäck gesucht werden. „Haben sie alle ihren Mund gefunden?“, fragt Herbert Hennlich in schmunzelndem Ton.  Auch er hat vor langer Zeit seine Sehkraft verloren und weiß wie schwierig es ist, sich im ersten Moment zurechtzufinden.  Während sich die Besucher mit der Dunkelheit vertraut machen, stellen Eußner und Hennlich ihre technischen Hilfsmittel vor, die ihnen den Alltag erleichtern. Diese funktionieren selbstverständlich auch im Dunkeln. Neben dem Blindenstock und einer sprechenden Uhr sorgt vor allem das Farbmessgerät für Verwunderung. Auch in der Finsternis des Bunkers erkennt es die Jackenfarben der erstaunten Gäste.  Als sich nach 20 Minuten die Türen des Bunkers öffnen, blinzeln die Besucher mit zusammen gekniffenen Augen ins schwache Sonnenlicht. Gerade erst hatten sie sich an die Dunkelheit gewöhnt. Im Freien angekommen, tauschen sich die Gäste über ihre Erfahrungen aus. „Am Anfang war es wirklich sehr beklemmend. Ich habe mich unbeholfen und benommen gefühlt“, erzählt Heidrun Laschka. Sie hat heute zum ersten Mal ein Dunkelcafé besucht und ist froh, sich auf das Experiment eingelassen zu haben.  Auch Barbara Zink hat sich zum ersten Mal in völlige Dunkelheit begeben: „Diese Erfahrung hat mich sensibilisiert. Auf einmal werden alle Geräusche lauter und das Kaffee einschenken zur Aufgabe.“ Besonders begeisterte sie der heutige Stand der technischen Hilfsmittel für Sehbehinderte, die Gerald Preuscher, ebenfalls Mitglied des BBSB, nach der Führung in den Bunker demonstrierte: Ein Bildschirmlesegerät, das Größe und Farbe der Schrift beliebig verändern kann, ein Vorlesegerät, das via Scanfunktion jeden gedruckten Text einliest und eine Punktschrifthilfe im Handtaschenformat. Im Jahr 1992 vom Verein „Selbstbestimmt Leben“ ins Leben gerufen, hat der Protesttag vor allem ein Ziel: Sich gemeinsam für Gleichberechtigung stark machen. Seit 17 Jahren unterstützt auch die Aktion Mensch den jährlichen Aktionstag. „Wir möchten, dass Menschen einander begegnen und ihre Verschiedenheit als Bereicherung erkennen“, so Christina Marx, Leiterin der Aufklärung Aktion Mensch.  Reinhold Stiller, Leiter der OBA der Diakonie Schweinfurt und Betreuer des Dunkelcafés, freute sich über die positive Resonanz der Gäste, darunter auch zahlreiche Schulklassen. „Die Kinder waren begeistert und wollten teilweise sogar länger im Dunkelcafé bleiben“, berichtet Stiller. Es sei besonders wichtig, gerade die junge Generation mit dem Thema Inklusion vertraut zu machen.  Wo im Jahr 1998 nur rund 100 Veranstaltungen stattfanden, ist die Zahl im Jahr 2017 bereits auf über 700 Aktionen bundesweit gestiegen.
Foto: Lena Köster | Eisige acht Grad Celsius, feuchte Kellerluft und völlige Dunkelheit. Hier und da raschelt es, das Kratzen von Keramik auf Holz erfüllt den Raum.
Lena Köster
Lena Bayer
 |  aktualisiert: 08.05.2017 03:14 Uhr

Eisige acht Grad Celsius, feuchte Kellerluft und völlige Dunkelheit. Hier und da raschelt es, das Kratzen von Keramik auf Holz erfüllt den Raum. Nach und nach werden unsichere Stimmen laut: „Hast du schon das Gebäck gefunden?“ und „Wo steht denn die Teekanne?“. Die rund 15 Gäste des Dunkelcafés tasten im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln. Mitten im Spitalseebunker sitzen sie an fünf großen Tischen und müssen sich zum ersten Mal in ihrem Leben ohne den Sehsinn zurechtfinden.

Anlass ist der 25. Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, der bundesweit jährlich am 5. Mai stattfindet. Bereits zum dritten Mal organisierte die Offene Behinderten Arbeit (OBA) der Diakonie Schweinfurt in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Blinden- und Sehbehinderten-Bund (BBSB) am Donnerstag und Freitag das sogenannte Dunkelcafé. Das Ziel: Menschen ohne Behinderung einen Einblick in den Alltag eines Sehbehinderten ermöglichen. Unter dem Motto „Wir gestalten unsere Stadt – Einfach machen – Für alle“ sollte auch in diesem Jahr Inklusion vor Ort erlebbar werden.

Vor der Führung sind viele der Gäste bereits aufgeregt. Schon wenige Meter nach dem Eingang wird es zunehmend dunkler. „Ab jetzt bitte immer an der rechten Wand entlang tasten und zusammen bleiben“, weist Elisabeth Eußner die Teilnehmer an. Seit ihrem 30. Lebensjahr verliert sie Stück für Stück ihre Sehkraft. Heute führt sie mithilfe ihres Blindenstocks die Besucher an ihre Plätze.

Hand in Hand geht es an die gedeckten Tische. Vorsichtig nehmen die Gäste nacheinander Platz. Um sie herum herrscht völlige Dunkelheit. „Suchen Sie jetzt ihre Tasse und schenken sich den heißen Tee aus der Kanne in der Mitte des Tisches ein“, lautet die erste Aufgabe. Doch das erweist sich als schwieriger als gedacht. Intuitiv sprechen sich die Teilnehmer ab, um nichts zu verschütten oder umzustoßen. Mithilfe des Hör- und Tastsinns werden nach und nach vorsichtig die Tassen gefüllt. Danach darf das Gebäck gesucht werden. „Haben sie alle ihren Mund gefunden?“, fragt Herbert Hennlich in schmunzelndem Ton. Auch er hat vor langer Zeit seine Sehkraft verloren und weiß, wie schwierig es ist, sich im ersten Moment zurechtzufinden.

Während sich die Besucher mit der Dunkelheit vertraut machen, stellen Eußner und Hennlich ihre technischen Hilfsmittel vor, die ihnen den Alltag erleichtern. Neben dem Blindenstock und einer sprechenden Uhr sorgt vor allem das Farbmessgerät für Verwunderung. Auch in der Finsternis des Bunkers erkennt es die Jackenfarben der erstaunten Gäste.

Als sich nach 20 Minuten die Türen des Bunkers öffnen, blinzeln die Besucher mit zusammengekniffenen Augen ins schwache Sonnenlicht. Gerade erst hatten sie sich an die Dunkelheit gewöhnt.

Im Freien angekommen, tauschen sich die Gäste über ihre Erfahrungen aus. „Am Anfang war es wirklich sehr beklemmend. Ich habe mich unbeholfen und benommen gefühlt“, erzählt Heidrun Laschka. Sie hat heute zum ersten Mal ein Dunkelcafé besucht und ist froh, sich auf das Experiment eingelassen zu haben.

Auch Barbara Zink hat sich zum ersten Mal in völlige Dunkelheit begeben: „Diese Erfahrung hat mich sensibilisiert. Auf einmal werden alle Geräusche lauter und das Kaffeeeinschenken zur Aufgabe.“ Besonders begeisterte sie der heutige Stand der technischen Hilfsmittel für Sehbehinderte, die Gerald Preuscher, ebenfalls Mitglied des BBSB, nach der Führung in den Bunker demonstrierte: Ein Bildschirmlesegerät, das Größe und Farbe der Schrift beliebig verändern kann, ein Vorlesegerät, das via Scanfunktion jeden gedruckten Text einliest und eine Punktschrifthilfe im Handtaschenformat.

Über 700 Aktionen bundesweit

Im Jahr 1992 vom Verein „Selbstbestimmt Leben“ ins Leben gerufen, hat der Protesttag vor allem ein Ziel: Sich gemeinsam für Gleichberechtigung stark machen. Seit 17 Jahren unterstützt auch die Aktion Mensch den jährlichen Aktionstag. „Wir möchten, dass Menschen einander begegnen und ihre Verschiedenheit als Bereicherung erkennen“, so Christina Marx, Leiterin der Aufklärung Aktion Mensch.

Reinhold Stiller, Leiter der OBA der Diakonie Schweinfurt und Betreuer des Dunkelcafés, freute sich über die positive Resonanz der Gäste, darunter auch viele Schulklassen. „Die Kinder waren begeistert und wollten teilweise sogar länger im Dunkelcafé bleiben“, berichtet Stiller. Es sei besonders wichtig, gerade die junge Generation mit dem Thema Inklusion vertraut zu machen.

Übrigens: Im Jahr 1998 gab es nur rund 100 Veranstaltungen am bundesweiten Protesttag, in diesem Jahr waren es über 700 Aktionen.

Mit der tragbaren Punktschrifthilfe können Sehbehinderte im Alltag Texte in Blindenschrift tippen.
Foto: Lena Köster | Mit der tragbaren Punktschrifthilfe können Sehbehinderte im Alltag Texte in Blindenschrift tippen.
 
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