Eine eigene Ausstellung war nicht vorgesehen, nun ist es eine, wenn auch kleine, Betrachtung über das Thema Arbeit und Alltag geworden: Die Spitzwegs haben ihren Saal im zweiten Obergeschoss des Museums Georg Schäfer auf dem Weg in die Sonderausstellung (zu sehen ab 13. April) bereits verlassen, die Wände ihres angestammten Domizils sind nun nicht mehr tiefrot, sondern eher lindgrün. Museumsleiterin Sigrid Bertuleit hat sie bis 30. November unter dem Titel „Fron Freude, Feierabend“ mit Genremalerei und Porträts aus der Sammlung neu bestückt.
Sie stellt ein Zitat von Friedrich Engels voran, das wunderbar auf die Gegenwart passen würde. Und auf unzählige Krisen seit Erfindung des Kapitalismus. Engels arbeitet auf der Basis der Crashs von Paris 1867 und Berlin 1873 einen verhängnisvoll zeitlosen Mechanismus heraus: „Die schrankenlose Spekulation endete in einem allgemeinen Krach.“ Die Analyse Engels' aus dem Jahr 1880 klingt verdächtig nach dem, was man heute Blase nennt, wobei an die Stelle der Lokomotiven eben zum Beispiel Immobilien getreten sind: „Als die Katastrophe hereinbrach, stellte sich also heraus, dass der öffentliche Bedarf, den man zum Vorwand genommen hatte, bei weitem überschritten war, dass im Laufe von vier Jahren mehr Eisenbahnen, Fabriken, Bergwerke usw. errichtet worden waren, als die normale Entwicklung der Industrie in einem Jahrhundert erzeugt hätte.“
Die kleine Schau ist freilich keine Anklage sozialer Missstände aus der Frühzeit der Industriegesellschaft. Darstellungen der Arbeitswelt sind in der Kunst des 19. Jahrhunderts – außerhalb Englands – ohnehin selten, so gut wie keine finden sich in der Sammlung des Industriellen Georg Schäfer. Immerhin: Paul Meyerheims „In der Werkhalle beim Lokomotivenbau“ von 1872/73 zeigt die rohe Arbeit am glühenden Stahl bei der Berliner Firma Borsig. Durch die Oberlichter der Fabrikhalle fällt fahles Licht, während unten in aufgewühlter Schwärze Männer mit nackten Oberkörpern rackern.
Gegenpol ist Hugo Mühligs „Brotzeit auf dem Getreideacker“ – die warmen Farben wirken im Vergleich beinahe idyllisch. Sigrid Bertuleit hat bei der Hängung viel probiert und viel verworfen. Es ist eine Gegenüberstellung der Lebensverhältnisse auf dem Land und in der Stadt geworden. Wobei die meisten Darstellungen aus dem städtischen Umfeld auffällig dunkel sind, ob sie nun die Arbeit oder den Rückzug ins Private darstellen wie etwa Max Slevogts „Zeitungsleser“ von 1890 oder die stickenden und lesenden Damen auf Franz Skarbinas „Les petits secrets“.
Ausgesprochen düster wirkt Wilhelm Trübners „Die große Wachtparade“ von 1881. Je nach Quelle zeigt es heimkehrende Fabrikarbeiter oder künftige Einjährige beim Militär. Wie auch immer – die meisten Gesichter sind ernst und verschwinden trotz bildnishafter Ausführung der Individuen in der Masse. Was zumindest bei den Männern auch daran liegen kann, dass viele den modischen Oberlippenbart jener Zeit tragen.
Heller geht es auf dem Land zu, etwa auf Joseph Wopfners „Am Strande“ von 1906, einer niederländisch geprägten Nordseestudie voller Weite, Luft und Licht. Oder auf Eduard Schleich des Jüngeren „Bei der Kartoffelernte“, wo noch eine Ahnung von der Verbindung zwischen Mensch und Natur zu spüren ist. Dass das Leben auch außerhalb der städtischen Moloche ziemlich trostlos sein kann, zeigt Alfred Wierusz-Kowalskis schmutziggraue „Polnische Dorfstraße mit Fuhrwerk“, auf der nur die Spatzen fröhlich scheinen.
Hans Herrmanns „Fischmarkt in Amsterdam“, frisch befreit von vergilbtem Firnis, zeigt Händler, Marktfrauen, Dienstboten, Arbeiter und Fischer, die ganz in ihren Geschäften aufgehen. All diese Menschen sind kleine Leute – ihre Herrschaft begibt sich selbstverständlich nicht persönlich auf die nassen Steinplatten des Fischmarkts. Auch Otto Scholderers „Mädchen mit einer Schüssel Kirschen“, eines der Starstücke der Sammlung, ist zweifellos eine Bedienstete – aber eine mit der Würde einer Königin.