Nach dem Lesen des Artikels "Am Anfang passten die Bücher in einen Schrank" über die historischen Anfänge des Bücherei-Wesens in Gerolzhofen meldete sich eine Tochter des ehemaligen ehrenamtlichen Büchereileiters Hans Freitag, Hildegard Freitag, die nun in Darmstadt wohnt. Mit dem Titel "Die Stadtbücherei unter Hans Freitag" hat sie ihre Erinnerungen für die Main-Post zu Papier gebracht. Sie schreibt:
Als Hans Freitags jüngste Tochter durfte ich, Jahrgang 1964, schon zu Vorschulzeiten meinen Vater oder meine Geschwister in die Stadtbücherei begleiten. Dort schmökerte ich besonders gerne in der Kinderecke. Bilderbücher von Tomi Ungerer - "Der Mondmann" und "Crictor die gute Schlange" - gehörten zu meinen Favoriten. Als vielleicht 20 Jahre später die Stadtbibliothek im Bürgerspital altgediente Bücher nach Gewicht verkaufte, griff ich bei meinen Lieblingsstücken sofort zu. "Crictor" steht immer noch bei mir im Schrank.
Zweimal in der Woche geöffnet
In der Ausleihe kosteten die Bücher einen Pfennigbetrag, wenn ich recht erinnere, für Erwachsene zehn Pfennig und für Kinder fünf Pfennig pro Buch, dazu je ein Abreiß-Märkchen von einer Banderole. Vier Wochen war die Standardzeit, danach Verlängerung um zwei Wochen. Für jeden Leser wurde eine Registerkarte geführt, in die die Ausleihen eingetragen wurden. Gleichzeitig wurde in das eingeklebte Erinnerungsblatt auf der letzten Innenseite des Buches bei "zurückzugeben am ... " das Datum eingestempelt.
Als Familienangehörige des Büchereileiters bekam ich die Bücher kostenlos. Bei den beiden Damen an der Ausleihe, Frau Rauer und Frau Hesse, war ich natürlich bekannt. Sie hatten gut zu tun, es war viel los. Öffnungszeiten waren zweimal in der Woche von etwa 17 bis 19 Uhr. Neben der Ausleihe kategorisierten und katalogisierten sie die neuen Bücher zusammen mit meinem Vater. An Weihnachten durfte ich ihnen stets ein kleines Dankeschön vorbeibringen, meist war es ein "Stöckle", ein Weihnachtsstern.
Fehldruck des Dschungelbuchs
Welche Arbeit mein Vater mit der Büchereileitung hatte, kann ich nur erahnen. Einmal begleitete ich ihn zu einem Buchhändler in der Nähe von Würzburg. Dieser war wohl auf die Beratung und Versorgung kleinerer Büchereien spezialisiert. In meiner vagen Erinnerung sehe ich ein riesiges Wohnzimmer, voll mit Büchern. Ich höre die beiden Männer sich lange unterhalten und meinen Vater etliche Einkäufe tätigen. Zum Abschied bekam ich, gerade lesefähig, das "Dschungelbuch" geschenkt, mit einfachen Texten und Bildern aus dem Disneyfilm. Es war als Fehldruck unverkäuflich - die Seiten war verkehrt herum in den Einband eingelegt. Ich war begeistert!
In den 70-er Jahren gab es gelb-schwarze Aufkleber mit der Aufschrift: "Wir sehen uns in der Stadtbücherei" als Werbemaßnahme, die bei mir auf die Büchertasche und bei uns aufs Auto kamen.
Begeistert vom neuen Angebot
Als der Umzug ins Bürgerspital anstand, blutete meinem Vater das Herz, denn das bedeutete, dass die Leitung der Bücherei nun in andere, hauptamtliche Hände gelegt wurde und er sein leidenschaftliches Ehrenamt aufgeben musste. Schon bei der Übersiedlung begriff er aber, dass er das Pensum der "neuen" Stadtbibliothek nie hätte leisten können. Er freute sich nun über das hochwertige Sortiment in den wunderbaren Räumlichkeiten. Er war begeistert darüber, wie rasch das Angebot auch von vielen Lesern aus den Umland angenommen wurde. Schnell war er Stammgast, vor allem zum Schmökern in den tagesaktuellen Zeitungen.
Meine Schwester Gertrud ist übrigens in die Fußstapfen unseres Vaters getreten: In Todtmoos im Schwarzwald führte sie die evangelische und katholische Büchereien zusammen und leitete diese als Ökumenische öffentliche Bücherei ehrenamtlich für 14 Jahre.