Wie es sich für einen Aussiedlerhof gehört, empfängt mich der Wachhund. Sheila, so ihr Name wie mir Bäuerin Susanne Reck später erzählt, nimmt ihren Job ernst und bellt den fremden Mann erstmal an, lässt sich aber durch gute Worte und Ohren kraulen schnell davon überzeugen, dass man mit dem Kerl mit dem Fotokoffer wohl für einen Tag auskommen kann. Dieser Tag hat mich als "Reporter in Betrieb" auf den Bauernhof Reck am nördlichen Ortsausgang von Hambach geführt. Ein Betrieb, der sein Heil nicht in Massentierhaltung oder Konzentration auf wenige Feldfrüchte gesucht hat, sondern versucht mit traditioneller bäuerlicher Vielfalt, regionaler Erzeugung und Vermarktung zu punkten.
Grün ist die Hoffnung und grün ist das Frühstück
Vielfalt, das bedeutet viel und vielfältige Arbeit nicht nur an diesem Tag, der mit gut 40 Grad als bislang heißester Tag in die Wetterhistorie 2019 eingehen wird. "Angesichts des Klimawandels verstehe ich die Landwirte in südlichen Ländern, die Nachmittags Siesta halten", meint Landwirt Michael Reck und spannt den Hänger an mit dem wir noch vor der großen Hitze Grünfutter für die Rinder holen. Eigentlich eine entspannte Arbeit. Vorne am Traktor ist das Mähwerk, der Hänger sammelt die Luzerne "von alleine" ein, Absteigen muss der Landwirt nicht, um das Frühstück für das "Fränkische Gelbvieh" zu organisieren. Diese alte Rasse fühlt sich in Franken wohl, lebt vom Frühjahr bis in den Spätherbst auf den angrenzenden Weiden. Im Winter leben die Tiere mit den "Absetzern" wie die Kälber in der Fachsprache heißen, im eingestreuten Offenstall. Mehr als ein halbes Jahr bleiben die Kälbchen bei ihren Müttern.
Glückliche Tiere, die wir noch ein wenig glücklicher machen, als wir mit dem selbst für Menschennasen duftenden Grünfutter vorfahren. Wie Hotelgäste beim Frühstücksbuffet stehen sie in Reih und Glied und warten auf ihre Portion. Auf der Weide oberhalb gibt es neue Arbeit. Sally – alle Kühe haben Namen – hat kürzlich ein Kälbchen bekommen, das Simba getauft wurde. Bei den Recks ist es Tradition, dass die Kälber einen Namen mit dem Anfangsbuchstaben der Mutter bekommen. Mehr noch als einen Namen, zumindest aus bürokratischer Sicht, braucht Simba eine Ohrmarke, weshalb sich Susanne und Michael Reck als "fränkische Cowboys" versuchen, um Simba einzufangen. Das Kälbchen hat – und da ist es einer Meinung mit den meisten Landwirten – wenig Verständnis für ausufernde Bürokratie auf dem Bauernhof, schon gar nicht, wenn die in diesem Fall bedeutet, sich Löcher in die Ohren stanzen zu lassen.
Aber auch das ist bald geschafft. Ich bin inzwischen mit der Sense den stacheligen Disteln auf der Weide zuleibe gerückt. Unglaublich wie hart und knorrig so ein Distelstengel sein kann und die Sense müsste auch mal wieder gedengelt werden. Von den Disteln geht es weiter zu den Tomaten. Die gedeihen im Gewächs-Rundhaus und empfangen mich bei inzwischen tropischen Temperaturen. Um den Ertrag zu steigern werden die "ausgegeizt", was bedeutet, das überschüssige Triebe in den Blattachseln herausgezupft werden müssen. "Wieder was gelernt", denke ich mir und nehme mir vor diesen einfachen Pflegetipp auch bei den eigenen Tomaten konsequent umzusetzen.
Auch auf den benachbarten Wiesen tut sich was. Hühnchen, Hähnchen, Gänse, Pferde, Katzen, Hasen, Bienen, ja sogar eine Voliere voller Wellensittiche gehören zum "Zoo" der Familie Reck. Von den drei Töchtern Isabell, Elena und Anna hat jede sozusagen ihr eigenes tierisches Steckenpferd, wobei Pferd wörtlich genommen werden darf. Frisches Wasser, Futter, denn Stall, wie im Fall der Küken, ein paar Meter weiter aus der Sonne ziehen - all das muss getan werden. Und dann geht es buchstäblich um die Wurst. Gründlich Händewaschen, rein ins weiße Mäntelchen und ab in die Wurstküche. Michael Reck hat dort inzwischen das "Brät" vorbereitet, denn echte Bauernbratwurst, wahlweise dünn oder dick, steht heute auf dem Programm. "Da ist nur gutes Fleisch aus eigener Produktion drin", so Michael Reck, der auch noch Kreisobmann des Bauernverbandes ist. Rund 100 Mastschweine, die ich später noch kennenlernen und mit frischem Stroh versorgen darf, gibt es auf dem Hof.
Erst einmal aber bekomme ich einen Eindruck davon, woher die Floskel "Der hat den Dreh raus" kommt. Wahrscheinlich vom Bratwurstmachen, denn die werden mit lockerer Hand abgedreht und sollten gleich lang sein. Die Ankündigung "die Kurzen müssen sie später selber essen" schockt mich nicht wirklich, denn bei Bratwurst kommt es darauf an was drin ist und überhaupt bin ich trotz Längendifferenzen ganz zufrieden mit meinem Gewurstel.
Als mir wenig später Philipp, der älteste der vier Reck-Kinder, seine Bienen vorführt, komplettiert sich mein Eindruck von bäuerlicher Vielfalt. Auf etwa 250 Kilo Honigertrag im Jahr kommt der junge Imker mit seinen 14 Völkern. Echter Hambacher Bienenhonig, der keiner besonderen Frucht gewidmet ist, sondern aus der Vielzahl der Blüten entsteht. Und die ist enorm, gedeihen doch auf und rund um den Hof Obst und Früchte, die von Susanne Reck zu rund 40 Sorten Marmelade verarbeitet werden. "Alles mit eigenen Händen gemacht", freut sich die Bäuerin, die auch schon in der Landfrauenküche im bayerischen Fernsehen zu sehen war. Dazu kommen Meerrettich, Senf, Eingemachtes aller Art, Eierlikör und Sirup, die neben Fleisch, Wurst, Eiern und vielem mehr zweimal in der Woche im 2006 eröffneten Hofladen angeboten werden.
Am späteren Nachmittag, inzwischen haben wir die 40 Grad, bleibt dem Betriebsreporter der Mähdrescher erspart. "Wir haben gestern abgedroschen", erklärt Michael Reck, Gerste und Weizen sind geerntet und die Kartoffeln haben noch Zeit. Zeit haben auch wir, uns bei Bratwurst (ich erkenne eine unter meinen Händen etwas zu kurz geratene tatsächlich auf meinem Teller wieder) eingelegtem Gemüse und Salat, über die Situation der Landwirtschaft zu unterhalten.
Die ist nicht einfach in Zeiten von Klimawandel und gedeihender Bürokratie. Die Recks haben es trotz enormer Investitionen dennoch nicht bereut in traditioneller bäuerlicher Vielfalt breit aufgestellt zu sein. Und ständig wurde es mehr. Was 1999 mit einem Blumenfeld zum selber schneiden begann, hat sich inzwischen zu einem regelrechten Event-Bauernhof gemausert. Der neue Hofladen wurde 2012 eröffnet, dazu kam die Genuß-Scheune, ein Festsaal, in dem Familien- oder Betriebsfeste für bis zu 100 Personen durchgeführt werden können. Verköstigt werden die Gäste dabei mit saisonalen Produkten direkt vom Hof.
Nicht nur die Zweibeiner hatten Hunger, auch die Rinder wollen Nachschlag. Noch schnell ein paar Schippen Stroh für die Schweine, die an diesem heißen Tag gerne die Gelegenheit nutzen, sich direkt im Stall mit der für sie geschaffenen Anlage beregnen zu lassen. Er hat sich gut und richtig angefühlt dieser Tag auf dem Bauernhof mit all seiner Vielfalt Auf dem Rückweg finde ich noch hinter einem Strohballen ein "Geheimnest". 16 Eier haben Hühner, die sich selber gerne "erweiterten Freilauf" gönnen, dort abgelegt. Fast schon ein Schatz. So etwas ist nur möglich, solange es noch engagierte Landwirte und Höfe mit regionaler bäuerlicher Vielfalt gibt, auf denen auch Hunde wie Sheila noch ihren Platz haben. Die leckt mir zum Abschied die Hand und ich bin sicher, sie würde mich noch einmal einen Tag lang ertragen.