Mindestlohn, Rente mit 67, ausufernde Leiharbeit – darüber haben 280 Teilnehmer der Funktionärskonferenz des DGB Main-Rhön am Mittwochabend im Konferenzzentrum diskutiert. Gefragt wurde, was die Gewerkschaften tun können, um einer Entwicklung entgegenzutreten, die selbst im wirtschaftlichen Aufschwung wenig bei den Beschäftigten ankommen lässt, und bei der prekäre Arbeitsverhältnisse mit Hungerlöhnen immer zahlreicher würden.
Über die „Krise und Zukunft des Sozialstaats“ referierte der Kölner Professor für Politikwissenschaft, Christoph Butterwegge. Neoliberale, die den Sozialstaats zurückdrängen oder abschaffen wollten, kämen mit zwei zentralen Argumenten: der Demografie (Überalterung in den Industriestaaten), die den Sozialstaat unbezahlbar mache und der Globalisierung, dem gesteigerten internationalen Wettbewerbsdruck. Wenn die Neoliberalen Recht hätten, müssten in Staaten ohne Sozialsysteme wie etwa Bangladesch die Wirtschaften blühen und in den entwickelten Sozialstaaten der Niedergang stattfinden, so der Politologe. Das Gegenteil sei aber der Fall.
Produktivität sei das entscheidende Kriterium einer Volkswirtschaft, sagte Frank Bsirske, Chef der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, nicht die isoliert betrachteten Kosten des Sozialsystems: „Die Ökonomie entscheidet darüber, ob es Rentenzahlungen gibt, nicht die Biologie.“ Ein Zurückdrängen der sozialen Standards sei eben nicht nötig, wenn sie aus den vorhanden Ressourcen finanziert werden. Er forderte, außer der Erwerbsarbeit auch andere Einkommensarten in die Finanzierung zu nehmen und alle Gruppen – auch Beamte und Selbstständige.
Bsirske wie Butterwegge warnten vor dem Gedanken an eine reine Steuerfinanzierung der Systeme. Nur wenn die paritätische Finanzierung erhalten bleibe, seien auch die Arbeitgeber weiterhin sicher mit im Boot. Bei der Steuerfinanzierung, die dann über indirekte Steuern wie der Mehrwertsteuer liefe, würden wieder die sozial Schwachen besonders belastet, weil diese Konsumsteuer sie in gleicher Stärke trifft wie die Reichen. Bsirske kritisierte die zunehmende Leiharbeit und forderte „Gleichen Lohn für gleiche Arbeit“.
Bei der Diskussion bewegte die Frage, welche Strategie der Gewerkschaften für die Beschäftigten zu besseren Arbeitsverhältnissen und Einkommen führen könne. Aus der Versammlung kam der Vorwurf, die Gewerkschaftsspitzen hätten nicht genug getan, um den Protest gegen die Agenda-Politik zu forcieren. Einige forderten, auf die ständigen Verschlechterungen auch mal mit Generalstreik zu antworten.
Bsirske wies den Vorwurf der Untätigkeit zurück. Gemessen an den Reden und Forderungen vor vier, fünf Jahren habe der Neoliberalismus an Kraft und Einfluss wieder verloren. Soziale Themen hätten heute wieder einen ganz anderen Stellenwert. Es hapere allerdings noch an der Umsetzung in reale Politik.
Zuvor am Nachmittag hatte sich Bsirske mit hiesigen Gewerkschaftsfunktionären auf der „Spessart“, einem „Bereisungsschiff“ des Wasser- und Schifffahrtsamtes (WSA) Schweinfurt, ausgetauscht und sich von den WSA-Oberen zukünftige Investitionen erläutern lassen. Bei einer Schifffahrt auf dem Main, ein Stück Richtung Schonungen und zurück, forderte er den Mindestlohn im Post-Bereich, der mit deren vorgezogener Liberalisierung auf das Jahr 2008 verknüpft sein sollte. Als Beispiel für Armutslohn in diesem Sektor nannte er die Firma „allgäu mail GmbH“ mit Sitz in Kempten, die Beschäftigten vier Euro Grundlohn pro Tag zahle und den Rest auf Basis der zugestellten Stücke. Ein Vollzeitbeschäftigter komme maximal auf 880 Euro brutto im Monat.
„Ich würde es begrüßen, wenn Merkels Wort stimmte, dass für sie der Post-Mindestlohn noch nicht vom Tisch ist“, so der ver.di-Chef, obwohl sie eben im Koalitionsausschuss Gegenteiliges gesagt habe. „Frau Merkel soll Wort halten“, fordert Bsirske.